Chronische Schmerzen: Diagnose Fibromyalgie
- Redaktion und Interview: Helene AecherliIIllustration: Nicole Schmauser
Nathalie Haberthür leidet seit ihrer Kindheit an chronischen Schmerzen. Mit 33 Jahren erhielt sie die Diagnose: Fibromyalgie.
ANNABELLE: Nathalie Haberthür, wie würden Sie Ihren Schmerz beschreiben?
NATHALIE HABERTHÜR: Als etwas Brennendes, Stechendes, das wie aus dem Nichts auftaucht und wellenartig über Rücken und Halswirbel bis zu den Füssen hinunterwandert. Mal fühlt sich der Schmerz an, als würde man mir mit einem Messer in den Körper stechen, mal so, als hätte ich extremen Muskelkater.
Und diese Schmerzen haben Sie seit Ihrer Kindheit?
Ja, mit etwa sechs Jahren begannen die Rückenschmerzen, zwei Jahre später die Migräneattacken. Dazu litt ich an Konzentrationsstörungen, Gedächtnisverlust, Reizdarm und Schlafstörungen, was die Schmerzen verstärkte.
Sie erhielten die Diagnose Fibromyalgie im Alter von 33 Jahren. Warum so spät?
Fibromyalgie ist schwer zu diagnostizieren, da es keine klare Schmerzursache gibt. Viele Ärzte glaubten mir nicht. Oft musste ich sagen: «Hey, ich bin keine Simulantin. Ich habe die Schmerzen wirklich!» Zudem bin ich in allem eine Perfektionistin, sogar wenn es darum geht, mich zusammenzureissen.
Eine typische weibliche Eigenschaft. Auch die Fibromylagie gilt als Krankheit der Frauen.
Frauen erkranken bis zu neun Mal häufiger als Männer, das stimmt. Aber Patientinnen wie Symptome der Fibromyalgie sind zu verschieden, als dass man hier auf ein Muster schliessen könnte.
Es heisst, die Krankheit sei unheilbar. Wie haben Sie gelernt, damit zu leben?
Indem ich erst meine Therapiestrategie überprüfte: Rheumamittel haben nichts genützt, Psychopharmaka verringerten zwar meine Ängste, führten jedoch dazu, dass ich mich selbst nicht mehr spürte. Also analysierte ich, was mich im Alltag am meisten belastete: Die Schlafstörungen. Ich erstellte ein Schlafhygieneprotokoll, schrieb auf, wie lange ich unter welchen Umständen schlief. Parallel dazu machte ich Yoga, Akupunktur, Fussreflexzonenmassage und bewegte mich viel in der Natur. Das baute Stress ab und linderte den Schmerz. Das Wichtigste war eine pränatale Körperpsychotherapie. Sie half mir, den Schmerz bis in die Zellen zu verfolgen.
Wie funktioniert das?
Ich fragte mich: Was habe ich erlebt, das mir Schmerzen verursacht? Welche Denkmuster sind in mir, die mir nicht gut tun?
Was haben Sie dabei entdeckt?
Dass der Schmerz vor allem dann auftaucht, wenn ich Grenzen überschreite, angespannt bin oder mich in einer Konfliktsituation befinde. Ich musste lernen, das Leben gelassener anzugehen, und vor allem: auch mal Nein zu sagen.
Welche Rolle spielt der Schmerz in Ihrem Leben?
Ich betrachte ihn als Ratgeber, der mich lehrt, mir Sorge zu tragen. Mittlerweile komme ich sogar ohne Medikamente aus. Das bedingt aber, dass ich ständig an mir arbeite, wenig Fleisch, dafür leichtere Kost esse, um das Verdauungssystem zu unterstützen. Zudem versuche ich bewusst im Hier und Jetzt zu leben.
Nathalie Haberthür (45) ist Präsidentin der Patientenorganisation Fibromyalgieforum,
Aktionswoche Rheuma 2012: Betroffene haben Gelegenheit, sich über das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) und chronische Schmerzen zu informieren. Die öffentlichen Gesundheitstage finden vom 3. bis 11. September in zwölf Schweizer Städten statt. www.rheumaliga.ch