Barbara Bui: Erfinderin des Pariser nonchalanten Modestils
- Text: Silvia Binggeli; Fotos: Léa Crespi
Diese Nonchalance können nur Französinnen zur Schau tragen: Lächeln, sagt die annabelle-award-Designerin 2012, sei das beste Facelifting. Ein Besuch bei Barbara Bui in Paris.
Diese Nonchalance können nur Französinnen zur Schau tragen: Lächeln, sagt die annabelle-award-Designerin 2012, sei das beste Facelifting. Ein Besuch bei Barbara Bui in Paris.
Mit Pariser Nonchalance wird uns beschieden, Barbara Bui werde sich «un peu» verspäten. Also trinken wir an diesem sonnigen Vormittag einen zweiten Café au lait und essen ein weiteres Croissant, was sonst. Wir sitzen im «La Perle», dem Lokal im Szeneviertel Marais, wo der exzentrische Modekreateur John Galliano vor etwas mehr als einem Jahr mit antisemitischen Sprüchen die Gäste schockierte und sich selbst um seinen Job bei Dior brachte.
Es geht gegen Mittag, dritter Kaffee. Die Boutiquenbesitzer öffnen allmählich ihre Türen. Distinguierte Damen führen Hündchen spazieren, Motorradkuriere kurven durch den Verkehr. Ein strenger Geruch weht von irgendeinem Gulli herüber. Paris eben.
Eine weitere halbe Stunde später machen wir uns auf gut Glück zu Barbara Buis Hauptsitz auf, der ein paar Strassen vom «La Perle» entfernt liegt. Die Chefin werde bestimmt gleich kommen, vor den Sommerferien gebe es halt einiges zu erledigen, erklärt ein Mitarbeiter freundlich, aber nicht weiter beunruhigt.
Ein Quäntchen Rock’n’Roll gehört in jedes Outfit
Wir warten weiter im Atelier und studieren die Skizzen von Barbara Buis neuster Kollektion: Ihr Stil ist genauso entspannt wie ihr Umgang mit Verabredungen. Ein Outfit etwa besteht aus einer engen Hose, einer Seidenbluse und einer scharf geschnittenen Lederjacke, alles aus feinstem Material, hier und da aufwendig bestickt. Die Designerin mischt gern weibliche und männliche Elemente, nie darf das Quäntchen Rock’n’Roll fehlen.
Ihr Look wirkt so beiläufig, als hätte man sich morgens vor dem Schrank rein gar nichts überlegt. Und natürlich sieht man dann doch blendend aus. Am besten trägt frau dazu roten Lippenstift und schwindelerregende Highheels, auch die entwirft Barbara Bui. Ihre Accessoires sind bei Modekennerinnen ebenso begehrt wie ihre Kleiderkollektionen.
Für den nonchalanten Pariser Modestil, den Barbara Bui in den Achtzigerjahren erfunden hat, lassen sich heute auch jüngere Kolleginnen wie Isabel Marant feiern. Als eine der wenigen Designerinnen arbeitet Barbara Bui noch unabhängig von grossen Modekonzernen, betreibt Boutiquen in Paris, New York, Mailand, Beirut und Moskau.
Am 8. November wird sie in Zürich ihre neuen Kreationen zeigen und den 9. annabelle award an ein Schweizer Modetalent übergeben: ein sechsmonatiges Praktikum in ihrem Atelier in Paris.
Und dann steht sie plötzlich da. «Bonjour, hier bin ich», sagt sie ganz kokett. Barbara Bui, ein Meter sechzig klein, trägt eine enge schwarze Hose und wirkt auf ihren Stöckelschuhen so zierlich, als könnte sie gleich in tausend Stücke zerbrechen. Geschätzte Kleidergrösse 34, aber der Händedruck eines Handwerkers.
Von Entschuldigung für die Verspätung keine Spur. Auf ihrem Gesicht mit den asiatischen Zügen, sie ist halb Vietnamesin, zeichnet sich ein sanftes Lächeln ab. Sie weiss genau, welchen Blick sie der Fotografin schenken will: selbstsicher, aber nicht arrogant. Später steckt sie sich in ihrem Büro eine Zigarette an und wirkt, als hätte sie nun den ganzen Tag Zeit für das Gespräch.
ANNABELLE: Barbara Bui, Sie sagten kürzlich, eine Frau könne nur dann verführen, wenn sie nicht vom Blick anderer abhänge.
BARBARA BUI: Wenn sie nur auf die Erwartungen des Gegenübers reagiert, verliert sie ihre Authentizität. In der Mode beispielsweise kann man lernen, sich mit Kleidern auszudrücken, eine bestimmte Wirkung zu erzielen – mal so, mal so. Als Designerin wollen Sie doch die Trends vorgeben. Ich arbeite zwar in einer trendbewussten Branche, aber meine Kollektionen sind eher beständig. Ich halte wenig davon, Kleider zu benutzen, um gängigen Vorgaben zu entsprechen. Von Trends können sich Frauen manchmal so stark angezogen fühlen, dass sie nicht mehr merken, wie schlecht sie eigentlich zu ihnen passen. Das zeugt von mangelndem Selbstvertrauen.
Selbstvertrauen wächst mit dem Alter, bei Ihnen auch?
Natürlich. Deshalb verfügen ältere Frauen oft über eine grosse Verführungskraft. Junge Frauen sind in dieser Hinsicht zerbrechlicher. Aber es gibt auch jene, die bereits in jungen Jahren Verführerinnen sind.
Warum ist das so?
Manche sprechen von innerer Schönheit, die nach aussen strahlt. Das sind grosse Worte. Ich glaube, diese Frauen sind einfach sehr bei sich. Vivienne Westwood liess sich beim Anblick der jungen Laetitia Casta einst zu den Worten hinreissen, sie glaube wieder an Gott, seit sie Casta gesehen habe. Laetitia Casta ist ein gutes Beispiel für diese Verlockung. Man kann sie nicht konstruieren. Man kann zwar versuchen, ein Topmodel zu sein, dem Modediktat zu folgen, die richtige Frisur zu tragen, das richtige Make-up …
… aber diese Frauen berühren einen nicht wirklich?
Ich sehe viele Models, die im herkömmlichen Sinn schön sind. Dann gibt es die anderen Frauen, die eine gewisse Haltung mitbringen, einen bestimmten Blick oder bestimmte Manieren. Das ist keine Frage der Technik, des Körpers oder des Gesichts. Schon gar nicht von Silikon.
Sie scheinen nicht viel von den Mitteln zu halten, die heute ewige Jugend versprechen. Und doch sprechen auch Sie nicht gern über Ihr Alter.
(Sie lächelt) Ich finde einfach, die Leute verlieren sich manchmal im Wunsch nach Perfektion. Fehler machen doch auch die Persönlichkeit aus.
Sie haben also nichts gegen Falten?
Ab einem gewissen Alter hat man das Gesicht, das man verdient – das habe ich mal gelesen. Leider oder zum Glück zeigen sich im alternden Gesicht die Eigenschaften der Person. Manchmal zeigt sich Gemeinheit, manchmal das Gegenteil. Jane Birkin hat auf die Frage, wie sie ihre Jugendlichkeit bewahre, kürzlich geantwortet: «Ich lächle.» Vielleicht ist das das beste Lifting.
Sie sehen auch nicht wie eine Frau über fünfzig aus. Was ist Ihr Geheimnis?
Ein Sprichwort sagt: Glück ist kein Resultat, sondern eine Haltung. Das heisst um Gottes willen nicht, dass ich jeden Tag glücklich bin. Aber ich versuche, den Moment zu schätzen. Wenn man jung ist, erscheint einem die Zeit endlos. Meine achtjährige Tochter zählt, wie Kinder das so machen, ihr Alter in halben Jahren. Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit.
Sie lächeln gegen die Vergänglichkeit an?
Ich finde, dass Lächeln auch Höflichkeit darstellt.
In Paris, heisst es, muss man eine gewisse Überheblichkeit an den Tag legen, um ernst genommen zu werden. Dem setzen Sie das Prinzip Höflichkeit entgegen?
Das hat wohl mit meiner asiatischen Herkunft zu tun. Aber ich bin nicht nur höflich. Ich bin auch ein sehr offener Mensch. Wenn man zwei Kulturen in sich vereint, ist man wohl automatisch toleranter.
Muss man sich nicht auch stärker behaupten, weil man anders ist?
Einerseits ist man sensibler und versetzt sich öfter in die Lage anderer. Andererseits hat man das Bedürfnis, den eigenen Wert zu rechtfertigen. Das kann auch Kraft geben. Ich glaube, ich habe dadurch den Willen entwickelt, schneller vorankommen zu wollen als andere.
Sind Sie hart im Nehmen?
Ich habe mich immer wieder gefragt, warum manche Menschen besser mit schwierigen Lebenssituationen umgehen können als andere.
Haben Sie eine Antwort gefunden?
So banal das klingt: Ich glaube, es hat viel mit der Liebe zu tun, die man von den Eltern bekommen hat. Ich erhielt sehr viel Unterstützung von beiden Eltern. Mein vietnamesischer Vater hat mir den Stolz auf seine Kultur mitgegeben, meine französische Mutter den auf ihre.
Worin haben sich die beiden unterschieden?
Die Familie meiner Mutter war ziemlich kultiviert. Ich hatte beispielsweise eine Tante, die mich intellektuell gefördert hat. Sie ist verantwortlich dafür, dass ich Literatur studiert habe. Mein Vater hat mir von einem Land erzählt, das damals noch sehr verschlossen war. Mir kamen die Geschichten mysteriös vor. Aus einer «anderen» Welt zu kommen, fühlte sich als Kind aber auch aufregend an.
Was genau hat das bei Ihnen bewirkt?
Ich unterschied mich offensichtlich von meinem Umfeld. Daraus habe ich ein Credo gemacht: Ich habe entschieden, dass ich nicht konform sein will.
Wie sind Sie von der Literatur zur Mode gekommen?
Ich wollte Geschichten erzählen, entweder als Schriftstellerin oder als Schauspielerin. Zur Mode kam ich, weil ich sie praktizierte. Es begann als Abenteuer.
Sie wurden auch darum Designerin, weil Sie keine Kleider für sich fanden.
Das stimmt. Damals, in den Achtzigerjahren, mussten Frauen entweder sehr, sehr sexy sein wie Betty Boop. Oder sie waren diese knallharten Businessladys.
Sie konnten sich weder mit dem einen noch mit dem anderen identifizieren?
Man kann zwar mit diesen Rollen spielen. Aber ich bin fein gebaut und sensibel. Mir gefiel Rock’n’Roll. Damit meine ich nicht die Musikrichtung, nicht Elvis Presley, sondern die rebellische Haltung.
Und Sie fanden nichts, was Sie zu dieser Haltung tragen konnten?
Es gab zwar passende Kleider im unteren Preissegment, aber oft waren sie klischiert. Etwa die klassische Rockerjacke. Ich wollte den Stil verfeinern und auf ein modisch hohes Niveau bringen. Zum Beispiel enge Hosen in schicke Teile verwandeln. Heute machen das alle. Aber damals war das eine kleine Revolution. Die Dualität Männlichkeit/Weiblichkeit hat mich von Anfang an fasziniert. Zerbrechlichkeit ist für mich auch eine Stärke, und Stärke auch Zerbrechlichkeit.
Eine Modeschule haben Sie nie besucht. Wie haben Sie sich die Handfertigkeit der Designerin angeeignet?
Ich habe mit Modezeichnern gearbeitet und mir von ihnen viel abgeschaut. Meine Fähigkeit, zu zeichnen, kam erstaunlicherweise ziemlich natürlich. Zeichnen zu können, ist wichtig, damit man anderen seine Ziele klarmachen kann, auch Schnitttechniken muss man beherrschen. Aber das Wichtigste, was du mitbringen musst, um zu bestehen – und das sage ich allen jungen Kolleginnen: Du musst etwas zu sagen haben. Letztlich mache ich als Designerin, was ich immer tun wollte: Geschichten erzählen.
Worauf sind Sie stolz?
Auf die Tatsache, dass ich einen Zeitgeist einfangen und einen Stil begründen konnte. (Sie überlegt) Und ausserdem darauf, dass ich meine Authentizität behalten habe.
Einige Ihrer Kollegen machen viel Lärm um ihre Person – sie lassen sich etwa in ihren Werbekampagnen ablichten. Googelt man Barbara Bui, findet man kaum Bilder. Sie bleiben lieber geheimnisvoll.
Grosse Auftritte entsprechen mir nicht.
Ein paar Fotos gibt es doch: etwa eines mit Musiker P. Diddy, aufgenommen an einer Aftershowparty.
Wenn es um die Firma geht, zeige ich mich in der Öffentlichkeit. Oder wenn ein Künstler da ist, der mich interessiert. Aber ich weiss nicht recht. (Sie überlegt wieder) Dieser Fokus auf Berühmtheit hat oft nicht viel mit Qualität zu tun. Heute reicht es, bei einer Realityshow mitzumachen, um bekannt zu werden. Fragt man Kinder, was sie später werden wollen, sagen sie: berühmt. Schrecklich.
Sind Ihre Eltern stolz auf Sie?
Am Anfang waren sie sicherlich überrascht. Sie hatten wohl erwartet, dass ich Autorin werden würde. Über die Jahre hat sich ihre Skepsis gegenüber meinem Beruf zu Stolz gewandelt. Zum Glück. Meine Mutter ist vor ein paar Jahren gestorben und mein Vater im Alter nach Vietnam zurückgekehrt. Ich besuche ihn regelmässig.
Wie gehen Sie mit dem Leistungsdruck in der schnelllebigen Modebranche um?
(Zündet sich eine weitere Zigarette an) Früher habe ich nach jeder Präsentation zwei Tage lang geweint, manchmal vor Glück, manchmal aus Angst vor den Kritiken. Es war wie eine kleine postnatale Depression. Mit der Zeit lernte ich das Ganze zu relativieren. Man weiss irgendwann selbst genau, ob eine Kollektion gelungen ist oder nicht. Manchmal gibt es Momente, wo du einfach sicher bist, dass du alles richtig gemacht hast.
Sie verbringen keine schlaflosen Nächte vor den Schauen wie die meisten Designer?
Wir sind ein kleines Team und müssen viel Arbeit bewältigen. Aber vor den Präsentationen Tag und Nacht im Atelier zu verbringen, mag ich nicht. Ich glaube nicht, dass morgens um sechs ohne Schlaf noch gute Sachen entstehen. Ist man hysterisch und gestresst, verliert man die Klarheit. Es ist besser, sich im Vorfeld gut zu organisieren. Dann kann man die Probleme auf der Zielgeraden ruhiger lösen.
In den Wochen nach dem Interview wurden allerdings erst mal gar keine Probleme gelöst. Sommerferien standen auf dem Plan. Und zwar konsequent. Barbara Bui schloss nicht nur ihr Atelier, den Showroom und die Büros für drei Wochen. Sondern auch die meisten ihrer Pariser Boutiquen, die an den wichtigsten Shoppingmeilen der Stadt liegen. Wirtschaftslage hin, kaufwillige Kundschaft her. Die Verkäufer räumten einfach die Auslagen aus und hängten ganz nonchalant das Schild «fermé» an die Tür. Au revoir, bonnes vacances!
Barbara Bui, wie verhält es sich nun wirklich mit dem viel gepriesenen entspannten Stil der Pariserinnen: Klischee oder Wahrheit?
Die Frauen, zumindest jene in der Modeszene, sind ziemlich kreativ, sie zeigen gern ihre sexy Seite, aber sie sind nie vulgär. Sie sind ernsthaft, aber nehmen sich nicht zu ernst. Sie sind nicht zu geschminkt, nicht zu frisiert und nicht zu gestylt.
Was spontan wirkt, ist in Wahrheit inszeniert?
Bien sûr!
Live in Zürich
Nach dem Literaturstudium eröffnet Barbara Bui 1983 mit ihrem damaligen Mann, dem Schauspieler William Halimi, die Modeboutique Kabuki in Paris, wo sie Kollektionen anderer Designer anbietet. Fünf Jahre später lanciert sie ihre eigene Modelinie. 2000 präsentiert sie eine Schuhlinie. Heute kreiert Bui auch Taschen und Schmuck.Für ihre erste USA-Kampagne arbeitet sie 2001 mit dem bekannten Fotografen David Bailey zusammen.
2003 wird sie Mitglied der renommierten Modevereinigung Fédération Française de la Couture. Barbara Bui und ihr Ex-Lebenspartner William Halimi führen ihr Unternehmen immer noch unabhängig. Sie lebt mit ihrer achtjährigen Tochter in Paris. Am 8. November wird sie im Rahmen der Mercedes-Benz Fashion Days Zurich ihre neuste Kollektion zeigen und den annabelle award 2012 übergeben.
— Die Mercedes-Benz Fashion Days Zurich mit Shows, Side-Events und Aftershowpartys finden
vom 7. bis 10. November im Zürcher Schiffbau statt. Unterstützt wird der Event von Mercedes-Benz
als Titelsponsor sowie den Presenting-Sponsoren OC Oerlikon, Paul Mitchell und H&M.
Infos und Tickets: annabelle.ch/fashiondays oder www.mbfashiondays.ch
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Seventies-Glamour und asiatische Motive, elegante Accessoires mit einer Prise Rock’n’Roll: Die aktuelle Herbst/Winter-Kollektion von Barbara Bui
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Das Atelier im Pariser Hauptsitz
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Das Atelier im Pariser Hauptsitz
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«Zeichnen zu können, ist wichtig, damit man anderen seine Ziele klarmachen kann»