Barbara Buser baut kaum Neues, die Basler Architektin setzt lieber auf das, was schon da ist. Und gewinnt mit ihren Umnutzungen Preise. Sie sagt, wie sich Städte nachhaltig verändern – und attraktiv bleiben können.
annabelle: Barbara Buser, Sie sind gerade aus Berlin zurückgekehrt. Suchten Sie nach Inspiration oder abschreckenden Beispielen in Sachen Stadtentwicklung?
Barbara Buser: Ich war als Oberfachgutachterin für ein Projekt vor Ort, aber natürlich findet man in Berlin beides. Es gibt noch immer Platz für Freiräume, gleichzeitig hat die Stadt nach der Wende viel öffentlichen Boden an Private verscherbelt. Nun mangelt es massiv an günstigem Wohnraum. Was bestätigt, dass Private meist nicht gewillt sind, das Wohnungsproblem zu lösen.
Ihre wichtigsten Bauprojekte realisierten Sie fast alle in der Region Basel: das Gundeldinger Feld, die Alte Markthalle, das Walzwerk Münchenstein oder das Hanro-Areal Liestal. Ist das Programm?
Ja. Unser Architekturbüro heisst In Situ – an Ort und Stelle. In Basel bin ich aufgewachsen. Und es ist kein Zufall, dass das Gundeldinger Feld vor 19 Jahren mein wichtigstes Projekt war: Hier wohne ich im Haus meines Urgrossvaters, das ich vor dem Abbruch retten konnte. Ich wusste, was fehlt im Quartier. Daraus sind die Ideen zur Umnutzung des alten Fabrikareals entstanden.
Im Gundeldinger Feld schufen Sie nicht nur Wohnraum, sondern auch Lebensräume. Das scheint mir ein zentraler Punkt bei Ihrer Arbeit zu sein, richtig?
Ja, der öffentliche Raum interessiert mich fast mehr als der private Wohnbereich. Viele Architekten finden das weniger spannend, ich dagegen schon: die Umnutzung und Neugestaltung von Industriebrachen.
Man würde meinen, die Königsdisziplin für jeden Architekten sei der Neubau. Sie beschäftigen sich mit Altbauten. Warum?
Ich habe nie verstanden, warum man alles Alte abreisst und wegwirft. Die meisten alten Gebäude sind nicht nur in hoher Qualität gebaut, sondern auch mit viel Sachverstand und Liebe fürs Detail. Ein massives Eichenparkett hält locker 400 Jahre, die heutigen Kompo- sit-Bodenbeläge vielleicht noch zwanzig Jahre. In der Schweiz sind die Herstellungskosten so hoch, dass im Detail gespart wird und es die Baufirmen nicht interessiert, was nach Ablauf der fünfjährigen Garantie passiert. Klar, so ein Eichenboden ist heute kaum mehr zu bezahlen – was für meine Philosophie spricht: behalten, was schon da ist und sich wiederverwenden lässt.
Aber es gibt doch auch beispielhafte moderne Architektur. Etwa die Neugestaltung des Hochschulgebiets Zürich durch die Büros Herzog & de Meuron und Christ & Gantenbein.
Das ist richtig, aber alte Gebäude sind oft bedeutend sorgfältiger und detaillierter gestaltet. Und vor allem: noch immer brauchbar. Ein altes Haus ist mehr als nur ein Haufen Stein und Holz. Es besteht aus hochwertigem Material, und es kommt billiger, wenn man die alte Bausubstanz nutzt. Der Rohbau macht rund dreissig Prozent der Baukosten aus. Da lohnt es sich meistens, diesen stehen zu lassen, wenn die Struktur nicht verändert werden muss. So kann man Altes mit Neuem kombinieren, was ich ohnehin am spannendsten finde.
Mit Ihrer bewahrenden Haltung müssten Sie gerade im konservativen Lager punkten.
Das Problem ist, dass man mit meiner Philosophie weniger grosse Aufträge und somit weniger Gewinn generiert. Da ertönt schnell der Ruf nach einem Neubau.
Sind neue Prestigebauten und Stararchitekten Auslaufmodelle?
Nein. Wenn es einen Neubau braucht, etwa ein Museum oder ein Spital, und er finanzierbar ist und gut ausgeführt wird, spricht nichts dagegen. Mich hat das nie gereizt. Es waren schon immer leere, alte Häuser, die mich magisch angezogen haben.
Wenn Sie an Ihre Zeit an der ETH zurückblicken – was hatte Sie damals beschäftigt?
Mich hatten Fertighäuser fasziniert. Gebäude, die man industriell herstellt und dann in kurzer Zeit montiert. Vor vier Jahren haben wir in Zürich ein Büro übernommen, das genau das macht: vorgefertigte Modulbauten, die innert weniger Wochen installiert werden. Nach diesem System haben wir etwa zwölf Wohnsiedlungen für Flüchtlinge in der ganzen Schweiz gebaut.
Nach dem Studium wirkten Sie zehn Jahre lang als Entwicklungshelferin in Afrika. Erzählen Sie!
Im Südsudan baute ich Brunnen mit der lokalen Bevölkerung. Und in Dar es Salaam, der Hauptstadt von Tansania, betreute ich die Renovation und den Gebäudeunterhalt der Uni. Zurück in Basel, war ich sehr inspiriert durch meine Arbeit in Afrika. Es gibt dort praktisch keinen Abfall, fast alles wird wiederverwertet. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie gut die Qualität unserer Baukultur ist und wie viele hochwertige Gebäude laufend abgebrochen werden. Dieser Gegensatz löste in mir ein tiefes Unverständnis darüber aus, wie verschwenderisch wir uns verhalten. Also habe ich die Bauteilbörse gegründet. Wir retten, polieren, kontrollieren und verkaufen Bauteile von Abbruchhäusern.
Unsere Städte dürften in den nächsten fünfzig Jahren einen riesigen Zuwachs bekommen. Bewegen wir uns städtebaulich in die richtige Richtung?
Nein, die derzeitige Entwicklung ist katastrophal, da sie darauf abzielt, neue Hochhäuser in die Städte zu zwängen, aufgefüllt mit Wohnungen, deren Miete sich die wenigsten leisten können. Echte Verdichtung bedingt auch weniger Quadratmeter an Wohnraum pro Kopf, mehr öffentlichen Raum für alle. Da gibt es lobenswerte Beispiele, etwa bei Genossenschaften, die eine Limite setzen: vierzig Quadratmeter pro Person.
Das scheint mir vernünftig bemessen.
Würde ich auch sagen. Doch für viele Schweizer ist das bereits eine enorme Einschränkung.
Darum ist Verdichtung in Sachen Städtebau das Zauberwort der Stunde.
Ja, aber Verdichtung erreicht man nicht, indem auf kleinem Raum zwar viel gebaut wird, man am Ende aber nur wenigen Menschen Wohnraum bietet, weil die Grundrisse zu gross sind oder die Wohnungen zu teuer. Ein Beispiel ist die Europaallee in Zürich: Um die hohen Konstruktionskosten zu decken, vermieten und verkaufen sie dort Wohnungen zu Höchstpreisen.
Verdichtetes Wohnen für Gutverdienende?
Von Verdichtung kann keine Rede mehr sein, eher schon von Entdichtung. Natürlich hat das Hochhaus eine Berechtigung, aber wenn es auf halb leere Betonkisten mit Zweitwohnungen hinausläuft, ist das Gegenteil erreicht. Darum hat die Europaallee für mich nicht viel mit Architektur zu tun, sondern eher mit Rendite-Maximierung. Es geht darum, möglichst viel Quadratmeter-Bruttogeschossfläche zu bauen, die man vermieten oder verkaufen kann. Ausserdem sind die Gebäude langweilig.
Haben denn Architekten nicht den Ehrgeiz, etwas Spannendes, Ansehnliches zu schaffen?
Klar, doch leider wird die Schönheit bei solchen Grossprojekten von den Finanzen diktiert. Jede Deko, jeder Vorsprung, jeder Rücksprung, jede Unregelmässigkeit kostet Geld und wird weggespart, es sei denn, es lassen sich daraus vermietbare Quadratmeter generieren.
Was wäre Ihr Rezept?
Ich würde mich auf die Agglomerationsgebiete konzentrieren. Dort frisst die Zersiedelung enorm viel Land auf. Da müsste man sich überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, gleich eine neue Stadt zu planen.
Eine neue Stadt? Dieses Anliegen wäre in der Schweiz wohl gewöhnungsbedürftig.
Verdichtung darf nicht nur die Städte betreffen. Zurzeit werden in der Agglo einfach die Wohnquartiere erweitert. Die Menschen müssen für die Arbeit, für ihre Freizeitbedürfnisse oder zum Einkaufen in die Zentren fahren. Warum nicht gleich dafür sorgen, dass städtische Strukturen entstehen? Natürlich ist das wegen der Eigentumsverhältnisse schwer umzusetzen. Weshalb wir in der Schweiz diesen Siedlungsbrei haben. Wenn man von einer Stadt zur nächsten fährt, weiss man kaum mehr, wo die eine Stadt endet und die andere beginnt.
– Weitere Infos: insitu.ch
Schweizer Macherinnen
Wir feiern Schweizer Macherinnen! Zum 80. Geburtstag von annabelle 2018 stellten wir in der Jubiläumsausgabe achtzig herausragende Frauen vor. Nun geht die Serie weiter, denn es gibt noch so viele Schweizerinnen, die uns inspirieren und begeistern.