Warum ehemalige Models wie Lina Scheynius oder Zosia Prominska ihre Karriere aufgaben, um selbst zu fotografieren.
Für erfolgreiche Models gehören Scheinwerfer, Blitzlicht und internationaler Ruhm zum Daily Business. Doch nicht für alle ist es ein Traumjob. Wir haben mit ehemaligen Models gesprochen, die sich trotz vielversprechender Karrieren auf internationalen Runways und Magazintiteln gegen das Modeln entschieden haben und sich nun dem Leben hinter der Kamera widmen.
Auf der anderen Seite des künstlerischen Prozesses
Das ehemalige polnische Model Zosia Prominska (31), die unter anderem das Cover der polnischen «Harper’s Bazaar» zierte und auf dem Runway für Designergrössen wie Marc Jacobs lief, realisierte bei einem Shooting mit Mario Testino für die britische «Vogue», dass sie nun definitiv die Perspektive wechseln wollte: «Ich hatte das Glück, mit einigen der weltbesten Fotografen zusammenzuarbeiten. Wenn du vor der Kamera stehst, spürst du das Licht auf dir, aber den Rahmen, in dem du dich befindest, findet nur in deiner Vorstellung statt. Auf der anderen Seite der Kamera hast du die Freiheit, dich auszuleben, hast die Kontrolle über das Bild – weil du den Rahmen mit deinen Ideen kreierst.»
Kritik am Modelbusiness
Obwohl für alle von uns befragten Fotografinnen und Fotografen die Leidenschaft zur Kunst im Fokus steht, gab bei einigen auch der Alltag als Model den Anlass dazu, auszusteigen. Die schwedische Fotografin Lina Scheynius (36) übt im Interview mit annabelle (in der aktuellen Ausgabe 04/17) scharfe Kritik an der Modelbranche. Die Erfahrungen seien besonders für einen Teenager traumatisierend: «Die ständige Ablehnung, das ständige Beurteiltwerden, die krummen Ideale. (…) Ich kenne keinen Teenager, der mit seinem Körper zufrieden ist, und die kleinste Kritik hat in diesem Alter eine unglaubliche Wirkung. Models fangen alle als Teenager an. Paris und Mailand waren furchtbar, man sagte mir ständig, dass ich zu dick bin. Im Modelapartment waren ungesunde Wege, um dünn zu bleiben, an der Tagesordnung.»
Doch für Christopher McCrory (24) ist die Kunstszene gar härter als das Modelbusiness. Er wurde zufällig auf der Tanzfläche während eines Festivals von einem Modelscout entdeckt. «Modeln ist sehr lukrativ, wenn man den richtigen Look und Agenten hat. Zwar behandeln dich Modelagenturen, PR-Firmen und Fotografen tatsächlich oft alles andere als gut, doch am Ende hat man für dreiminütiges Posen einen Check über dreitausend Franken. Als Künstler Geld zu verdienen – das ist beinahe unmöglich.»
Dank Modelerfahrung zum besseren Bild
Einig sind sich die ehemaligen Models jedoch darin, dass ihre Modelerfahrung einen grossen Einfluss auf die Fotografie hat. Die Schweizerin Ellin Anderegg (31) ist froh, selbst erfahren zu haben, wie man sich als Model am Set fühlt: «Ich habe über die Branche viel gelernt. Ich versuche, die Models, mit denen ich jetzt arbeite, nie einfach als Kleiderständer zu sehen, sondern als fester Bestandteil meines Teams.» Auch für Zosia Prominska ist dies ein wichtiger Punkt: «Man lernt natürlich auch viel über das richtige Licht, die Komposition eines Bildes, das Styling – aber besonders, wie man sich als Person im Scheinwerferlicht fühlt. Ich möchte, dass sich die Person vor meiner Kamera wohlfühlt, und sich öffnen kann – erst dann erhält man ein lebhaftes, natürliches Bild. Das ist mein Ziel bei der Arbeit.»
Für Christopher McCrory ist die Natürlichkeit ebenso ausschlaggebend: «Ich will mit meinen Fotografien die Realität abbilden – im Gegensatz zu vielen anderen Modefotografen. Am liebsten fange ich das wahre Leben und die Emotionen ein, und versuche mit der Umgebung eine Atmosphäre zu kreieren.»
1.
«An der Fotografie hat mich immer fasziniert, den Charakter einer Person und ganz besondere Momente festhalten zu können. Als Model mochte ich die Shootings am liebsten, in denen ich die Chance hatte, mich selbst etwas in den kreativen Prozess einzubringen und die Mode auf meine Art zu interpretieren. Dieses Glück haben nicht alle, aber da merkte ich, dass es mich auf die andere Seite der Kamera zieht.»
Einen Überblick über Zosia Prominskas Arbeiten finden Sie hier
2.
Lina Scheynius fühlt sich von der Modewelt angezogen und gleichzeitig angeekelt. Nachdem Sie erst das Modeln aufgab, kehrte sie nun auch der Modefotografie den Rücken und beschäftigt sich nur noch mit Kunst. In diesen Selbstporträts beschäftigt sie sich mit der Frage nach Intimität.
(Bild: Lina Scheynius, Me in Antwerp Autumn 2013, Courtesy of Christophe Guye Galerie/Zürich)
3.
Auf die Frage nach den Gründen sagt Lina Scheynius im Interview mit annabelle: «Es gab Fotoshootings, an denen ich angefangen habe zu weinen, weil ich so unglücklich war. Fotografie ist für mich Freude, aber bei den Fotoshootings in der Werbeindustrie fühlte ich mich wie ein Roboter, und ein Roboter fühlt keine Freude.»
(Bild: Lina Scheynius, Me in Antwerp Autumn 2013, Courtesy of Christophe Guye Galerie/Zürich), ihre Arbeiten finden Sie hier
4.
Christopher McCrory wurde bereits während des Erwachsenwerdens vom Wunsch begleitet, gewisse Momente und Emotionen fotografisch zu dokumentieren. «Durch das Modeln kam ich in die Modebranche. Dadurch lernte ich Designer und Castingdirektoren kennen. Das war meine Chance, meine Fotografien und Ideen zu pitchen.»
Einen Überblick über Christopher McCrorys Arbeiten finden Sie hier
5.
Die Schweizerin Ellin Anderegg möchte mit der Fotografie ihre eigene Wunschwelt festhalten. Sie fing gleichzeitig an zu fotografieren wie zu modeln, wusste aber bald, dass sie sich längerfristig nur noch der Fotografie widmen wollte: «Das Modeln selbst wurde Mittel zum Zweck. Mir fiel es immer schwerer, mich als Model wohlzufühlen. Hinter der Kamera kannst du über das Bild bestimmen und deine Kreativität ausleben.»
Einen Überblick über Ellin Andereggs Arbeiten finden Sie hier