Die Genferin Christine Nagel (59) ist eine der erfolgreichsten Parfumeurinnen der Welt. Für ihre Karriere habe sie einiges riskiert, sagt sie beim Treffen in Paris.
Christine Nagel hat alles erreicht, was man als Parfumeurin erreichen kann. Sie arbeitete bei den grössten Herstellern von Aromen und Duftstoffen der Welt, kreierte Dutzende von erfolgreichen Parfums und hat heute einen der begehrtesten Jobs der Branche, nämlich Hausparfumeurin des Traditionslabels Hermès. Dabei fing alles ganz anders an für die Tochter eines Schweizers und einer Italienerin, die in Vernier bei Genf aufgewachsen ist.
annabelle: Christine Nagel, Sie haben ursprünglich Chemie studiert.
Christine Nagel: Genau. Danach habe ich aber beim Aromen- und Duftstoffhersteller Firmenich in den Forschungslaboratorien gearbeitet. Eigentlich wollte ich die Parfumeur-Schule machen, aber man hat mich abgelehnt.
Wieso?
Weil ich eine Frau bin, weil ich nicht aus Grasse stamme und weil ich nicht die Tochter einer Nase bin. Damals war das noch so.
Und woher kam diese Haltung?
Die Parfumerie war zu dieser Zeit noch eine reine Männerdomäne. In meiner Generation gibt es viel mehr Männer als Frauen, die als Nase arbeiten. Ausserdem kam ich aus der Chemie. Das war gar nicht gefragt. Man wollte eher Leute mit einem geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Heute gibt es mehr Frauen in den Parfumeur-Schulen als Männer. Und inzwischen muss man mindestens zwei Jahre Chemie studiert haben.
Und wie sind Sie dann doch noch Nase geworden?
Man schlug mir bei Firmenich vor, dass ich lerne, ein Parfum zu analysieren. Das war nicht sehr kreativ, aber sehr komplex. Dort habe ich gelernt, bestehende Düfte nach ihren Inhaltsstoffen zu untersuchen. Heute gibts dafür Maschinen, aber damals musste ich meine Nase trainieren. So habe ich wirklich gelernt, ein Parfum zu studieren. Den letzten Schliff bekam ich dann vom französischen Starparfumeur Michel Almairac. Man muss eben daran glauben und es wirklich wollen!
Welche Ratschläge haben Sie in Ihrer Karriere befolgt?
Irgendjemand hat mir einmal gesagt: Die grosse Karriere in der Parfumerie bekommst du nicht auf einem Tablett serviert. Wenn dir eine Gelegenheit geboten wird, musst du sie schnell ergreifen und etwas riskieren. Ich glaube, als Frau bin ich immer mehr Risiken eingegangen, als ein Mann es getan hätte. Deshalb habe ich vor 22 Jahren auch mein Heimatland verlassen, um nach Paris zu gehen. Und das mit drei Kindern und einem Ehemann, der dort wieder angefangen hat zu studieren, weil er nicht arbeiten konnte, und schliesslich schnell wieder zurückging, weil es ihm nicht gefallen hat. Wir trennten uns. Ich blieb mit den Kindern in Paris.
Gab es noch andere Rückschläge?
Als ich mit 37 nach Paris kam, wurde mir bewusst, dass andere Parfumeure in diesem Alter schon Karriere gemacht hatten, während ich ganz am Anfang stand. Ich hatte viele Verpflichtungen, musste mich ja auch noch um die Familie kümmern. Damals habe ich schon kurz an mir und meiner Entscheidung gezweifelt. Aber bald war die Krise vorbei. Ich war immer Optimistin. Ich sagte mir, du hast zwanzig Jahre mehr technische Erfahrung als die jungen Parfumeure und mindestens genauso viel Enthusiasmus. Das hat geholfen. Und ganz allgemein: Düfte zu kreieren ist etwas sehr Emotionales. Aber am Schluss entscheidet die Konsumentin oder der Konsument, ob sie den Duft kaufen. Das ist das finale Verdikt. Bei einem guten Parfumeur werden von zehn Entwürfen vielleicht nur vier oder fünf realisiert. Das ist sehr hart, denn man investiert bei jedem Duft auch viel Herzblut. Aber das ist Teil des Metiers.
Ein Metier, das Sie immer noch lieben?
Und wie! Ich hatte sehr viel Glück mit meinen Jobs. Ich kann nämlich nur an einem Ort mit guter Atmosphäre arbeiten. Hermès gibt mir sehr grosse Freiheit und schränkt mich in keiner Weise ein. Jetzt bin ich eine der wenigen Parfumeure, die wirklich das machen können, was sie wollen.
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