Die Zeit ist reif, fand Autorin Kerstin Netsch: Sie will endlich eine Uhr – eine echte, alte, edle. Bei der Suche bekam sie bald verflixt gute Laune.
Jim Gerber war streng mit mir. Der Antikuhrenhändler sass hinter einem edlen Holztisch und fragte, warum ich eine alte Uhr will. Ich fühlte mich fast wie bei einem Vorstellungsgespräch, schluckte, und erzählte ihm, dass ich Vintage-Uhren grundsätzlich schöner finde, ich was Klassisches, Edles suche, eine Uhr mit drei Zeigern und nicht so viel technischem Dingsbums. Und dass ich es schön finde, wenn eine Uhr eine Geschichte mit sich bringt. Herr Gerber schien halbwegs zufrieden mit mir: «Wissen Sie, meine Kunden müssen Sinn fürs Schöne haben, für Qualität, Form und Farbe. Einfach zu kommen, weil alte Uhren Mode sind, wäre falsch. Man muss sie verstehen.» Ich nickte.
Dabei besass ich bis jetzt nie eine wirklich schöne Uhr. Meine Mutter mag lieber Perlen, und mein Vater tippte an seiner Digitaluhr mit Taschenrechner rum. Ich war immer ein bisschen neidisch auf meine Freundin, die von der Grossmutter eine alte Cartier bekam und dazu Geschichten von Romanzen und Reisen in ferne Länder. Die Hoffnung auf eine anständige Uhr, die über Generationen an mich weitergegeben würde, musste ich früh begraben. Wenn, dann selbst eine kaufen. Jetzt war der Moment gekommen. Nach acht Paar Schuhen in diesem Jahr, von denen ich nur noch die Hälfte trug, fünf Städtetrips und noch mehr roten Lippenstiften in allen Nuancen war es Zeit, in etwas Dauerhaftes zu investieren. Etwas, das ich mir schon lang gewünscht hatte: eine alte Uhr.
Ich begann meine Suche im Internet. Auf Ebay gab ich «Antike Armbanduhren» ein. 1667 Treffer. Ich wusste nicht, wo mit dem Sortieren anfangen, welche Uhr mir überhaupt steht. Und las in knallorangefarbener Schrift Sätze, die mich an einen Einkauf bei Aldi erinnerten: «Die Uhr befindet sich im gebrauchten Zustand!» «Für Hobbyuhrmacher geeignet!!» «Das Glas hat nur ein paar Kratzer!!!» Hilfe!!!
Da kann sogar ein Anfänger wie ich übersetzen: Dieses Teil ist Schrott. Ich kann von Glück reden, wenn sie überhaupt bei mir ankommt. Wenn ja, muss sie vielleicht komplett revidiert werden. Und so viel hatte ich bereits gelernt: Eine alte Uhr ist nicht wie eine Lederjacke, die erst richtig gut aussieht, wenn sie eingetragen ist. Sie sollte möglichst wenig Patina haben. Ich gab meine Suche im Internet auf; das ist nur für Leute, die ganz genau wissen, was sie wollen.
Dann machte ich mich in die einschlägigen Läden der Stadt auf. Manche waren beinah so überfüllt wie das Internet. Ich ging wieder raus. Im kleinen Uhrenladen auf der Zürcher Gemüsebrücke probierte ich eine rechteckige Gübelin aus der Art-déco-Zeit. Bewunderte, wie hübsch der Rahmen über das Glas gearbeitet war und bekam auf einmal blendende Laune. Ich wollte mehr und besuchte das Geschäft von Jim Gerber, einem der exklusivsten Antikuhrenhändler in Zürich. Der Mann versteckte seine Uhren aber erst mal in den Schubladen und stellte mir viele Fragen: «Was suchen Sie denn genau? Ist die Uhr für jeden Tag? Muss sie wasserdicht sein?» Ich sagte ihm, dass ich vorhabe, sehr gut auf sie aufzupassen. Endlich holte er die erste hervor, eine Jaeger-LeCoultre Reverso aus den Dreissigern. Der Klassiker. «Weissgold, ich habe lang danach gesucht. Sie war ein Glücksfall auf einer Messe, ihr Zustand ist unglaublich.»
Zweifellos, ich probierte. Aber ich hatte noch kein Herzklopfen. Zu konservativ für mich. Dann kam eine Corum aus den Siebzigern dran mit einer Fasanenfeder als Zifferblatt. Cool. Eigentlich. Aber nicht für jeden Tag. Und 10 000 Franken sind zu viel für mich. Jim Gerber legte mir eine kleine Rolex Oyster Perpetual, Bicolor, aus dem Jahr 1969 um das Handgelenk. Die bicoloren Uhren macht Rolex ja immer noch, aber es ist nicht dasselbe. Ich sah die feinen Goldglieder an der Seite, die schwarzen Ziffern. Ich stellte mich vor den grossen Spiegel. Es fühlte sich sehr richtig an. Endlich.
Jim Gerber Fine Timepieces, Rämistrasse 29, Zürich
Kerstin Netsch ist Co-Redaktionsleiterin des Magazins «20 Minuten Friday»