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Dior – Der Stille nach dem Schrillen

Stil

Dior – Der Stille nach dem Schrillen

  • Text: Silvia BinggeliFoto: Imaxtree.com

Wer ist der neue Chefdesigner bei Dior, nachdem John Galliano in der Modeszene über Nacht zur Persona non grata geworden war?

Schillernde Extzentriker unter den Designern haben ausgedient: Auf sie folgen zurückhaltende und vor allem verlässliche No-Names, die lieber im Atelier stehen als im Rampenlicht.

Bill Gaytten wer? Als der Name des neuen Chefdesigners von Dior vor ein paar Wochen endlich bekannt wurde, stellten sich selbst in der Modeszene viele diese Frage. Kaum jemand hatte je von ihm gehört. Man erfuhr, dass er 51 Jahre alt ist, angeblich 23 Jahre eng mit John Galliano zusammengearbeitet hat und sehr talentiert im Entwerfen von Mustern, in Schnitten und Drapierungen sei. Mehr nicht. Was war passiert?

Gallianos Abgang bei Dior war gelinde gesagt mehr als unehrenhaft gewesen. Im März war bekannt geworden, dass der Brite sturzbetrunken im Pariser Café La Perle Gäste mit  antisemitischen Sprüchen beschimpft hatte. Galliano sei, so war aus Insiderkreisen zu hören, nicht das erste Mal ausfällig geworden. Sein Alkoholproblem war bekannt. Doch nun war das Mass voll: Schon am nächsten Tag war er seinen Job beim renommierten französischen Modehaus los, für das er immerhin fast 15 Jahre erfolgreich entworfen hatte.

Dass sein Nachfolger völlig unbekannt ist, steht für einen Wandel in der Modebranche, vielleicht einen der wichtigsten in den letzten Jahrzehnten: Man setzt auf Stabilität statt Exzentrik. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen sich Designer einen Wettbewerb in Extravaganz lieferten. Allen voran feierte John Galliano Opulenz in seinen Kreationen – er schickte die Frauen in üppigen Roben aus schweren Stoffen über die Bühne, die Marie-Antoinette gefallen hätten – und inszenierte sich auch gleich selbst mit. Nach seiner Show schritt er im Piratenkostüm oder im Raumfahreranzug über den Laufsteg und winkte dem Publikum im Scheinwerferlicht minutenlang zu.

Doch während harte Zeiten die Mode einst zur Blüte trieben – etwa als Christian Dior nach dem Zweiten Weltkrieg den New Look entwarf –, so lässt die serbelnde Wirtschaft die Branche langsam, aber sicher auf den Boden der knallharten Tatsachen zurückkehren. Kleider müssen nicht mehr so ausgefallen sein, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat. Gefragt ist smarte, aber tragbare Mode, die sich verkaufen lässt, eine Sachlichkeit, wie sie in den Neunzigerjahren schon Jil Sander, Helmut Lang und Yohji Yamamoto präsentierten. Die Blogger, die sich in immer grösserer Zahl unter das lange Zeit fast hermetisch abgeriegelte Modevolk mischen, tun ein Übriges. Sie fotografieren die Looks der Strasse, an Fashionistas, die neuerdings auf Handwerk, präzise Schnitte und schöne Stoffe setzen, und schicken die Bilder in Nanosekunden um den Globus.

Seit ein paar Saisons bringt eine Gruppe von jungen Designerinnen Ruhe in die Modewelt und sorgt dennoch für Aufsehen: Neben Claire Wright Keller (Pringle of Scotland und neu Chloé) ist Phoebe Philo die wichtigste Vertreterin dieser Garde. Die Chefdesignerin von Céline entwirft Mode für Frauen, die in spannenden Jobs und als Mütter einen ziemlich normalen Alltag bestreiten und dabei einfach auch noch gut aussehen wollen. Auch die neuen Designerinnen selbst zeigen sich entspannt: So hat sich Phoebe Philo 2006 vom gefragten Chefdesignerinnenjob bei Chloé einfach mal in einen mehrjährigen Mutterschaftsurlaub verabschiedet. Nur um dann ebenso selbstverständlich wieder als Chefdesignerin von Céline einzusteigen. Nach ihren Shows zeigt sie sich immer nur kurz dem Publikum. Privat hört man wenig von ihr. Sie sagt, sie würde lieber nackt die Strasse runterlaufen, als einen Facebook-Account zu eröffnen.

Bodenständiger mag die Branche geworden sein – langsamer ist sie sicher nicht: Bis zu 15 Kollektionen oder mehr müssen gewisse Designer innerhalb eines Jahres hervorbringen. Sie entwerfen nicht mehr nur für Frühling/Sommer und Herbst/Winter, sondern auch für die Übergangszeiten dazwischen – die günstige Mode der Highstreetfashion-Marken, die alle paar Wochen neue Kollektionen präsentieren, zwingt sie dazu. Man braucht einen klaren Kopf, um auf diesem Karussell mitzureiten. Der Zeitgeist verlangt nach Kreateuren mit einem gesunden Lebensstil.

So ist etwa Stella McCartney, eine Vorreiterin der neuen, auf Schlichtheit bedachten Designer, überzeugte Vegetarierin und Tierfreundin. Sie unterstellt auch ihre Mode dem Diktat der Ethik und verzichtet in ihren Kreationen konsequent auf Pelz und Leder. Marc Jacobs, gefeierter Chefdesigner von Louis Vuitton und seinem New Yorker Label, hat seinen Lebensstil radikal verändert und ist vom einstigen Partytiger zum Gesundheitsfanatiker mutiert. Er hat seine Ernährung umgestellt, kiloweise abgespeckt und – so sieht es jedenfalls aus – seinen Drogenkonsum unter Kontrolle gebracht. Nun pendelt er verhältnismässig relaxt zwischen seinen Jobs in Paris und New York hin und her und bringt jedes Jahr rund 20 Kollektionen auf den Markt. Während er sich früher auch schon mal im Taubenkostüm präsentierte, sieht man ihn heute auf Bildern beim Spaziergang mit seinen Hunden entlang der Champs-Elysée.

Überbordende Kreateure gehören ins Reich der Outlets. Grosse Modehäuser setzen lieber auf Kreative, die sich im Team bewährt haben und berechenbar sind. Maria Grazia Chiuri und Pier Paolo Piccioli etwa arbeiteten sich so im Atelier von Accessoiredesignern hinauf. Und entwerfen nun seit ein paar Saisons als Creative Directors von Valentino verspielt romantische Kleider mit einen Touch Rock’n’Roll. Nichts an ihnen oder an ihrer Mode erinnert an die üppige Aura, die den stets braun gebrannten Firmengründer Valentino Garavani umgibt. Gekauft wird die Mode des Labels nun trotzdem auch wieder von unter Vierzigjährigen.

Auch bei Alexander McQueen bestimmt seit 2010 eine Frau die Ästhetik, die jahrelang eng mit dem Gründer und Namensgeber des Labels zusammengearbeitet hatte. Nach dem Suizid McQueens fragte man sich, wer die Nachfolge des Genies antreten könnte. Bekannte Namen wurden herumgereicht, im April stand dann aber plötzlich eine 37-Jährige weltweit im Rampenlicht, die bis dahin kaum jemand kannte. Kurz darauf schritt Kate Middleton an der Hochzeit des Jahres in einer Robe von ihr den Kirchengang hinunter. Sarah wer hat das Kleid entworfen?, fragten sich Journalisten, Kommentatoren und Zuschauer. Sarah Burton. Ihr Name ist nun bekannt. Ihr Gesicht allerdings kaum.