Stil
Botschafterin von Roger Vivier: Inès de la Fressange im Interview
- Interview: Jacqueline Krause-Blouin; Fotos: Jacopo Raule/Getty Images Entertainment, Rue des Archives/BCA
Inès de la Fressange – lange Zeit Karl Lagerfelds Muse, heute Roger Viviers Botschafterin und Imageberaterin – über Mode, Ehrlichkeit und unförmige Jeans.
annabelle: Inès de la Fressange, Sie waren lange Zeit «nur» Model. Wie fühlt es sich an, nicht nur das Gesicht, sondern gewissermassen auch das Gehirn einer Marke wie Roger Vivier zu sein?
Inès de la Fressange: Sehen Sie, das ist lustig! Vor zwölf Jahren fragte man mich noch: «Was ist Roger Vivier?» Offenbar habe ich also meine Mission erfüllt. Diego Della Valle (seit 2003 Besitzer des Labels, die Red.) ist klug, lustig und ein wunderbarer Geschäftsmann, Bruno Frisoni ist ein begnadeter Accessoire-Designer. Es ist purer Luxus, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten. Es kommt nämlich gar nicht so sehr darauf an, wo du arbeitest, sondern mit wem.
Wie kann man sich einen typischen Arbeitstag von Inès de la Fressange vorstellen?
Ich arbeite schnell, aber meine Konzentrationsspanne ist auch extrem kurz (lacht). Deswegen ist dieser vielseitige Job ideal für mich. Ich kümmere mich um die Kommunikation, die Presse, die Fotos, die Dekoration, ich suche sogar die Vivier-Verkäuferinnen selbst aus. Alles, was die Marke berührt, berührt vorher mich. Wenn das Produkt toll ist, die Shops aber eine Katastrophe, ist das tödlich. Das habe ich bei Chanel gelernt, jeder Aspekt der Marke muss stimmen. Das Einzige, was ich nicht mag, sind diese ganzen Geschäftsessen, da schlafe ich lieber. Essen mit Fremden? Non!
Sie waren das erste Exklusivmodel von Chanel und gelten als Karl Lagerfelds erste Muse. Was halten Sie vom Wort Muse?
Das Wort Muse kommt von «amusant» (lacht laut). In meinen Augen braucht ein guter Designer keine Muse, er ist aus sich heraus kreativ. Es geht den Künstlern mehr darum, Menschen um sich zu haben, mit denen sie sich besser fühlen und die ihre Ansichten teilen. Aber essenziell ist eine Muse nicht. Ich mag diese Begriffe nicht.
Begriffe wie Mode-Ikone?
Der Horror! Ich trage gerade unförmige Jeans, die Leute wären enttäuscht, wenn sie mich so sehen würden. Aber für Eitelkeit habe ich gar keine Zeit.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Karl Lagerfeld?
Aber natürlich! Meine Agentur schickte mich damals immer zu Chloé, aber ich wurde nie gebucht. Ich hasste den Laden und wollte schon nicht mehr hingehen. Als mich mein Agent überredet hatte, ein letztes Mal hinzugehen, stand da Karl und sagte: «Na endlich kommst du mich besuchen!» Ich war aber zu jung und zu naiv, um ihm etwas Passendes zu antworten.
Stimmte die Chemie gleich zwischen Ihnen?
Oh ja, wir haben sofort rumgealbert. Karl behandelte mich wie seine kleine Schwester, er liebte mich. Ich glaube, ich war die Erste, die ehrlich zu ihm war und ihm sagte, wenn etwas schlecht war. Aber ich war eigentlich keine Muse, ich war mehr der Hofnarr (lacht). Ja, Karl war der König, und ich war der Hofnarr.
Und bei Diego Della Valle?
Ja, dem sage ich auch, wenn etwas Quatsch ist. Dann lacht er immer. Wenn Menschen so erfolgreich und wohlhabend sind, respektieren sie es umso mehr, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Ehrlichkeit ist in diesen Kreisen ein seltenes Gut.
Man nannte Sie gern das Model, das spricht.
Ja, obwohl ich eigentlich der Meinung bin, dass ein Model nicht sprechen sollte. Ein Model muss die Atmosphäre im kreativen Prozess verstehen. Erst in den Achtzigern, als die Schauen zu Spektakeln wurden, hat man sich für Models interessiert. Vorher waren sie nur Beiwerk. Es gab so unglaublich viele Vorurteile über Models. Dass sie dumm seien, nur Salat essen und ständig amouröse Abenteuer mit Fotografen haben. Als ich in Interviews sagte, dass ich Wurst esse und am liebsten meine Oma besuche, waren alle baff. Selbst wenn ich etwas wirklich Banales sagte, waren alle komplett aus dem Häuschen, weil ich einen geraden Satz sprechen konnte. Es war wirklich hart, diese Vorurteile zu widerlegen. Aber ich habe sie alle an der Nase herumgeführt, in Wirklichkeit bin ich nämlich strohdumm.
Bei Chanel waren Sie ganze sieben Jahre exklusiv unter Vertrag, solche Verträge werden heute kaum noch geschlossen, oder?
Stimmt, ich war die Einzige. Damals hatte Chanel nicht den gleichen Stellenwert wie heute, in den Achtzigern war Chanel alles andere als hip. Viele haben mir vom Vertrag abgeraten. Das Image von Chanel war angestaubt, damals mussten wir den Leuten klarmachen, dass man die Sachen auch mit 25 tragen kann. Eine Chanel-Jacke mit Jeans zu kombinieren, war eine Revolution. Vorher wollte niemand zur Chanel-Show, erst Lagerfeld hat die Marke so weit gebracht.
Anders als in vielen Berichten dargestellt, die behaupten, Lagerfeld hätte Sie gefeuert, verliessen Sie das Haus. Warum?
Karl war sehr böse auf mich, weil ich für die Büste der französischen Nationalfigur Marianne Modell stand. Er fand das vulgär, und wir stritten uns. Ich hätte daraufhin zwar bei Chanel bleiben können, aber nicht mehr mit Karl arbeiten dürfen. Das hat mich nicht interessiert. Ja, viele erklärten mich für verrückt und sagten: «Wenn du Chanel verlässt, ist deine Karriere auf einen Schlag vorbei, und in deinem Leben wird nie wieder etwas Gutes passieren.» Aber ich hatte schon alles mit meinem Anwalt vorbereitet. Man kann sich vor solchen Entscheidungen nicht drücken. Veränderung ist gut! Wie Sie sehen, habe ich überlebt!
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