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5 Vintage-Modeprofis teilen ihr Wissen: «Mir geht es darum, Träume wahr zu machen»

Fashion

5 Vintage-Modeprofis teilen ihr Wissen: «Mir geht es darum, Träume wahr zu machen»

  • Text: Sandra Brun
  • Redaktion: Tiziana Demasi, Nadja Stricker; Bild: Simon Habegger

Fünf Schweizer Secondhandshop-Besitzer:innen erzählen, wie ihre Liebe für Vintage-Mode entstand, worauf man bei Secondhandmode achten muss und welche Stücke ihre absoluten Favoriten sind.

Annick Fedele (73), Annick A., Crans-Montana

«Kelly Bag neben No-Brand-Tasche: Ich mag den Mix»

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«Meine Secondhandboutique ist wie ein Spielplatz für mich. Ich habe eine Leidenschaft für Mode, Materialien, Schnitte. Und ich bin absolut verrückt nach Taschen: Mein Traumstück ist die Kelly Picnic Bag von Hermès, nach der suche ich immer und überall. Und ich versuche, meinen Kund:innen die Geschichten hinter den Taschen näherzubringen, mein Wissen zu teilen.

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«Ich verstehe mich als Geschichtenerzählerin. Und Kuratorin»

Die Wichtigkeit von Storytelling habe ich bei Chanel gelernt, Ende der Neunzigerjahre habe ich die erste Boutique des Brands in Dubai geleitet. Ich verstehe mich also als Geschichtenerzählerin. Und als Kuratorin: In meinem Shop kann eine Kelly Bag von Hermès für 40 000 Franken neben einer No-Brand-Tasche für 200 Franken stehen, fast neue Secondhandstücke neben Vintagepieces – also Stücken, die mehr als zwanzig Jahre alt sind. Ich mag diesen Mix.

Mir geht es bei Secondhandmode ausserdem darum, das Existierende zu nutzen und zu erhalten, es der nächsten Generation zugänglich zu machen, ikonische und zeitlose Stücke ins Rampenlicht zu rücken. Ganz nach Jean Paul Gaultier: ‹Adieu le flambant neuf, bonjour le flambant vieux.›»

Annick A. Luxury Secondhand, Rte du Rawyl 14, 3963 Crans-Montana

 

Sébastien Garsault (47), Le Dressing, Lausanne

«Mir geht es darum, Träume wahr zu machen»

«Madame Saint Laurent, die Schwester von Yves Saint Laurent, war eine enge Freundin von mir. Sie unterstützte mich bei der Eröffnung meines Secondhandladens. Wir gingen zusammen nach Paris, kauften dort in Secondhandläden ein, erhielten Kleidungsstücke von ihren Freund:innen, bauten so mein Sortiment auf. Danach kam sie fast jeden Tag bei mir im Laden vorbei, bis sie vor vier Jahren verstarb. Es war die Atmosphäre hier, die sie mochte.

Ich war früher Butler, arbeitete im Orient-Express, kenne mich mit Luxusgütern aus. Und liebe es, in meinem Laden solche zu verkaufen – aber auch Stücke für zwanzig Franken. Ich möchte Sachen für alle anbieten. Es gibt Leute, die mehr haben, und Leute, die weniger haben, aber alle können mit einem Stück hier rausgehen.

«Meine Kund:innen sind für mich wie eine Familie, ich sehe sie häufiger als meine eigene Mutter»

Meine Kund:innen sind für mich wie eine Familie, ich sehe sie häufiger als meine eigene Mutter. Am Weihnachtstag, wenn der Laden eigentlich geschlossen ist, veranstalte ich für meine engsten Kund:innen einen Apéro. Und wenn ich ein besonderes Stück ergattere, möchte ich es ihnen anbieten, deshalb verkaufe ich auch nicht online und behalte kaum etwas für mich.

Meine Kund:innen sollen sich Zeit nehmen in meinem Laden. In diese Welt eintauchen, die ein bisschen wie die Schatztruhe von Ali Baba ist. Sie sollen sich entspannen, ihre Probleme vergessen. Lieblingsstücke entdecken, den eigenen Stil finden. Man muss sich ausprobieren und wohlfühlen. Wenn es dir steht, kaufe es! Und wenn jemand nicht gleich das nötige Geld besitzt, kann man es abzahlen. Mir geht es darum, Träume wahr zu machen.»

Le Dressing, Avenue des Alpes 3, 1006 Lausanne

 

Andrea Schaller (63), Preloved Revolution, Zürich

«Vintagekleider sind für mich eine nachhaltige Wertanlage zum Anziehen»

«Mein erstes Secondhandpiece war eine Dirndl-Leinenbluse, die ich mit vierzehn in München gekauft habe und heute noch besitze, die Qualität ist sensationell. Noch älter sind nur die Jupes meiner Grossmutter und die Kleider, die ich meiner Mutter mit zwölf aus der Garderobe stibitzt habe – oder die Seidenkleider aus den Dreissigern, die ich in New York gefunden habe. Bei denen überlege ich mir gut, wann ich sie trage; also nicht unbedingt, wenn ich hier tonnenweise Kleiderbügel rumschlep-pe. Aber es hängt nichts in meinem Schrank, das ich nicht trage – Vintagekleider sind für mich eine nachhaltige Wertanlage zum Anziehen.

Zu meinen grössten Schätzen gehören sicherlich die Stücke von Thierry Mugler; Kostüme, die ich schon in den Achtzigerjahren trug. Oder Sachen von Lily Farouche aus den Neunzigerjahren. Ich bin aufgewachsen mit ausgef lippter Mode, die nicht alle hatten, mit der man ein Alleinstellungsmerkmal hat. Genau solche Stücke liebe ich immer noch.

Die findet man auch in meinem Laden: Nicht unbedingt Pieces, die sich schnell verkaufen, sondern solche, die gesucht sind, ein bisschen crazy und trotzdem weiblich. Wir legen heute viel zu wenig Wert auf unsere Weiblichkeit. Vintagesachen hingegen sind oft figurbetont geschnitten, gerade solche von Mugler oder Alaïa. Eine Frau bewegt sich in deren Designs sofort anders, die Kleider heben ihre Weiblichkeit hervor, sind aber gleichzeitig ein Panzer gegen die Aussenwelt, mit dem sie selbstbewusster auftritt. Das alles kann Mode auslösen. Und das liebe ich an Vintagestücken: Dass ich Frauen empowern kann mit dem richtigen Kleid oder einer gut geschnittenen Jacke – unabhängig von ihrer Körperform.

«Wir haben hierzulande nicht die Mentalität, unique sein zu wollen»

Da ich früher gemodelt und Modedesign und Schnitttechnik studiert habe, kenne ich viele der Schnitte und erkenne daran den Wert und die Echtheit von Mode. Meine Lieblingsstücke sind die, denen man die Arbeit, Kreativität und Liebe ansieht. Und solche, hinter denen besondere Geschichten stecken: Wie das Abendkleid aus London, das die Tante der Verkäuferin zum Tee mit der Queen trug. Oder Couture-Mäntel, die mir eine 102-jährige Dame brachte.

Die sind für mich genauso einzigartig wie die speziellen Designerstücke, die ich schon verkauft habe: eine Chanel-Jacke der Moskau-Kollektion etwa, ein echtes Sammlerstück. Oder das Snow-Leopard-Kleid von Alaïa, das damals alle Supermodels trugen.

Secondhand ist für mich nicht zwingend Mode für Fortgeschrittene, aber Vintage ist es. Wir haben hierzulande nicht die Mentalität, unique sein zu wollen. Dabei kriegt man für den Preis eines neuen Zara-Kleides ein Vintage-Seidenkleid von Diane von Fürstenberg. Ein Luxus-Designstück, das ewig hält. Ich besitze Fürstenberg-Kleider aus den Siebzigerjahren, die sehen immer noch fantastisch aus. Das versuche ich meinen Kund:innen aufzuzeigen – wenn sie das verinnerlicht haben, kommen sie immer wieder.»

Preloved Revolution, Dufourstrasse 29, 8008 Zürich

 

Juergen Schabes (46), Love at the Bus Stop, Zürich

«Schlicht und basic bin ich eher nicht»

«Ich habe immer schon Mode gesammelt, komme aus der Branche, meine ganze Familie hatte mit Mode zu tun. Ich war in den Neunzigern Stylist für Werbefilme und Musikvideos in Österreich, dann Fotograf in New York. Dort habe ich 2003 ein Vivienne-Westwood-Shirt mit den nackten Cowboys gekauft, das war mein erster bedeutender Secondhandkauf. Anschliessend habe ich in diesem Secondhandshop zu arbeiten begonnen.

Dass ich selbst einen Shop aufgemacht habe, liegt daran, dass meine Familie mir irgendwann drohte, aus Platzgründen all die Sachen wegzugeben, wenn ich sie nicht abholen kommen würde. Bei der Eröffnung vor sechs Jahren war der Laden also voll mit meinen gesammelten Stücken. Daraus entwickelte sich ein Selbstläufer: Ich kaufe viel und kriege viel. Das meiste stammt aus den späten Achtziger- bis frühen Nullerjahren. Und der Stil? Schlicht und basic bin ich eher nicht.

Mich interessiert an Vintage, dass die Mode früher interessanter war; das Design stärker, die Qualität besser und der Unterschied zwischen den Brands klarer. Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich tolle Sachen von John Galliano oder Jean Paul Gaultier aus den Neunzigern finde.

«Meine Sachen sind Antiquitäten zum Anziehen – für Sammler:innen und Modebewusste»

Manchmal sind die Leute geschockt von den Preisen in meinem Shop. Aber ich gehe ja auch nicht ins Antiquitätengeschäft und frage, warum etwas mehr als bei Ikea kostet. Im Grunde sind meine Sachen Antiquitäten zum Anziehen – für Sammler:innen und Modebewusste. In meinen Laden kommen nur High-End-Brands oder ausgefallene No-Name-Brands. Qualität und Design müssen stimmen. Das schätzen auch meine Kund:innen. Oft kriege ich Aufträge, spezifische Stücke für sie zu suchen. Gerade frage ich mich quer durch mein weltweites Netzwerk nach weissen Vintage-Gummistiefeln von Chanel für die Hochzeit einer Kundin.

Oder mir werden Stücke angeboten, wie im letzten Winter ein Galliano-Kleid. Genau meins: laut, quietschig, pink. Als ich den Anruf erhielt, stand neben mir im Tram eine Freundin, der ich sofort ein Bild des Kleids zeigte. Sie meinte: «Ah witzig, ich habe das Kleid damals in der Show getragen.» Das war Diana Gärtner, die 2004 in demselben Kleid für Dior lief, das mir gerade angeboten wurde und heute hier im Laden hängt.

Lieblingsstücke habe ich zahlreiche: Das Bob-Mackie-Kleid, das Madonna an der Oscarverleihung 1991 trug. Die Rainbow-Jacket von Thierry Mugler, die ich jeweils zur Pride im Schaufenster ausstelle und eigentlich gar nicht verkaufen will. Das Cage-Bustier von Yohji Yamamoto von 2005, das auch im Museum of Modern Art in New York hängt – und bis vor kurzem auch bei mir hing.

Oder ein Hut von Stephen Jones von 1995, zu dem mir der Designer selbst kürzlich diese Geschichte erzählte: John Galliano kombinierte den Hut mit einem schwarzen Etuikleid und zeigte den Look im gleichen Jahr auf dem Runway in Paris. Die Verantwortlichen von Givenchy sollen davon derart beeindruckt gewesen sein, dass sie Galliano als neuen Chefdesigner unter Vertrag nahmen.»

Love At The Bus Stop, Badenerstrasse 153, 8004 Zürich

 

Franziska Holzer (52), Three, Basel

«Es ist nur zeitgemäss, dass man gut erhaltenen Kleidungsstücken ein neues Leben schenkt»

«Für die Secondhandbranche habe ich mich einerseits wegen ihres Nachhaltigkeitsaspekts entschieden, andererseits aus Leidenschaft für Mode. Mit dreizehn kaufte ich auf dem Flohmarkt eine Smoking Jacket. Sie war mir viel zu gross, aber ich musste sie unbedingt haben. Und trug sie, bis sie auseinanderfiel.

Phasenweise habe ich ausser Socken und Unterwäsche alles secondhand getragen. Schliesslich ist die Textilbranche die zweitgrösste Verursacherin der Umweltverschmutzung, da ist es nur zeitgemäss, dass man alten und gut erhaltenen Materialien und Kleidungsstücken ein neues Leben schenkt. Besonders weil ältere Kleidung so viel langlebiger und strapazierfähiger ist als neue von heute.

«Vintage und Secondhand ist etwas Einzigartiges, hat einen Überraschungseffekt»

Ausserdem liebe ich an Vintage und Secondhand, dass man in einem Laden meist nur ein Piece davon findet. Es ist etwas Einzigartiges, hat einen Überraschungseffekt. Den schätzen auch meine Kund:innen, die oft hierherkommen und sich vom Sortiment inspirieren lassen.

Als Schätze würde ich persönlich die unscheinbaren Stücke bezeichnen, die sich schön kombinieren lassen. Sachen, die man jedes Jahr aus der Sommerschachtel oder aus dem Winterschrank nehmen kann, und sich freut, sie zu reaktivieren.

Das Konzept meines Stores ist die Mischung aus Secondhand- und Vintagekleidern sowie Schuhen und nachhaltig produzierten Objekten für den Alltag, die meist von Hand hergestellt werden von Menschen, zu denen ich persönlichen Kontakt pflege. Wie etwa Strickwaren, die aus überschüssigen Materialien produziert werden.

Der Kauf von Secondhandmode braucht sicherlich etwas Übung. Manchen bereitet es anfangs Schwierigkeiten, dass hier jedes Stück ein Einzelstück ist. Aber das kann ich gut auffangen und meinen Kund:innen aufzeigen, was zu ihrem Stil und ihrer Körperform passt.»

Three, Blumengasse 3, 4051 Basel

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Renate Rueppel

Vintage ist genial