Im australischen Busch kann man das Handwerk der Cowboys lernen – inklusive Pferdeflüstern, Schafe scheren und Kälber kastrieren.
Hey guys», schreckt uns Tim Skerrett auf. Wir dösen am Lagerfeuer, was angesichts der gleissenden Nachmittagssonne ein völliger Witz ist – doch die Glieder ächzen zu sehr, um uns in den Schatten zu bewegen. Tim setzt sein Million-Dollar-Smile auf, wie es nur ein Australier kann, und verkündet: «Let’s kill a sheep!» Tim ist 57 Jahre alt, ein drahtiger Typ mit ausgebeulten Wrangler-Jeans. Lachfalten durchziehen sein Gesicht, als hätte man sie mit einem Messer eingeritzt.
Seine Ranch zählt 200 Rinder, 30 Pferde und 30 Merino-Schafe. Die Wolle verkauft er in der Stadt, das Fleisch dient zur Selbstversorgung. Die Schafe grasen friedlich in einem Gehege hinterm Haus. Bevor es einem von ihnen an den Kragen geht, muss der Bock geschert werden. Darauf hat das 90 Kilo schwere Mordstier nicht die geringste Lust. Leichtfüssig hüpft es davon. Alle stürzen wir uns auf ihn, graben die Hände in die flauschige Wolle, zerren und ziehen. Der Bock schnaubt genervt, wirft seinen Hintern in die Luft – und wir landen im Dreck. Erst eine halbe Stunde später ergibt sich das störrische Vieh. Tim klemmt es zwischen die Beine und schert die Wolle weg.
Jackaroos und Jillaroos
Der Bock hüpft zurück ins Schafgehege. Jetzt fängt Tim ein kleineres Tier ein, drückt es zu Boden, und bevor wir uns versehen, schlitzt er ihm die Kehle auf. Das Blut spritzt in alle Richtungen, der Luftröhre entweicht ein röchelndes Gurgeln, das Tier erschlafft. Wir schlagen die Hände vor den Mund, doch den Blick können wir nicht lösen vom grausigen Spektakel. Tim trägt das Tier zur Garage und hängt es kopfüber an den Beinen auf. Dann beginnt er, das Fell zu lösen. Morgen gibt es Schafragout.
Wir sind im australischen Outback, etwa eine Flugstunde nordwestlich von Sydney. Auf der Ranch von Tim Skerrett absolvieren wir einen fünftägigen Kurs, der uns zu Jackaroos und Jillaroos ausbildet, so nennt man hier die Cowboys und Cowgirls. Nur einer von zehn Australiern lebt im Outback. Der Mythos der Cowboy-Romantik ist längst unter einer Staubschicht begraben: Den Rinderfarmen laufen die Jackaroos davon – sie arbeiten lieber in den Minen, wo sie ein Vielfaches verdienen. Dafür haben im Outback immer mehr Frauen die Zügel in der Hand. Stadtflucht, Abenteuerlust und die australische TV-Serie «McLeods Töchter» sind der Grund, warum sie als Jillaroos Viehherden vor sich hertreiben und Zäune reparieren.
So wie Lisa aus Deutschland. Sie ist 30 Jahre alt, hat Pferdewissenschaften studiert und arbeitet auf Tims Ranch. Sie holte uns vor ein paar Tagen zusammen mit ihrem Boss in einem alten Schulbus in Tamworth ab, der nächstgelegenen «Stadt». Hier gibt es nichts – ausser Aldi, verzweifelte Teenager und 44 Grad im Sommer. Einzig im Januar erwacht Tamworth zum Leben, wenn das grösste Country-Festival des Landes stattfindet.
Acht Leute besteigen den Schulbus. Da ist der 19-jährige Industriekaufmann aus Deutschland. Er will nachher einen Job auf einer Farm suchen. Oder die Studentin aus Norwegen, die einmal um die Welt reist. Oder die 34 Jahre alte Grafikdesignerin, die leidenschaftlich gern reitet. Die einstündige Fahrt zur Ranch ist wie eine kleine Safari: Kängurus hüpfen neben dem Bus mit, und die schönsten Papageien in Grau und Rosa fliegen vor uns davon.
Zwei Jahre ohne Toilette, fünf ohne Warmwasser
Tims Ranch besteht aus einem Stall, einem grossen Holzhaus und einer verwitterten Wellblechbaracke. Wir Schüler wohnen – logisch – in der Baracke. Tim sagt, wir sollen anziehen, was wir für den Rest der Woche zu tragen gedenken. Täglich frische Kleider seien sinnlos. «Nach zehn Minuten ist alles voll Staub.» Wer im Outback überleben will, muss unkompliziert sein. Als Tim die Ranch aufbaute, auf dem Land, das er von seinem Vater bekommen hatte, lebte er zwei Jahre ohne Toilette, fünf Jahre ohne Warmwasser und zehn Jahre ohne Elektrizität.
Tim füllt Wasser in eine russgeschwärzte Büchse, hängt sie übers Feuer, wirft Teeblätter hinein. Katze Sylvester kommt um die Ecke geschnurrt, zwischen den Beinen vernehmen wir ein Fiepen: Es ist Hiccup, das Gänsebaby. Es ist das Haustier von Blake, dem fünfjährigen Sohn von Tim. Der Junge bietet uns Cookies an. Die Ranch liegt in einer trockenen, von sanften Hügeln durchzogenen Landschaft. Handyempfang gibts nur auf einer Anhöhe in der Ferne. Das Land – seine Fläche entspricht der Stadt Frauenfeld – wäre gross genug für Tausende von Rindern, doch wegen der Trockenheit wächst gerade so viel Gras, um 200 Tiere zu ernähren. Nur dank der Jackaroo-Schule könne er überleben, sagt Tim. Die Idee hatte sein Vater: Er war Mitte der Achtziger der Erste, der in Australien einen Kurs für angehende Cowboys anbot.
Endlich gehts zu den Pferden. Unter Bäumen hat John – einer von Tims waschechten Jackaroos – zwanzig Tiere angebunden. Er zeigt uns, wie man das Halfter anlegt, den Sattel montiert, wie man das Pferd bürstet und wo es kitzlig ist. Tim mustert jeden Schüler und wählt ein Pferd aus. Meines heisst Lotta. Sie sei ein sanftes Tier, sagt er. Ich finde sie erschreckend gross. Wir laufen mit den Tieren in die Arena. Tönt einfach. Doch Lotta läuft immer zu nah auf, stupst mich mit dem Kopf an, und wenn sie nicht stupst, bleibt sie stehen und frisst Klee.
Wir erhalten die erste Lektion in Natural Horsemanship, besser bekannt als Pferdeflüstern. Wir lernen, dass das Pferd den Menschen als Jäger sieht – und daher lieber vor uns davonläuft. Wir müssen ihm beibringen, dass wir ein Freund sind. Und wenn es uns als Freund akzeptiert hat, müssen wir ihm zeigen, dass wir der Chef sind. Bis jetzt ist Lotta der Chef. Sie bleibt stehen, wann sie will, läuft dorthin, wo es ihr passt. Und die Stupser sind nicht etwa ein Zeichen von Sympathie – sondern von Dominanz. Anders gesagt: Lotta nimmt mich überhaupt nicht ernst.
Wir steigen auf. Der Sattel – Western Style – ist erstaunlich bequem. Gemäss Natural Horsemanship gibt es vier Stufen, um das Tier zum Laufen zu bringen: 1. Gewicht des Körpers nach vorn verlagern. 2. Schnalzen mit der Zunge. Alle Tiere laufen los, nur Lotta nicht. Also Stufe 3: Druck mit den Beinen in die Rippen. Ich drücke und schnalze – Lotta bewegt sich keinen Meter. Tim sagt: «Stufe 4: Ein Klaps auf den Hintern.» Ich tätschle ordentlich. Tim lacht nur: «Viel mehr!» Ich haue richtig drauf. Es tut weh. Aber Lotta läuft in Richtung Wald, wo die Gruppe bereits unter einem Baum wartet. Kein Lüftchen lindert die Hitze. Die Fliegen belagern uns, kriechen ins Ohr, in die Nase, in die Augen. Mitleid!
Hoch zu Ross
Während des Ausritts offenbart Lotta eine Reihe von Ticks. Sie nickt permanent mit dem Kopf, um die Fliegen zu vertreiben. Und sie furzt dauernd. Doch wir machen Fortschritte: Rückwärtslaufen, drehen nach links und rechts – ein Druck an den richtigen Ort in den Rippen, und Lotta bewegt sich wie von Zauberhand. Tim sagt: «Sie spürt, dass du die Kontrolle übernimmst.» Ich sei jetzt das dominante Pferd. Er sagt, Lotta mache es gut. Ich jedoch sässe wie ein Kartoffelsack auf dem Pferd.
In der Baracke läuft Salsa, auf dem Tisch stehen Plastikbehälter mit Salat aus dem Garten und Kängurufleisch. Selbst geschossen. Tim sagt: «Das Tier hat sich zu nah vor unser Haus gewagt.» Er lacht. Känguru schmeckt gut, ein bisschen wie Rindfleisch. Überm Feuer brutzeln Angus-Beef-Würste, aus dem Ofen strömt der Duft eines Blechkuchens. Ich stinke, als hätte ich mein ganzes Leben auf einer Ranch verbracht. Die Nägel: schwarz. Während die anderen duschen, schlafe ich auf dem Bett ein.
In der Nacht wird es bitterkalt. Zum Glück wärmt Katze Sylvester meine Beine. Um 6.30 Uhr holt uns sanfter Jazz aus dem Schlaf. Mir tut alles weh. Während die Sonne langsam hinter den Bäumen aufgeht, sitzen wir ums Feuer und essen Porridge. Eine Stunde später stehen wir auf der Weide und suchen unser Pferd. Lotta ist einfach erkennbar: Sie ist braun mit einem weissen Fuss. Sie versteift sich, als ich mich ihr nähere, lässt sich aber bereitwillig das Halfter umlegen. Ich sattle sie und bin furchtbar stolz. Leider ist es der Sattel von einem anderen Pferd.
Jackaroo John gibt eine Lektion in Barefoottrimming. Die Pferde sind nicht beschlagen, also müssen die Hufe regelmässig gestutzt werden. Die Utensilien: eine riesige Metallfeile und eine Zange. Einem Pferd die Hufe stutzen geht so: Zuerst muss man das Tier dazu bringen, den Fuss zu heben (Lotta störrisch wie immer), dann zwängt man sich den Fuss zwischen die Schenkel, drückt die Beine zusammen und feilt, bis der Boden weiss ist vom abgeraspelten Horn. Hiccup, das Gänsebaby, pickt die Hornraspeln auf.
Anschliessend lernen wir von Courtney, Tims Frau, wie man mit der Peitsche knallt. Man braucht es, um die Rinder anzutreiben. Courtney ist 31 Jahre alt und absolvierte vor zehn Jahren die Jackaroo-Schule. Sie blieb gleich für immer. Sie sagt, im Outback könne jedes Kind mit der Peitsche knallen. Alles, was ich zustande bringe, ist ein müdes Säuseln. «Good job», motiviert Courtney. Ich probiere es 20-mal, 30-mal – nix. Doch dann knallt es plötzlich. «Ohooo», ruft Courtney. Ich knalle gleich noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Es macht süchtig!
Um 21 Uhr, ich bin bereits im Bett, trippelt seelenruhig eine Maus über den Boden der Baracke. Es ist George. George ist schlau und lässt sich nicht einfangen. Seine Freundin war nicht so helle: Sie hüpfte in den Korb mit den dreckigen Kleidern und landete in der Waschmaschine. Am Morgen galoppieren dunkle Wolken über den Horizont. Tim schaut erfreut zum Himmel: Jeder Tropfen wäre ein Segen. Er nimmt sich das Schaf vor, das wir geschlachtet haben, und schneidet es in Stücke. Sohn Blake spielt mit den abgeschnittenen Vorderbeinen.
Heute tun wir das, was Jackaroos und Jillaroos dauernd machen: Rinder zusammentreiben. Wir müssen 85 Mutterkühe und 40 Kälber einsammeln, die irgendwo in den Wäldern verstreut sind. Die neugeborenen Tiere werden markiert, die Männchen unter ihnen – kastriert. Einige Kälber sind erst wenige Tage alt und bleiben völlig verwirrt vor Lotta stehen. Die Jungtiere sind wunderschön: rabenschwarz, mit einem glänzenden Fell, wie es kein Shampoo hingekriegt hätte. Tim knallt mit der Peitsche, dass es in den Ohren surrt. Lotta ist in ihrem Element und lässt kein Tier entkommen. Laut muhend bewegen sich die Tiere zum Fluss, wo wir sie in ein Gatter treiben. Tim heizt mit einem Bunsenbrenner das Brandzeichen auf, packt Ohrenmarken hervor, ebenso ein scharfes Messer und eine Tasse.
Ran an die Kälber
Wir trennen die Kälber von den Mutterkühen. Die Tiere muhen herzzerreissend. Lotta schaut unbeeindruckt und nickt wie wild. Nun müssen wir die Männchen einfangen. Ich stelle mir vor, dass wir sie lieb streicheln und zu Boden legen. Stattdessen ist es wie beim Schwingen: Man wirft sich aufeinander, und früher oder später landet einer auf dem Rücken. Zuerst sind wirs. Dann ist es das Kalb. Tim und John legen los: Die Marke wird ins Ohr geklippt, die Hoden aufgeschnitten, die Eier plumpsen in die Tasse, und am Schluss gibts noch ein Brandzeichen auf die Hüfte. Der Geruch von versengtem Fell steigt uns in die Nase.
Abends serviert Lisa das Schafragout. Nicht mein Lieblingsessen. Nach der Dusche brät Tim die «Busch-Austern», die Hoden der Rinder. Sie sind weich, crèmig. Auch sie: nicht mein Lieblingsessen. Jackaroo John versteht die Welt nicht mehr: «Eine Spezialität!» Vor dem Zubettgehen schnäuze ich ins Taschentuch. Der Schleim ist braun von all dem Staub. Und mittendrin schwimmt eine Fliege.
Die australische TV-Serie «McLeods Töchter» ist einer der Gründe, warum es immer mehr Frauen in den Outback zieht.
1.
Tim Skerrett zeigt Natural Horsemanship in der Arena.
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Equipment
3.
Hufpflege gehört auch zu Aufgaben der angehenden Jack- und Jillaroos
4.
Unsere Cowgirls: annabelle-Reporterin Stefanie Rigutto (rechts) und Fotografin Ornella Cacace
5.
Die angehenden Jack- und Jillaroos machen am Lagerfeuer Pause
6.
Das Zusammentreiben der Schafe gehört ebenso zum Job wie das Brandmarken der Rinder.
7.
Die männlichen Kälber werden gleich kastriert.