Die Abgründe der Modelbranche
- Redaktion: Silvia Princigalli; Foto: Imaxtree.com
James Scully nimmt kein Blatt vor den Mund und machte seine Erfahrungen mit Missbrauch hinter den Kulissen der Modelszene bereits vergangenes Jahr publik. Nun nennt der US-amerikanische Casting-Agent erstmals Namen der Mitschuldigen.
Die Modewelt blickt mit Argusaugen nach Paris: Nicht nur wegen der exklusiven Mode, die zur Zeit auf den Laufstegen der Paris Fashion Week präsentiert wird, sondern wegen den Missständen, die sich dahinter verbergen.
Bereits vergangenen Dezember sprach Branchenkenner James Scully – der seit 30 Jahren als Casting-Agent tätig ist – in der Talkshow «Business of Fashion Voices» von Missbrauch, Willkür, Rassismus und sogar Sadismus, denen sich die jungen Mädchen auszusetzen hätten, um einen Job zu ergattern. Scully tat dies jedoch, ohne konkrete Namen der Verantwortlichen zu nennen.
Das tat er nun Anfangs Woche: In einem Instgram-Post beschuldigt James Scully namentlich die beiden Agenten Maida Gregori Boina und Rami Fernandes. «Sie liessen 150 Mädchen für das Balenciaga-Casting drei Stunden im Treppenhaus warten. Als sie lunchen gingen, löschten sie sogar das Licht und verriegelten die Tür», heisst es auf seinem Instagram-Account.
Die beiden Casting-Agenten dementierten die Anschuldigungen, dennoch löste das französische Modehaus Balenciaga die Zusammenarbeit unmittelbar auf. Über das Branchenportal «Business of Fashion» liessen Maida Gregori Boina und Rami Fernandes bekanntgeben, dass dies alles nicht wahr sei – sie das Mittagessen während des Castings eigenommen hätten und niemand eingesperrt wurde. Es sei wohl richtig, dass im Balenciaga-Hauptgebäude kurzzeitig der Strom ausgefallen wäre, die Schuld jedoch nicht ihre sei.
Fakt ist: Scullys Post erhielt tausende von Kommentaren, über achttausend Likes und wurde innert kürzester Zeit von hunderten Arbeitenden der Branche geteilt. Unter anderem von Topmodel Joan Smalls. Es scheint, als wäre das hier kein Einzelfall und hätte James Scully mit seinen Anschuldigungen einen schlafenden Riesen geweckt.
Monica Pozzi, Casting- und Produktionsverantwortliche der annabelle Modeshootings, kennt die Modelbranche gut. Sie relativiert: «Was da passiert ist, ist inakzeptabel. Ich gehe aber davon aus, dass es sich um Einzelfälle handelt. Diese ziehen zwar die Aufmerksamkeit auf mögliche Missstände und helfen dabei diese zu verbessern, jedoch sollten sie nicht verallgemeinert werden. In der gesamten Modeindustrie gibt es viele gute Player. Wie beispielsweise kleine Mutteragenturen, die ihre Models intensiv betreuen und diese nicht in eine solche missständige Situation bringen würden».