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Designer Johnson Hartig im Interview

Stil

Designer Johnson Hartig im Interview

  • Redaktion: Jacqueline Krause-Blouin; Foto: Getty Images

Mit seinen lebensfrohen Entwürfen aus Vintage-Pieces war Libertine-Chefdesigner Johnson Hartig (54) Pionier der Green Fashion. Der liebenswürdige Outsider mit Hang zur Selbstüberschätzung über Dummheit und Erleuchtung in der Modeindustrie.

annabelle: Johnson Hartig, wie fühlt es sich an, die fertige Kollektion in den Händen zu halten?
JOHNSON HARTIG: Wunderbar, denn ich gehe jedes Mal durch die Hölle. Jede Saison das Gleiche, ich fühle mich total selbstbewusst in dem, was ich vorhabe, und schon kommt der komplette Zusammenbruch. Jedes Mal! Jedes Mal denke ich, alles, was ich tue, sei lächerlich und werde nie funktionieren. Und dann beruhigt mich mein Team, und wir knallen alle Entwürfe auf den Boden. Dann fängt das Leben an.

In Ihrer aktuellen Kollektion findet man Zigarettenstummel-Prints, Bilder des Mount Everest – aber auch das Thema «Monster Sexting». Kommen all die verrückten Ideen nach dem Nervenzusammenbruch?
Die besten Ideen kommen im Zustand zwischen Schlafen und Wachsein. Das ist eine unglaublich kraftvolle Phase, eine Form von meditativem Zustand. Ich kann mich immer darauf verlassen – deswegen mache ich auch jeden Tag, ohne Ausnahme, eine Siesta.

Die etwas älteren Semester des Rock’n’Roll, Mick Jagger, Elton John oder Damien Hirst, tragen schon lange Libertine. Wie haben Sie es geschafft, auch die junge Generation zu überzeugen? Taylor Swift trug kürzlich Ihre grüne Bomberjacke.
Ich habe absolut rein gar nichts dafür getan. Die Stars kaufen meine Sachen ganz normal im Laden. Wir waren noch nie ein Label, das den Stars umsonst Samples zur Verfügung stellt. Ehrlich gesagt, war es auch nie mein Ziel, dass Celebritys meine Sachen tragen. Fantastische alte Ladys finde ich viel cooler.

Ein Hipster-Rapper wie Tyga findet also Sie – nicht umgekehrt?
Mit den Hip-Hoppern war es so: Vor zwei Jahren hatte ich einen Anfall von Midlife Crisis. Ich ging in diesen Laden in L. A., der vor allem britische Designer führt, und kaufte die verrücktesten Teile, die ich je gesehen hatte. Damit flog ich zur Art Basel nach Miami. Nach einem Frühstück mit einer Freundin im «Ritz» spekulierte plötzlich ganz Miami darüber, wer wohl ihr neuer Freund sei. Man nannte mich offenbar nur noch den Hip-Hop-Mogul. Das ist doch perfekt! Hip-Hop-Mogul, das ist mein Style! (lacht) Also habe ich mir überlegt, die Männerlinie genau in diese Richtung zu bringen. Es hat geklappt! Nach rund einem Jahr trugen alle Hip-Hop-Stars meine Sachen – von Jay-Z bis P. Diddy. Tyga schrieb sogar einen Song über mein Label, «Libertine Swag». Früher rappten all die Rapper immer über Gucci und Louis Vuitton, und ich fragte mich sehnsüchtig, ob ich es jemals in einen Hip-Hop-Song schaffen würde.

Nun, das neue Gucci kommt nicht mehr so gut an bei den Rappern, oder?
Naja, das ist eine traurige Geschichte. Also dieses neue Gucci ist sehr Libertine-like, muss ich leider sagen. Das nervt ein bisschen. Aber man merkt es auch bei anderen grossen Labels: Valentino, Dolce & Gabbana – alle sehr sehr stark von Libertine inspiriert. 

Ist das Ihre eigene Einschätzung, oder hören Sie das häufiger?
Nein, ich bin nicht der Einzige, der das so sieht! Der Fashion Director von Neiman Marcus zum Beispiel hat mich auch darauf angesprochen. Es macht mich etwas wütend, weil diese Häuser viel grösser sind und so all die Lorbeeren ernten. Aber was solls. Diese Ästhetik ist meine DNA, ich mache das seit Jahrzehnten. Die anderen müssen bald wieder etwas Neues bringen, weil es sonst langweilig wird. Ich kann bei meiner Ästhetik bleiben, weil ich sie erfunden habe. Ich treffe immer sehr klare Entscheidungen, und das erkennt man. Mein Therapeut hat mir gesagt, dass ich zu Schwarzweissdenken neige. Nun, das ist vielleicht im Leben nicht einfach, aber im Design ist es super.

Wie ist es für einen California Boy wie Sie, in New York zu zeigen?
Ach, eigentlich möchte ich lieber nach London. New York nervt nur noch. Mich nerven die Kardashians!

Kommen die denn zu Ihren Shows?
Nein, bis jetzt haben wir sie immer abgelehnt. Obwohl Kendall uns gerade wieder eine Anfrage geschickt hat. Manchmal denke ich mir – vielleicht sollten wir sie doch reinlassen und damit ein paar Millionen Follower auf Instagram absahnen.

Wenn man Karl Lagerfeld als prominenten Fan hat, hat man das doch nicht nötig!
Ach, ich glaube, Karl ist gerade durch mit uns. Er durchläuft Phasen. Vor einer Weile war er total besessen von Libertine, kam in unser Studio und kaufte einfach jedes einzelne Stück! Einmal waren wir im gleichen Hotel in New York, und als ich gerade beim Frühstück sass, sah ich die gesamte Chanel-Crew vorbeilaufen – von Kopf bis Fuss in Libertine! Ein anderes Mal bat er mich, ihm ein paar Sachen auszuwählen, weil er selbst keine Zeit hatte. Als ich mit den Taschen ins Hotel zurückkam, stand da schon Karl und rief: «Lass uns in mein Zimmer gehen, ich will alles anprobieren!» Ich sah, dass es in Karls Zimmer eine Badewanne gab, anders als in meinem. Und ich bin süchtig nach Baden, das sage ich Ihnen, ich nehme jeden Tag ein Vollbad. Er muss meine Gedanken gelesen haben, denn er sagte: «Johnson, nimm doch ein Bad!» Aber ich kann doch nicht in Karl Lagerfelds Badewanne herumplanschen! Nun, er bestand darauf. Fünf Minuten später kam sein Assistent und sagte: «Ich hoffe, Sie mögen Chanel No 5!» (lacht) Das war einer der surrealsten Momente meines Lebens.

Nicht erst seit Hedi Slimane eine Kollektion in L. A. gezeigt hat, wird die Stadt als neue Modemetropole gehypt – wie sehen Sie das als Einheimischer?
Ich höre das jeden Tag, und ich kann es einfach nicht verstehen. Ich wurde hier geboren, bin hier aufgewachsen. Ich sehe absolut nichts Interessantes in L. A. Ich kann zehn Kilometer fahren und nichts Spannendes sehen. Diese Schafmentalität ist typisch für die Modeszene – wenn die Leute etwas oft genug wiederholen, glauben es alle. Aber was ich über die Modeindustrie gelernt habe, ist, dass es sich nicht gerade um die intelligentesten Menschen handelt. Sie sind auch eigentlich nicht besonders kreativ, was ja sehr enttäuschend ist bei einer solch dynamischen, kreativen Kunst. Und die Obsession mit Prominenten ist total aus dem Ruder gelaufen. Dabei ist es doch so: Wenn ein Star deine Klamotten trägt, generiert das nicht mehr Verkäufe. Wir haben nicht ein Teil mehr verkauft, nur weil Taylor Swift die verdammte Jacke anhatte. Die Leute, die Taylor Swift gut finden, können sich unsere Sachen eh nicht leisten. Wissen Sie, manchmal fühle ich mich wirklich als Outsider in der Modebranche, weil ich viel mehr verstehe als die anderen.

An Ihrer Show trugen die Models Plakate mit Sprüchen wie «Bernie 4 Eva». Wie politisch soll Mode sein?
Ich denke, nicht nur die Mode, einfach alles sollte politischer sein. Unser Planet stirbt vor unseren Augen, und es gibt nur einen einzigen US-Präsidentschaftskandidaten, der das versteht: Bernie Sanders. Also musste ich das einfach tun. Ich habe zwar ein paar gute Kunden, die Republikaner sind (lacht), aber sollen sie doch denken, dass ich total naiv bin! Die USA haben eine sehr tiefe Wahlbeteiligung, trotz des ganzen Wahl-Entertainments. Der Plan der Regierung war, uns einfach verdummen zu lassen, damit die ihr Ding durchziehen kann.

Und da kann ein harmloses Plakat an einer Fashionshow irgendetwas bewirken?
Wissen Sie, ich war vor zwanzig Jahren bei einem Wahrsager. Er sagte mir schon damals, es wird eine verrückte, nie da gewesene Zeit kommen, in der Banken bankrottgehen und Gebäude einstürzen werden. Auf der Welt gibt es Menschen, die man Lichtarbeiter nennt – die müssen aktiv gegen die bösen Mächte vorgehen. Ich sei so einer und hätte eine sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen. Also denke ich manchmal daran, und wenn mir bei einer Show 500 Leute zuschauen, dann nutze ich das für eine Message.

Sie gelten als Vorreiter im Bereich Green Fashion, gehört das auch zu Ihrer Arbeit als Lichtarbeiter?
Nun, die Arbeit mit Vintage-Stücken war in unseren Anfängen einfach das Einzige, was ich und meine damalige Partnerin machen konnten. Wir trugen beide ausschliesslich Vintage-Kleidung und machten aus den alten Stücken etwas Neues. Vintage war verfügbar und günstig, und wir konnten sehr schnell produzieren. Ich bin jemand, der immer sofort Resultate sehen muss, sonst verliere ich das Interesse. Wir mochten die Idee, nicht einfach noch mehr auf den Planeten zu schmeissen, sondern mit dem, was wir haben, zu arbeiten. Also war das wohl schon sehr grün gedacht, bevor man die Bezeichnung überhaupt auf diese Weise benutzte.

Auch das Trendlabel Vetements arbeitet mit der Dekonstruktion von Vintage-Stücken. Sind Sie ein Fan?
Ich hatte noch nie von Vetements gehört, bis eine Kundin von mir mit einem Pullover von denen herumlief. Dann erwähnte sie jedoch Kanye West. Da war es vorbei bei mir.

Sie lehnen also ein ganzes Modekollektiv ab, nur weil ein verrückter Rapper dessen Hoodie trägt?
Ich kann diesen Typen einfach nicht ertragen. Er ist ein komplett durchgeknallter Soziopath. Und er hat nichts von Nutzen zu diesem Planeten beigetragen. Alles, was auch nur im Geringsten mit Kanye West zu tun hat, will ich von mir fernhalten. Aber der Hoodie war cool.

Dabei möchte Kanye West doch nur Teil der Modewelt sein.
Das ist doch gar nicht erstrebenswert! Ich war gestern an einer Fashionparty. Oh Gott, wacht auf! Wie ernst da alle waren! Was soll das für eine Party sein, wo keiner lacht? All diese Eitelkeit und Unsicherheit. Wir bei Libertine nehmen uns selbst nicht so ernst.

Aber Unsicherheit kennen Sie schon, oder?
Aber ja! Als ich das erste Mal Anna Wintour treffen sollte, war ich zum Beispiel auch sehr unsicher. Ich hatte etwas gegen die «Vogue», weil wir damals schon sehr gut ankamen und alle Magazine über uns berichtet hatten, nur die «Vogue» nicht. Brad Pitt war verrückt nach Libertine! Endlich riefen sie doch noch an, die Wintour wolle mich sehen. Am Tag davor sagte ich meinem Therapeuten, dass ich nicht hingehen würde, aber er überzeugte mich. Also kreuzte ich dort auf und sagte: «Hallo, Anna Wintour, ich hatte sehr viel Angst vor diesem Treffen, und mit der Hilfe meines Therapeuten habe ich herausgefunden, dass Sie für mich eine Projektion meiner Mutter sind. Also ist es sehr wichtig für mich, dass Sie mir sagen, wie toll Sie meine Kleidung finden. Bevor ich sie Ihnen zeige.» Sie lachte sich kaputt und erzählte allen diese Story. Danach wurde sie eine grosse Unterstützerin.

Und Cher nennt Sie ihren Lieblingsdesigner.
Naja, da muss ich Ihnen etwas beichten. Eine Freundin von mir war Stylistin von Cher und machte sie mit Libertine bekannt – danach trug sie es ständig. Eines Tages durfte ich sie bei einem Konzert treffen, also schrieb ich mir selbst eine Karte, auf der stand: «Lieber Johnson, du bist wirklich der Grösste und bei weitem mein liebster Designer, mein Engel!» Als ich sie dann endlich traf, bekam ich kein Wort heraus, aber ich liess sie die Karte unterschreiben. Nun sieht es so aus, als hätte Cher mir einen Liebesbrief geschrieben (lacht).

Und jetzt hängt Cher mit Marc Jacobs rum …
Ja, jetzt! Marc war ungefähr 13 Jahre zu spät dran! Cher ist mein Model. Aber ich kenne das ja. Es ist eben Segen und Fluch zugleich, seiner Zeit voraus zu sein.

Das Buch von Johnson Hartig: Libertine. The Creative Beauty, Humor, and Inspiration Behind the Cult Label. Rizzoli, New York 2015, 256 Seiten, ca. 60 Franken