Sein Name weckt wie kein anderer Begehrlichkeiten – für Schuhe: Manolo Blahnik. Wir haben den wohl bekanntesten Schuhdesigner der Welt getroffen. Ein Gespräch über Regisseur Visconti und italienische Prostituierte.
Ein grosser Konferenzraum im Herzen Londons. An den Wänden hängen gerahmte Zeichnungen von Schuhen. Die eckigen, glitzernden Schuhschnallen verraten, in wessen Universum wir uns hier befinden, sie sind das Markenzeichen eines Schuhgotts, den jeder nur beim Vornamen nennt: Manolo. Manolo Blahnik. Und dann erscheint er in seinem weissen Kittel mit seinen weissen Handschuhen, als käme er gerade direkt aus der Werkstatt, entschuldigt sich, dass er «total verdreckt» sei und «unglaublich stinke», was natürlich nicht stimmt. Der Mann ist wie aus dem Ei gepellt, unter seinem Kittel trägt er einen dreiteiligen Anzug, und als er die Hand zum Gruss ausstrecken will, fällt aus seiner Manteltasche eine Chanel-Puderdose, die er hastig zur Seite kickt.
Begleitet wird der 75-Jährige von seiner jungen PR-Verantwortlichen, die natürlich ein Modell der neusten Kollektion an den Füssen trägt. Ihrem Chef hat sie unsere Fragen auf einem A3-Blatt ausgedruckt und uns im Vorfeld verboten, einige davon zu stellen. Nicht genehm ist etwa die Frage, ob die Feindschaft zu seinem angeblichen Rivalen Christian Louboutin nur eine Erfindung der Medien sei. Ehe man sich versieht, hat Herr Blahnik den Konferenzsaal allerdings schon wieder verlassen. «Ich brauche eine Kopfschmerztablette!», schreit er theatralisch. «Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich jemanden warten lasse!»
Manolo Blahnik ist nicht auf Anhieb sympathisch. Seine Koketterie scheint einstudiert, man wird das Gefühl nicht los, dass er einem mit seinen Komplimenten zu den «intelligenten Fragen» bewusst schmeicheln will, damit man auch etwas Nettes schreibt. Aber vielleicht tut man dem Mann unrecht. Wenn er über Frauen spricht, die er bewundert, dann leuchten seine Augen, dann kann man sehen, dass er ein Romantiker ist. Und die Frauen sprechen genauso über ihn. Blahnik ist der Schuhdesigner, auf den sich alle einigen können. 1972 schuf er seine erste Kollektion, 1974 trug Bianca Jagger seine Schuhe, als sie auf einem Schimmel ins «Studio 54» ritt und zur Legende wurde. Prinzessin Diana trug seine Pumps zu ihrem kleinen Schwarzen, das später als «Rache-Kleid» bezeichnet wurde, als sich Prinz Charles an jenem Tag öffentlich zu seiner ausserehelichen Affäre bekannte. Jahrzehntelang designte Blahnik die Schuhe für sämtliche namhafte Modedesigner – ohne seine Schuhe keine Show. Spätestens die Szene in «Sex and the City», in der Carrie überfallen wird und dem Dieb alles geben will, nur nicht ihre «Manolos», machte den Designer, der bis heute unabhängig arbeitet und keinem grossen Konzern angehört, endgültig vom Schuhmacher zur Mainstream-Designikone. Anna Wintour, die gefürchtete US-«Vogue»-Chefin, sagt in «Manolo: The Boy Who Made Shoes for Lizards», der aktuellen Netflix-Dokumentation über Blahnik, dass sie ausschliesslich Manolos trage. Dass sie Schuhe von anderen Designern nicht einmal ansehe. Mehr geht nicht.
Nun eröffnet der gebürtige Spanier seinen ersten Shop in der Schweiz. Genauer in Genf, wo er einst selbst drei Jahre lang zur Schule ging, weil seine wohlhabenden Eltern aus ihm einen Diplomaten machen wollten. Tatsächlich, wie sich später im Interview zeigen wird, ist Blahnik alles andere als diplomatisch. Und in der Genfer Schule war er auch eher selten anzutreffen. «Ich habe mich lieber mit Visconti und Godard im Kino verabredet», sagt er über diese Zeit und lacht. «In der Schule hat mich nur römisches Recht interessiert. Ich liebe die alte Welt. Die neue Welt langweilt mich.»
annabelle: Manolo Blahnik, Ihre Schuhe erkennt man von Weitem. Und das seit über vierzig Jahren. Wie wichtig ist Ihnen Tradition?
Manolo Blahnik: Tradition ist alles, Madame! Ich habe das von Luchino Visconti gelernt. Als ich sehr jung war und sehr stürmisch, nahm ich einmal an einem öffentlichen Gespräch mit ihm teil und habe ihm eine dumme Frage gestellt: «Warum, Herr Visconti, machen Sie immer nur Kostümfilme?» Das stimmte nicht einmal, aber ich war so nervös. Er antwortete mir – und dieser Satz wurde seitdem zu meinem Lebensmotto: «Junger Mann, ohne die Tradition sind wir gar nichts.»
Ist es Ihnen ein Anliegen, Ihre Auffassung von Tradition an jüngere Generationen weiterzugeben, gerade was das Handwerk angeht?
Das ist schwierig. Die jüngsten wirklichen Schuhmacher sind nun auch schon vierzig. Niemand möchte das Schuhhandwerk mehr erlernen. Es hat an Anziehungskraft verloren, weil die Maschinen nun alles machen. Ich fertige noch jeden Prototyp persönlich an und lasse nichts in China oder Indien produzieren. Ist mir absolut egal, ob das teurer ist, aber dagegen werde ich mich bis an mein Lebensende wehren. Warum soll ich meine Schuhe nur für ein paar Rappen weniger am anderen Ende der Welt herstellen lassen? Das können die Kinder machen wie Dries Van Noten – den ich übrigens sehr bewundere. Ich bin zu alt dafür! Unsere Fabriken waren schon immer in Italien, und ich besuche sie ständig. Trends interessieren mich nicht, weder was das Design noch was die Produktion angeht.
Dafür sind Sie aber ganz schön trendy. Sie kooperierten kürzlich mit einem der hippsten Labels überhaupt: Vetements!
Die kamen einfach in mein Büro und ich habe sie sofort verstanden. Niemand überredet mich, etwas zu tun, nur weil es hip ist. Ich folge keinen Trends, ich bin 75, ich mache nur das, worauf ich Lust habe. Aber ich mochte die Energie der beiden Gvasalia-Brüder, ich habe gespürt, dass sie etwas Besonderes sind.
Ging Ihnen das mit Rihanna auch so? Auch mit ihr ergab sich eine längere Zusammenarbeit.
Ich bitte Sie, wie kann denn irgendjemand Rihanna einen Wunsch abschlagen? Sie ist so wunderschön! Diese Augen! Und wie sie sich bewegt! Aber ich muss mit diesen Kooperationen aufhören, das ist zu viel für einen alten Mann. Ich kann doch nicht ständig herumfliegen und Rihanna besuchen.
Können Sie den Charakter eines Menschen an seiner Schuhwahl erkennen?
Ach was! Ich bin doch keine Hexe! Früher habe ich aber immer allen als Erstes auf die Schuhe gestarrt, dann habe ich gemerkt, dass das wohl unhöflich ist.
Woher kommt überhaupt Ihre Faszination für Schuhe und Füsse?
Von Statuen und Gemälden. Ich habe viel Zeit in Museen verbracht und konnte oft stundenlang die Marmorfüsse bewundern. Ich hatte aber nicht nur schöne Erfahrungen mit Füssen, das sage ich Ihnen. Als ich ein Kind war und auf den Kanarischen Inseln aufwuchs, sind meine Schwester und ich jeden Samstagnachmittag ins Kino gegangen. Das Kino war immer voll mit Soldaten, es war heiss, und die Soldaten trugen ihre schweren Stiefel. Ich musste oft das Kino verlassen, weil diese Männer schwitzten in ihren Socken und es nach Schweissfüssen stank. Diese Gerüche! (schreit auf) Ich bin sensibel, ich weiss. Müsste ich je ins Gefängnis, ich würde mich sofort umbringen, weil ich die Körpergerüche nicht ertragen könnte. Diese Wurstfüsse überall! Ich könnte niemals in einem Schuhladen arbeiten. Wissen Sie, wo ich die allerschönsten Füsse gesehen habe? Bei den Fischern in Sizilien. Unglaublich sanfte, saubere und weiche Füsse, weil sie den ganzen Tag lang im Sand herumlaufen.
Sind Sie ein Fussfetischist?
Nein, ich bin nur ein Bewunderer. Ich will keine Füsse und Zehen lutschen, wenn Sie das meinen! Höchstens Füsse von schönen Statuen küssen, aber doch nicht von Menschen! Ich will Füsse einfach nur ansehen und mit meinen Schuhen noch schöner machen. Wussten Sie eigentlich, woher die Mules stammen? Aus italienischen Bordellen. Es war damals ein grosses Ding, die Zehen der Prostituierten zu lutschen, und damit man keine Zeit beim Ausziehen der Schuhe verlor, trugen die Damen Mules – die konnte man einfach so, schwupp, schwupp, wegkicken und dann ging es zur Sache.
Haben Highheels immer etwas mit Sex zu tun?
Nun, ein hoher Schuh hat immer eine sexuelle Komponente, allein schon, weil man sich darin sinnlicher bewegt. Aber ich kann das eigentlich nur vom Hörensagen beurteilen, Sexualität bedeutet mir persönlich nichts. Allerdings bekomme ich viel Feedback von meinen Kunden und ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen, eine Fantasie vereint die meisten Männer auf der Welt: Egal ob sie dick oder dünn, alt oder jung ist – sie wollen die Frau nackt in Highheels sehen! Kein anderes Kleidungsstück der Welt hat offenbar eine solche sexuelle Anziehungskraft wie ein Highheel.
Halten Sie den Stiletto für ein Symbol der Stärke?
Ach, das Wort mag ich gar nicht. Stiletto klingt wie eine Waffe aus einem billigen italienischen Macho- Mafiafilm! Ich finde das Wort nicht elegant. Ein Symbol der Stärke? Nun, das war in den Achtzigern so, als sich alles um Powerdressing drehte. Die Frau von heute hat längst verstanden, dass sie genauso stark ist, wenn sie gar nichts trägt. Frauen sind den Männern ja sowieso überlegen. Sie sind immerhin für den Erhalt unserer Rasse verantwortlich. Was tun denn die Männer? Sie lassen ihre Samen da und hauen ab! Frauen sind einfach komplettere Wesen als Männer, sie machen mehr Sinn. Und sie bewegen sich so viel schöner. Bewegung ist alles! Egal ob eine Frau schön ist oder nicht, wenn sie sich richtig bewegt, dann kann sie alles haben.
Haben Sie eine Meinung zu Sneakers?
Ich mag sie nicht. Leute, die Gummisohlen tragen, stinken, und ausserdem geht man damit wie ein Bauer. Zudem finde ich es lächerlich, dass man mit Hässlichkeit noch schockieren will. Da muss ich gähnen, wen schockt das denn noch? Ich habe übrigens absolut kein Problem mit flachen Schuhen: Denken Sie nur daran, wie elegant und sinnlich Brigitte Bardot in Ballerinas war. Die Arme, ist jetzt im Kreuzfeuer der Kritik, für ihre Äusserungen zur #MeToo-Debatte. «Blöde Amerikaner, die Männer sollen doch mit uns flirten, uns Komplimente machen und uns Frauen sogar anfassen, wenn uns das Spiel gefällt!», hat sie gesagt. Man muss heutzutage ja sehr aufpassen, was man sagt. Ich finde, die Amerikaner übertreiben. Man hat ja direkt Angst, eingesperrt zu werden, wenn man ein bisschen flirtet. Und jetzt ruinieren sie Karrieren von Künstlern wie dem grossen Bruce Weber! Die PR-Verantwortliche unterbricht ihren Chef. «Mr. Blahnik, wir sollten langsam zum Ende kommen.» Ach, hören Sie doch auf, ich möchte weiterreden! Nun ja, zurück zu den flachen Schuhen – die kleine Audrey Hepburn hat ihre ganze Karriere auf Ballerinas aufgebaut. Und wenn die nicht sexy war, dann weiss ich auch nicht.
Sie wollten eigentlich Kleider designen. Diana Vreeland, die legendäre «Vogue»-Chefin, hat Ihnen dann aber den Tipp gegeben, sich ausschliesslich auf das Designen von Schuhen zu konzentrieren. Haben Sie ihren Rat unverzüglich angenommen?
Oh ja, ich habe beim Treffen mit ihr kein Wort herausgebracht, aber sie sagte zu mir: «Junger Mann, machen Sie Extremitäten!» Danach habe ich kein einziges Kleidungsstück mehr gezeichnet, nur noch Schuhe. Sie hat es als ihre persönliche Aufgabe angesehen, junge Talente zu fördern. Ohne Mrs. Vreeland hätte ich keine Karriere gemacht. Was für eine wunderbare Frau, Gott hab sie selig! Selbst auf dem Totenbett sah sie noch umwerfend aus.
Finden Sie, es gibt heute vergleichbare Figuren?
Nur noch Anna Wintour. Sie hat John Galliano gemacht, sie hat Marc Jacobs gemacht. In den jüngeren Generationen gibt es niemanden mehr, der diese Rolle einnimmt. Die promoten höchstens noch sich selbst.
Ich muss Sie das einfach fragen: Lieben Sie Schuhe mehr als Menschen?
Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber ich finde Beziehungen irgendwie unzivilisiert. Können Sie sich denn vorstellen, mit jemandem zusammenzuleben, der atmet?
Eigentlich schon …
O Gott, nein! Wenn man mit jemandem zusammenlebt, muss man immer erklären, woher man kommt und wohin man geht. Vielleicht bin ich einfach zu egoistisch, aber ich finde das unvorstellbar. Wenn jemand neben mir schnarchen würde, nein! Oder atmen! Und dann noch Mundgeruch hat! (schweigt eine Weile und dreht sich zum Fenster) Aber es gibt wohl auch gute Beziehungen. Meine Eltern haben sich geliebt bis zum bitteren Ende und nie ein schlechtes Wort übereinander verloren. Schuhe können offenbar ihren Anteil an einer guten Beziehung haben: Viele Männer haben mir schon ihren Dank ausgesprochen, weil ich mit meinen Schuhen ihre Ehe gerettet hätte. Ich sage dann jeweils: «Sehr schön, dann sollten Sie Ihrer Frau noch mehr Schuhe kaufen!»