Werbung
«Beyoncé steht ganz oben auf der Liste»

Stil

«Beyoncé steht ganz oben auf der Liste»

  • Interview: Leandra Nef; Video und Bild: Olivia Sasse; Musik: Jack the Lumberer / Alexander Nakarada / serpentsoundstudios

Hollywood liebt ihre Luxus-Lederaccessoires: Die Schweizer Modedesignerin Yvonne Reichmuth (32) über den grossen Erfolg ihrer Marke Yvy, weshalb Promis nichts geschenkt bekommen und warum in ihrer neuen Kollektion Kristalle glitzern.

annabelle: Sie haben in Ihrem Atelier eine beachtliche Sammlung Champagnerzapfen – für jedes Projekt, das Sie abschliessen, und jede Celebrity, die Ihre Kreationen trägt, öffnen Sie eine Flasche. Zu Letzteren gehören unter anderem Monica Bellucci, Megan Fox, Taylor Swift und Kylie Jenner. Wie stark steigt die Nachfrage, wenn ein Promi Ihre Stücke trägt?
Yvonne Reichmuth: Vor drei Jahren trug Kylie Jenner unseren Leather Fringe Belt zu einem Dinner in West Hollywood. Die Paparazzibilder und das Selfie, das Kylie Jenner am gleichen Abend auf Instagram postete, verbreiteten sich viral. Alle wollten wissen, wer den Gürtel designt hat. Da war der Impact enorm: Allein in der ersten Woche haben wir 20 Stück verkauft. Wenn Taylor Swift ein Accessoire von uns in einem Musikvideo trägt, spüren wir das weniger stark – im Video wird ja leider nicht eingeblendet, wo es das Stück zu kaufen gibt.

Sind Social Media in Verbindung mit Stars, die Ihre Kollektionen tragen, für Ihren Absatz also entscheidend?
Zumindest wichtig, wie vermutlich für alle kleinen Designer. Dank Social Media erreiche ich ohne grosse Investitionen viele potenzielle Kundinnen. Wenn ich in jedem Magazin weltweit inserieren müsste, um sie zu erreichen – das wäre unmöglich.

Viele junge Labels verschenken ihre Kleider und Accessoires an Prominente, um mehr Publicity zu erhalten. Sie nicht. Warum?
Wir leihen sie nur aus. Verschenken tun wir ein Stück höchstens, wenn eine Celebrity es bereits getragen hat und darum bittet, es behalten zu dürfen. Aber einfach so Stücke in grossen Massen rumschicken, das mache ich nicht. Für andere Brands mag das funktionieren, da ihre Produktionskosten vielleicht tiefer sind. Aber bei uns geht das nicht. Ausserdem geht es mir ums Prinzip: Es wäre unfair, meine Kleider Menschen zu schenken, die schon genug Geld haben, und andere Kundinnen zahlen zu lassen. So verzweifelt auf der Suche nach Presse bin ich nicht. Wenn du ein gutes Produkt machst, kommt die Presse irgendwann von allein.

Sie haben sich früh in Ihrer Karriere auf die Herstellung von luxuriösen Lederaccessoires spezialisiert. Warum Leder?
Wegen des Geruchs, der Haptik, der Langlebigkeit, der Art, wie es verarbeitet wird. Schauen Sie sich all die Werkzeuge in meinem Atelier an – mit Leder zu arbeiten ist einfach etwas anderes, als mit Stoff zu arbeiten. Ich liebe das. Aber ich habe mir den Karrierestart dadurch auch etwas schwerer gestaltet als nötig.

Inwiefern?
Zu Beginn meiner Karriere wurde ich oft nicht ernst genommen. Besonders wegen der Lederharnische, einer Art Ledergeschirr für den Oberkörper, die ich von Anfang an designt habe. Einige Kundinnen haben nicht verstanden, wie ich die meine. Sie dachten, es seien Fetischaccessoires. Ich verstehe meine Designs aber klar als Modeaccessoires.

Wie wichtig waren Mentorinnen in einem solchen Moment?
Wichtig. Entscheidend weitergebracht hat mich damals die schwedische Stylistin Bea Åkerlund, die viele Prominente einkleidet. Ich habe sie auf gut Glück angeschrieben und Monate später eine Antwort erhalten: Sie hatte einen Showroom in Los Angeles eröffnet und fragte, ob ich meine Stücke bei ihr ausstellen wollte. Ich bin fast ausgeflippt! Seither ist die Nachfrage explodiert. Und seit mehr Menschen meine Stücke tragen, ist auch der Fetischvorwurf weg.

Um zum Leder zurückzukommen: Sie arbeiten täglich mit dem Material, sind gleichzeitig Vegetarierin. Wie lässt sich das vereinbaren?
Sehr gut. Ich bin seit 20 Jahren Vegetarierin. Dabei bin ich aber nicht fanatisch – ab und zu esse ich ein Stück Bündnerfleisch. Die Häute, die wir benutzen, sind Überreste aus der Fleischindustrie. Kein Tier wurde gezüchtet und getötet aufgrund seiner Haut. Darum kann ich dahinterstehen.

Seit Sie Yvy 2013 gegründet haben, haben Sie sechs Kollektionen designt – eine pro Jahr und damit halb so viel wie die meisten anderen Designer. Warum?
Die Qualität meiner Stücke ist in jeder Hinsicht besser, wenn ich nur eine Kollektion pro Jahr herausgebe. Eine gute Freundin sagte mal zu mir: «You can’t hurry something, that you want to last forever.» Wenn ich in zehn Jahren immer noch designen will, dann kann ich mich nicht jetzt schon ausbrennen. Es braucht Zeit, bis ein Design ausgearbeitet ist, bis der Schnitt und jedes Detail stimmt. Man muss das Material immer wieder neu entdecken, es zweckentfremden – nur so entstehen neue Ideen. Zudem ist es nicht mein Konzept, konstant neue Produkte auf den Markt zu bringen und alte nach wenigen Monaten wegzuschmeissen. All unsere früheren Kollektionen bleiben im Sortiment.

Ihr Erfolg scheint Ihnen Recht zu geben. Auf der anderen Seite muss es ein wahnsinniger Druck sein, mit der nächsten Kollektion am bisherigen Erfolg anzuknüpfen.
Das ist es tatsächlich. Momentan gehe ich aber erstaunlich entspannt damit um. Allen gefallen kann ich sowieso nicht. Ausserdem bin ich selbst meine schärfste Kritikerin und kann ehrlich sagen: Ich bin zufrieden mit der neuen Kollektion. Wir haben was Geiles gemacht, was Neues.

Dann erzählen Sie doch mal vom Neuen. Was hat Sie zur Kollektion inspiriert, die Sie eben an der Mode Suisse gezeigt haben?
Entscheidend geprägt hat mich dieses Jahr die irische Innenarchitektin und Designerin Eileen Gray. Ich bin durch eine Anekdote auf sie aufmerksam geworden: Der Architekt Le Corbusier soll mal nackt und gegen den Willen von Gray eine Wand in ihrem Haus an der Côte d’Azur bemalt haben – angeblich, weil er eifersüchtig auf das schöne Haus war. Grays Schaffen, ihre Möbel, aber auch ihr Kleidungsstil – vornehmlich Menswear – haben mich inspiriert. Eine weitere Inspirationsquelle war die brutalistische Architektur, darum auch der Name der Kollektion: Brut.

Brutalistische Architektur assoziieren vermutlich die wenigstens von uns mit glitzernden Strasssteinen von Swarovski. Dennoch haben Sie für die aktuelle Kollektion mit diesem Brand zusammengearbeitet. Wie kam es zur Kooperation?
Das Interesse war auf beiden Seiten schon länger da. Der Glanz, die Reflektion der Swarovski-Steine hat die gleiche Wirkung wie Leder: Du schaust hin und kannst nicht mehr wegschauen, du möchtest es anfassen, damit spielen. Als sie mir die Zusammenarbeit anboten, wusste ich: Das ist eine einmalige Chance, Swarovski so zu interpretieren, wie es zu meinem Brand passt. Es war eine Herausforderung, das Leder und die Kristalle zusammenzubringen, ohne zu offensichtlich zu arbeiten. Einen Streifen Leder mit einem Streifen Strass zu versehen, wäre zu einfach. Das ist nicht mein Stil. Ich wollte, dass es knallt und gleichzeitig tricky ist, unerwartet. Ich glaube, das ist uns gut gelungen mit den Kristallen, die mal zu sehen und mal versteckt sind.

Welches ist Ihr Lieblingspiece der neuen Kollektion?
Das Cape. Es kostet 5500 Euro. Der hohe Preis entsteht aufgrund des Materialwerts: Für ein Cape verarbeiten wir elf Meter Swarovski-Kristalle und 2 Häute. Ausserdem nähen wir alle Kristallstreifen von Hand ein. Wir haben es mit der Maschine versucht, aber es wird einfach nicht perfekt. Wenn eine Naht um nur einen halben Millimeter abweicht, dann sieht man das – und das stört mich.

Für welche Frau designen Sie Ihre Stücke?
Für eine Frau mit einer starken Attitude, Selbstbewusstsein, aber auch Sinnlichkeit. Auf diese Mischung achte ich auch bei der Auswahl der Models, die meine Kollektion präsentieren. Ich würde zum Beispiel nie eine 15-Jährige für meine Kampagne buchen – niemand kann sexy Lederaccessoires präsentieren, wenn er seine eigene Sexualität noch nicht entdeckt hat.

Sind Sie schon mal einer Frau auf der Strasse begegnet, die eines Ihrer Accessoires trug?
Das passiert ab und zu. Es ist schön zu sehen, wie unterschiedlich meine Kundinnen sind: Das Spektrum reicht von 22- bis 70-jährigen Frauen. Von manchen höre ich aber auch, dass die Stücke zu extravagant für sie sind. Für die gibt es bei uns durchaus diskrete Accessoires: Armbänder, Gürtel oder Handtaschen zum Beispiel. Bei den Ledergeschirren ist der Wrap Harness unser Einsteigermodell – und übrigens auch unser meistverkaufter Harnisch in der Schweiz.

Können Sie von Ihrer Arbeit leben?
Je nach Monat ja. In den anderen finanziere ich mein Label durch meinen Job als freie Stylistin quer. Dieser Nebenjob gibt mir die Freiheit, Herzensstücke wie das Cape zu designen. Oder den Hut mit einem Kilo Swarovski-Steinen auf der Unterseite, von dem ich weiss, dass wir ihn nicht oft verkaufen werden. Beides pitche ich übrigens Beyoncés Stylistin. Von all den Menschen, die ich gern noch in meinen Kollektionen sehen möchte, steht Beyoncé ganz oben auf der Liste. Sie hatte schon mehrmals Accessoires von uns, aber solange wir kein Bild davon haben, bringt das leider nichts. Vielleicht haben wir ja diesmal Glück.

Schweizer Macherinnen

Frauen, die inspirieren: Empfehlen Sie uns eine Frau, die auf ihrem Gebiet Herausragendes leistet, oder schicken Sie sich hier gleich selbst ins Rennen um das Prädikat «Schweizer Macherin».