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«Buy Now, Pay Later»: Wie Fast-Fashion zur Schuldenfalle wird

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«Buy Now, Pay Later»: Wie Fast-Fashion zur Schuldenfalle wird

Jetzt kaufen, später bezahlen: Dank solcher Angebote kann man Geld ausgeben, ohne es zu haben. Ein Traum, vor allem für die Fast-Fashion-Industrie. Das böse Erwachen droht der Kundschaft – und uns allen.

Eigentlich ist Jasmin Roth * in einem Alter, in dem man nur nach vorn schaut: Schulabschluss, Ausbildungsbeginn, erste grosse Liebe, erste eigene Wohnung, erstes eigenes Geld. Doch Jasmin Roth rechnet seit ein paar Monaten nur noch rückwärts. 150 Franken weniger Schulden. 300 Franken weniger Schulden. Es wird noch einige Monate dauern, dann hat Jasmin die 2000 geschafft. Sie fängt dann bei null an. Null Schulden.

Jasmin kann sich deutlich erinnern, wann das scheinbar grenzenlose Online-Shopping-Glück für sie begann. Es war Mitte 2021 und der entscheidende Satz lautete: «Kauf jetzt, bezahl später». Aber Jasmin kann nicht genau sagen, wann es kippte, sie immer mehr kaufte und der Schuldenberg so gross wurde, dass er ihr ganzes Einkommen verschlang.

T-Shirt von Adidas, Schuhe von Nike

Auf einem Balkon in einer Kleinstadt breitet Jasmin einige der Dinge vor sich aus, die ausser den Schulden aus dieser Zeit übriggeblieben sind: eine Apple-Watch für 431 Franken und ein Kleid von Superdry, 50 Franken, ein kuscheliger Einteiler, der aussieht wie ein Bärenkostüm. Jasmins T-Shirt ist von Adidas, die Schuhe von Nike.

Sie wirkt verschlossen, ihre Hände umklammern die Armlehnen des schweren grünen Gartenstuhls, der Blick ist gesenkt. «Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass ich das alles am Ende auch bezahlen muss. Ich bin einfach so damit umgegangen, als hätte ich das Geld», sagt die 21-Jährige.

Was da liegt, die Kleidung, die sie trägt, der Grossteil ihres Kleiderschranks, das alles gehört genau genommen jetzt ihrer Grossmutter, die ihr am Tisch gegenübersitzt. Sie hat die Schulden beglichen, die Jasmin nun bis auf Weiteres Monat für Monat bei ihr abstottert. Jasmin verdient als Pflegefachfrau in Ausbildung gut 1000 Franken im Monat.

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«Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass ich das alles am Ende auch bezahlen muss»

Wie ihr geht es Zigtausenden Menschen, die beim Online-Shoppen von Zahlungsanbietern wie Apple Pay, Klarna, Pay Pal, Lay Buy oder Clear Pay am Check-out zum Kauf auf Raten verführt werden. Buy Now Pay Later (BNPL) heissen diese Bezahlmodelle, bei denen Kund:innen ihre Zahlung bis zu dreissig Tage aufschieben oder die Kosten sogar in Raten auf mehrere Monate verteilt zahlen können.

«Buy Now, Pay Later»-Modelle wachsen rasant

Die Idee des Ratenkaufs ist nicht neu, aber was ihn zuletzt zu einem der heissesten Trends bei Finanzdienstleistungen und im Einzelhandel machte, ist die Zahlungsabwicklung online oder per App. Der weltweite BNPL-Markt wurde im letzten Jahr auf über 125 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll sich in den nächsten zehn Jahren fast verdreissigfachen. Die Anbieter machen Schulden wieder cool und werben mit Snoop Dogg und Asap Rocky für die «smoootheste Art, zu shoppen».

Klarna schaltete 2021 einen Werbespot beim Super Bowl, dem grössten Sportereignis der Welt, dreissig Sekunden auf dem Werbeolymp, 150 Millionen Menschen, die live zuschauen. Ein Kauf auf Raten, so heisst es auf der Klarna-Website, sei der sicherste Weg, um das zu bekommen, was man heute wolle. Bezahlen tut man erst nach und nach. Kein Haken. Ein Narr, wer direkt bezahlt.

Schuldenberater:innen halten Buy Now Pay Later für gefährlich. Nachhaltigkeitsexpert:innen sprechen von einem problematischen Konsum. Konsumentenschützer: innen warnen vor einer Schuldenfalle. Die britische Regierung hat eine strenge Regulierung des Bezahlmodells angekündigt. In Deutschland und der Schweiz startet Buy Now Pay Later indes durch.

Expert:innen besorgt über Entwicklung

Wie gross das Phänomen hier bereits ist, wurde noch nicht durchgerechnet, doch schon jetzt nutzen 74 Prozent der Schweizer:innen mindestens eine kontaktlose Zahlungsmethode per Handy beziehungsweise App, darunter auch Apple Pay und Pay Pal. Online bezahlen die meisten auf Rechnung.

Schuldenberater:innen und Finanzexpert: innen sehen in der Schweiz eine riesige Mikrokredit- Welle heranrollen: «Buy Now Pay Later wird mehr und mehr genutzt – und das macht mir extreme Sorgen», sagt die Finanzexpertin und ehemalige UBS-Spitzenbankerin Mara Catherine Harvey, die schon mehrere Geldratgeber für Eltern und Kinder verfasst hat.

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«Diese Bezahlmodelle leisten einen Beitrag zu einem problematischen Konsum»

Vor allem die Generation Z gilt als besonders offen für den Kauf auf Raten. Anders als ihre Eltern haben diese jungen Erwachsenen weniger Angst vor Schulden. Sie machen Tiktok-Posts von ihrer Shopping- Ausbeute, teilen Bilder von sich mit teuren Luxustaschen und Uhren und schreiben dazu: «Dank dir kann ich mir so was leisten», und meinen damit Klarna und Co. Unter #Klarnaschulden teilen sie ihre Rückstände.

Kredite auch mit kleinem Einkommen

An sich bedeuten BNPL-Bezahlmodelle, dass auch Menschen einen Kredit bekommen, die sonst wohl keine Kreditwürdigkeitsprüfung bestehen würden: Junge Menschen ohne oder mit kleinem Einkommen, Menschen mit wenig Geld, verschuldete Menschen. Fast jede:r kann mit den BNPL-Programmen zahlen. Es sind die kleinsten Kredite der Welt. Nur sind sie nicht weniger gefährlich.

Bei jedem Kauf werde bei Klarna «innerhalb von Millisekunden eine Kreditwürdigkeitsprüfung durchgeführt», erklärt das Unternehmen auf der Website. Dafür nutze man Tausende Datenpunkte. Wie genau das funktioniert, sei ein Betriebsgeheimnis wie die Rezeptur von Coca-Cola. Das Angebot sei besonders fair, weil Klarna nur kleine Beträge leihe und die Zahlungsziele kurz und überschaubar seien.

Überschuldungsrisiko steigt

Das sieht Fanny Froidevaux von der Schuldenberatung der Caritas anders: «Das Risiko der Überschuldung ist nicht geringer. Im Gegenteil.» Denn die Zielgruppe für diese Zahlungserleichterungen seien gerade Menschen mit niedrigem Einkommen oder Menschen, die bereits Schulden haben und sich keine grossen Ausgaben auf einmal leisten könnten.

«Ich bin jetzt erwachsen. Das ist mein Leben und meine Verantwortung», hat Jasmin ihrer Mutter vor ein paar Monaten wütend zugerufen, als diese die Sorge aussprach, die schon monatelang in ihr heranwuchs: «Du bist kaufsüchtig.»

Jasmins Schweigen danach traf Simone Roth *. Weil sie merkte, dass sie nicht mehr zu ihrer Tochter durchdringt. Dass sich Jasmins Wertesystem verändert. Wie fremd ihr die Art ist, wie ihre Tochter mit Geld umgeht. Die 44- Jährige hat bisher in ihrem Leben nie eine Kreditkarte besessen, nie Schulden gemacht: «Ich weiss nicht, wie Jasmin dazu gekommen ist.»

Aus Einsamkeit in die Kaufsucht gerutscht

Als Jasmin das erste Mal auf Pump shoppte, 2021, schien gerade vieles schwerer zu werden in ihrem Leben. Die Pandemie, das Leben allein in ihrer Wohnung, der Beginn ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau, Schichtdienst. Jasmin muss nun oft arbeiten, wenn ihre Freunde Freizeit haben.

Hat sie frei, ist Jasmin jetzt meist allein. Sie schaut Serien und scrollt nebenbei durch Online-Shops wie Asos und Shein. Je weniger zugehörig sie sich zur Welt ihrer Freunde fühlt, desto mehr will sie Teil von ihr sein. Und sie findet einen Weg übers Einkaufen: Was die Leute auf Instagram und Tiktok tragen, will sie auch haben.

Sie beginnt, zu shoppen, und hört nicht mehr auf. Diese Dynamik kennt Antonietta Di Giulio gut. «Wenn dein soziales Netz dir vermittelt, immer wieder neue Kleidung ist gut, dann neigst du auch eher dazu, immer wieder neue Kleidung zu kaufen», erklärt die Philosophin, die an der Universität Basel zum Thema nachhaltiger Konsum forscht.

«Psychologische Obsoleszenz» nennt sich das Phänomen, bei dem man den Eindruck hat, man müsse alle zwei Wochen seinen Kleiderschrank komplett erneuern, weil man sonst nicht mehr up to date sei. Die Kleidung verliert dann rasant an Wert. Sie werde schneller weggeworfen und junge Menschen würden sich eher verschulden, um wieder neue zu kaufen, erklärt Di Giulio.

«Die Menschen kaufen mit der Ratenzahlung sogar noch weitaus mehr Kleidung als sowieso schon»

Social Media als Konsumtreiber

Die Social Media Instagram, Tiktok und Co. funktionieren wie eine Bibliothek viraler Ästhetik, die sich scheinbar jeden Tag ändert. Die Folge: ein unstillbarer Appetit auf Neues. Der Hashtag #BuyNow- PayLater hat fast 150 Millionen Aufrufe auf Tiktok. «Sämtliche Dienstleistungen, auch Bezahlmodelle, die dazu führen, dass der Konsum noch mehr beschleunigt wird», sagt Di Giulio, «leisten einen Beitrag zu einem Konsum, der problematisch ist – in ökologischer und sozialer Hinsicht.»

Klarna, als einer der führenden Anbieter von BNPL, tapeziert unterdessen Plakatwände, Bushalestellen und U-Bahn-Stationen mit seinen Werbesprüchen: «Weil es für dich kein overdressed gibt» oder «High on Fashion, aber low on Cash?» darf getrost als Aufruf zum Kauf von Kleidung verstanden werden. Das Finanzunternehmen kooperiert mit allen grossen Modehändlern: H&M, Asos, About You, Zara, Promod, Shein.

Und der Markt boomt: Das Bezahlmodell wird nicht nur international am meisten für den Kauf von Kleidung genutzt, die Menschen kaufen mit der Ratenzahlung sogar noch weitaus mehr Kleidung als sowieso schon. Wächst die Fast- Fashion-Industrie durch das Shoppen auf Pump noch weiter ins Unermessliche?

Schuldenfalle Pop-Up-Store

Seit ein paar Monaten wird wie wild der Hashtag #SheinxKlarna geteilt. Die beiden Unternehmen touren mit Pop-up-Events gerade zusammen durch Europa: Paris, Barcelona, Rom, Berlin. Influencerinnen schwärmen bei Tiktok vom «einzigartigen Erlebnis» in den Pop-up-Stores – Beauty-Ecke, Tattoo-Station und Beach-Bar mit Glace inklusive. Sie schwärmen von der Möglichkeit, so viel zu kaufen, wie man will – und erst später zu bezahlen.

Und Schulden haben nie süsser ausgesehen: Fliederfarbene Kleiderständer, pinke Palmenblätter, Pastelltöne, so weit das Auge reicht im Store in Berlin. An den Wänden, den Kleiderständern und an den Kleiderbügeln, überall hängen Schilder: «Shoppe deine Lieblingsartikel online. Bezahle später mit Klarna.» Blusen für 5.99 Euro, Kleider für 10.99 Euro, Schuhe für 14.99 Euro.

Eine junge Frau steht draussen vor dem Pop-up-Store am Kurfürstendamm. Sie brauchte eine Pause vom Plastikgeruch der Polyester-Kleidung im Pastell-Wunderland. Dabei ist sie eigentlich Shein-Fan. Sie bestellt wöchentlich dort. Immer mit Klarna. Damit das Geld nicht von ihrem Konto abgeht, bevor sie sich entschieden hat, ob sie die Kleidung behält oder zurückschickt. «Aber alles geht ständig kaputt», sagt die 21-Jährige. Daher müsse sie so oft neue Kleidung kaufen.

«Ich brauchte die Kleidung überhaupt nicht. Ich habe mich nicht mal mehr über sie gefreut.»

Auf Jasmin wartet eines Abends nach der Arbeit eine Bestelllieferung in der Grösse eines Umzugskartons. Absender: Shein. Über 200 Franken hat Jasmin für die Kleidung ausgegeben. Geld, das sie zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr hat. Jasmin wird das später als einen der Momente beschreiben, in denen sie erkannte, dass sie ein Problem hat: «Ich brauchte die Kleidung überhaupt nicht. Ich habe mich nicht mal mehr über sie gefreut.»

Führt BNPL also zwangsläufig zu einem Konsum, der unserer Umwelt schadet? Und wie passt das mit dem Versprechen von Klarna zusammen, «in Sachen Umweltschutz und für unseren Planeten Verantwortung übernehmen» zu wollen?

Wer darüber mit Klarna am Telefon sprechen will, kommt erst mal nicht durch. Der Ansprechpartner steckt noch im Lift fest. Vermutlich auf dem Weg nach ganz oben. Klarna verzeichnet bereits zwei Millionen Transaktionen pro Tag. 2020 war Klarna das viertgrösste private Fintech-Unternehmen der Welt.

Öffentlich kommuniziert das Finanzunternehmen zur gemeinsamen Tournee mit Shein: «Die Mission von Shein, trendige Styles anzubieten, die die Bank nicht sprengen, passt nahtlos zu unserer Überzeugung, dass unsere Kunden ohne Einschränkungen das bekommen sollten, was sie lieben.»

«Kurbeln Klarnas Bezahlmodelle den Konsum an, sind ihre Kooperationspartner glücklich»

BNPL-Modelle erhöhen den Umsatz

Am Telefon sagt der Unternehmenssprecher, sobald er aus dem Lift ausgestiegen ist und wieder Netz hat: «Unsere Kund:innen werden nicht durch unsere Bezahlmodelle dazu angeregt, mehr zu kaufen.» Ein Bericht, den Klarna auf der eigenen Website veröffentlicht, um neue Kooperationspartner anzuwerben, verrät jedoch etwas anderes: Mehr als dreissig Prozent höher sei der durchschnittliche Bestellwert, wenn Kunden mit BNPL einkaufen.

Die Kehrseite sei: Es werde noch weitaus mehr Kleidung retourniert als sowieso schon. «Klarna versicherte uns, dass jeder Anstieg der Retouren durch eine Steigerung der Kaufhäufigkeit und des Warenkorbwerts ausgeglichen würde – und sie hatten recht», wird ein Fast-Fashion-Anbieter dort zitiert. Die Kunden kauften also häufiger und gaben insgesamt mehr Geld aus.

Jeder Händler, der Klarna als Bezahlmodell anbietet, zahlt Gebühren dafür. Und genau die machen den grössten Umsatz des Finanzunternehmens aus. Kurz: Kurbeln Klarnas Bezahlmodelle den Konsum an, sind ihre Kooperationspartner glücklich. Und Klarna auch. Und was ist mit Klarnas Versprechen, für unseren Planeten Verantwortung zu übernehmen? In der App, so berichtet ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage, können Kunden unter anderem mit nur wenigen Klicks für Klimaschutzprojekte spenden.

«Es ist einfach viel zu verführerisch für jüngere Menschen»

In den vergangenen Monaten hat Jasmin noch einige Male auf Pump geshoppt. Das Kundenkonto und die Kreditkarte bei Klarna hat sie auf Drängen ihrer Oma abgemeldet und gesperrt. Aber auch Pay Pal und Apple Pay bieten jetzt den Einkauf auf Raten an. Ihr Schuldenberg ist noch nicht abbezahlt. Und ihre Oma kann ihr nicht noch mal helfen: «Mein Mann und ich sind schon ein bisschen älter und wir wollen noch mal in die Ferien fahren.»

Im Nachhinein weiss Jasmin, dass die Tage, bevor sie BNPL kannte, glücklichere waren als die, die später kamen: «Ich weiss, dass ich an meiner Situation selbst schuld bin. Es wäre trotzdem besser, wenn es Buy Now Pay Later nicht geben würde. Es ist einfach viel zu verführerisch für jüngere Menschen, dass man mehr kaufen kann, als man sich leisten kann.»

* Namen geändert

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Maria

Ein aufschlussreicher Artikel und gleichzeitig werden wir wöchentlich mit der Wishlist der must haves – allerdings nicht für Billigprodukte – zum Konsum animiert.