Zu Beginn sei klargestellt, dass ich nicht so weit gehe, das Revival des Jogginganzugs als modische Mutation des Coronavirus zu verunglimpfen. Noch bin ich eine der Lagerfeld-Jüngerinnen, die bekanntermassen das Tragen von Trainingshosen mit einem Kontrollverlust über das eigene Leben gleichsetzen. Ich habe einfach nur eine ungemein mondänere Lösung gefunden, den eintönigen Homeoffice-Tage zwickfrei und bequem, dabei aber mit unschlagbarer Grandezza begehen zu können. Kurzum, ich plädiere für den Kaftan als den neuen Jogger!
Zugegeben, ich bin ganz grundsätzlich eine grosse Freundin dieser «Ist das neue»-Mechanik. Ihr wisst schon: vierzig das neue dreissig, Weiss das neue Schwarz, Erythrit der neue Zucker. Immer steht am Ende der Metamorphose etwas vermeintlich Besseres. Der Tausch von Kaftan gegen Jogger ist dabei über jeden Vorwurf der Mogelpackung erhaben und bildet sowohl optisch, mental – ach, was sag ich! – auch gesellschaftlich einen Zugewinn. Denn auch wenn ich dank Instagram weiss, was Chiara Ferragni und Milena Karl mit Stiletto-Heels und Crop-Tops aus den Baumwoll-Ensembles rausholen, – sobald ich selbst drinstecke, umweht mich der Hauch von Fliegerseide und Campingplatz. Und jetzt erzählt mir mal, wie man da selbstsicher vor die Zoom-Kamera treten soll? Im Jogger arbeiten zu wollen, ist in meinem Falle jedenfalls ähnlich Erfolg versprechend wie trockenen Fusses eine Wattwanderung zu absolvieren. Nicht zuletzt, weil diese Camper-Jogger-Assoziationskette in mir den unablässigen Wunsch nach einer Dose eiskaltem Heineken weckt.
Königlich wie Liz Taylor
Wenn ich aber meinen nachtblauen, kunstvoll bestickten Kaftan von Tory Burch überstreife, passiert etwas mit mir. Mein Gang an den Schreibtisch wird leichtfüssig, eine Erhabenheit ergreift Besitz von mir und ich bin versucht, die Sideboard-Wand runterzurutschen und dem ikonischen Marokko-Dachterrassen-Foto von Talitha Getty nachzueifern. Mein seidiges Etro-Exemplar indes besticht mit Fledermausärmeln, die bei jeder Bewegung leicht mitschwingen und sich fantastisch mit einem Schwung melodisch klingender Armreifen verstehen – super geeignet, um gleichermassen gestenreich und kreativ Konversation zu bestreiten.
Selbst bei der schlichten schneeweissen Baumwoll-Tunika von H&M überträgt sich die Souveränität einer Kaftan-Königin à la Liz Taylor auf mich und mein Start in den Tag ist nicht anders zu nennen als: majestätisch. Für mich zumindest unbestritten ist also, wie Kleidung in der Lage ist, mein aktuelles Lebensgefühl zu heben und so auch meine Produktivität zu steigern. Leibchen zur Leibesertüchtigung indes verschwinden bei mir nun ein für alle Mal in der Sportschublade.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das wohl Allertollste am Kaftan ist, dass es weder Heels noch Bauchweg-Scheiss braucht, damit man einfach nur grossartig aussieht und dabei tiefenentspannt durch den Tag kommt. Selbst wenn man barfuss ist, verliert der Look nicht an Eleganz; leuchtender Lidschatten und Statement-Schmuck verleihen eine wohltuende Prise Drama, und jeder Gang am Spiegel vorbei wirft einzig und allein die stille Frage zurück, wie aus einem schnöden Homeoffice-Tag eine solch gelungene kleine Studio-54-Party werden konnte.
Liebe Sarah
Dieser Artikel ist so lustig und charmant geschrieben, ich kaufe mir jetzt einen Kaftan. Aber zuerst google ich dich und lese alle Artikel von dir, die ich finden kann.
Beste Grüsse
Judith
Oh liebe Judith, jetzt freue ich mich aber sehr, ganz herzlichen Dank für die lieben Worte – und viel Spass mit deinem neuen Kaftan, herzlich: Sarah