Die Würfel sind gefallen - und bestimmen, wohin die Reise geht. Gleiswürfeln heisst dieses Spiel, bei dem die gewürfelte Zahl das Gleis bestimmt und somit den Zug, den man nimmt. Reisebegleiter Zufall sandte Jessica Prinz den Rhein entlang nach Schaffhausen.
«Bikini?», fragt meine Freundin Laura mich am Abend bevor wir uns zum Gleiswürfeln verabredet haben. «Denke schon», antworte ich mit einem Zwinkeremoji. «Denke auch!» antwortet sie sofort. Das Wetter ist gut, und wer weiss, wo wir uns hinwürfeln werden.
Schon vor ein paar Jahren machte ich mich einmal mit einer Freundin auf ein Gleiswürfel-Abenteuer. Die Erinnerungen sind bis heute unvergessen: Von Luzern über Beinwil am See und Lenzburg bis in die Kartause Ittingen bei Frauenfeld und zum Abschluss des Tags noch quer durch die Schweiz bis nach Zermatt. Damals würfelten wir uns von einem Ort zum andern; wenns zu langweilig wurde, fuhren wir weiter. Dieses Mal sind die Spielregeln ein wenig anders: einmal würfeln fürs Gleis, einmal würfeln für die Anzahl Stationen, an der erwürfelten Destination wartet das Abenteuer.
Am Zürcher Hauptbahnhof studiere ich am nächsten Tag die Anzeigetafel. Gleis 14 hätte ich gern: Konstanz. Durchs Städtli flanieren, ein Glace geniessen, gegen Abend ein kühles Bier am Seeufer – so stelle ich mir den Tag vor und zupfe das trägerlose Bikinioberteil unter meinem Sommerkleidchen zurecht. Ich ahne noch nicht, dass es ganz anders kommen soll. «3, 2, 1…», zählt Laura herunter, bevor ich die virtuellen Würfel in der Würfelsimulator-App rollen lasse. 3, 4, 5 erscheint auf dem Bildschirm: Gleis 12. Gespannt suchen wir die Anzeigetafel nach der Zahl 12 ab – und bleiben beim Wort Schaffhausen hängen. Wir würfeln erneut, wollen wissen, wo genau uns der Zug hinführen wird. Die Auswahl ist mit Zürich-Oerlikon, Zürich-Flughafen, Bülach und der Endstation Schaffhausen doch eher bescheiden, der Zufall will, dass wir bis zur Endstation fahren. Schaffhausen – seit ich als kleines Kind mit der Schule den Rheinfall besuchte, war ich nicht mehr da. Schon auf der Zugfahrt den Rhein entlang sind wir gespannt, was Schaffhausen zu bieten hat, recherchieren im Internet, was wir unternehmen könnten. Bis wir von der Aussicht auf den Rheinfall unterbrochen werden. Unsere Nasen kleben fast an der Zugscheibe, so fasziniert sind wir von den Wassermengen, die den Rhein hinabschiessen. Da müssen wir hin, beschliessen wir, und nach einem Spaziergang durch die Altstadt mit ihren erstaunlich vielen herzigen Shops und der Besteigung des Wahrzeichens von Schaffhausen, der Zirkularfestung Munot, nehmen wir den Bus nach Neuhausen am Rheinfall. Geschummelt? Wir finden: Nein! Denn wer nach Schaffhausen geht, muss den Rheinfall sehen.
Wir lernen – dank unseren Smartphones – so einiges, das wir in der Schule bestimmt schon einmal gehört, aber längst wieder vergessen haben, während wir am Ufer des Rheins, ganz nah am Rheinfall, entlangspazieren – begleitet von unzähligen Touristen. Zum Beispiel, dass der Rheinfall 1963 zugefroren war, dass er bis zu 1250 Kubikmeter Wasser pro Sekunde führen kann, in den schlechtesten Zeiten aber nur Abflussmengen von etwa 95 Kubikmeter gemessen wurden. Dass Aale die einzigen Fische sind, die den Rheinfall aufwärts überwinden können. Oder dass im Jahr 2016 1.5 Millionen Touristen den Rheinfall besuchten. Und wir lernen, dass es gleich beim Rheinfall den flächenmässig grössten Seilpark der Schweiz gibt.
Und da wollen wir hin! Wir entfernen uns ein wenig von der Touristenmeute und machen uns in Richtung Seilpark auf. Vorsichtig treten wir an das Holzhäuschen im Wald heran – den Eingang des Adventure Park Rheinfall. Die beiden Männer an der Kasse beobachten uns schon von weitem – mit einem leicht süffisanten Lächeln auf den Lippen, denn optimal sind wir beide mit unseren Sommerkleidchen und Laura mit ihren offenen Schuhen nicht angezogen. Zögerlich treten wir an die Kasse, fragen, ob man uns so überhaupt reinlässt. Ob uns denn bewusst ist, dass man von unten zu uns nach oben schauen kann, fragt uns darauf der Angestellte lächelnd. Ich werfe Laura von der Seite einen leicht verunsicherten Blick zu, bevor ich vorgetäuscht selbstbewusst antworte: «Wir haben ja eh das Bikini drunter an, da sieht man nichts.»
Wir wagen es also – und sollen es nicht bereuen. Laura wird mit stabilem Schuhwerk ausgestattet, das Gstältli wird angelegt, und ab gehts in die Höhe. Angefangen bei den einfachen Routen landen wir durch das gute Zureden eines Aufpassers bald auf Route 9 – für Könner und Cracks. Es geht hoch hinaus, bedarf immer mehr Konzentration und Überwindung, einmal so viel, dass ein kleiner Bub auf einem anderen Parcours mir ermutigend zuruft: «Sie schaffen das! Wenn ich das kann, können Sie das auch! Trauen Sie sich!»
Und wenn man denkt, schlimmer gehts nimmer, stellt sich heraus: Schlimmer gehts immer! Die grösste Herausforderung sollte noch auf uns warten. Das Hindernis, das uns auf eine Plattform bringt, die 18 Meter über dem Boden an einem recht fragil erscheinenden Baum schwebt. Weit unter uns im Tal fährt der Zug, der uns nach Schaffhausen brachte, durch einen Tunnel. Es ist wackelig, als ich auf der anderen Seite darauf warte, dass Laura das Hindernis überquert. Bei jedem ihrer Schritte fühlt es sich an, als ob der Baum kippen würde. Stolz fallen wir uns in die Arme, als auch sie es geschafft hat, freuen uns aber gleichzeitig darauf, ein paar Minuten später wieder festen Boden unter den Füssen zu haben.
Das grösste Highlight erwartet uns aber noch. Nach der herausfordernden Kletterpartie gehts nämlich mit der Panorama-Seilrutsche zurück zum Ausgang – mit der schönsten Aussicht auf den Rheinfall, ganz ohne Touristengetümmel.
Glücklich und überrascht falle ich an diesem Abend ins Bett, mit Sonnenbrand auf den Schultern und Muskelkater in den Beinen. Mit solch einem Tagesprogramm hätte ich am Abend zuvor bestimmt nicht gerechnet, und wieder einmal bin ich begeistert vom Gleiswürfeln. Würde ich sonst auf die Idee kommen, mit dem Zug nach Schaffhausen zu fahren, den Rheinfall zu besuchen und spontan und völlig unvorbereitet im Hochseilpark herumzuklettern? Wohl eher nicht.
Sehen
Munot
Das bekannteste Wahrzeichen der Stadt Schaffhausen, der Munot, ist schon von weitem sichtbar. Von oben hat man eine wunderbare Aussicht auf die Stadt und den Rheinverlauf, im Sommer finden verschiedene Veranstaltungen, wie Salsa-Parties und Openair-Kinos, statt.
Rhyfall-Mändli
Dem Rheinfall noch etwas näher kommen: Auf einer Rundfahrt im Rheinfallbecken und zum Mittelfelsen, der bestiegen werden kann, lernen Sie mehr über den Rheinfall. Die Fahrten dauern 15-30 Minuten, Audioguides gibt es in vielen verschiedenen Sprachen.
Adventure Park Rheinfall
Im Adventure Park Rheinfall kann man auf über 170 Elementen das Geschick und die Kondition testen – und seine Grenzen ausloten. Ein Besuch ist unbedingt zu empfehlen, nicht zuletzt wegen der sagenhaften Aussicht auf den Rheinfall. Der Park ist von Ende März bis Ende Oktober täglich geöffnet, auch an Sonn- und Feiertagen, der Eintritt kostet 40 Franken. Bei starkem Wind oder Gewittern bleibt er geschlossen.
Reisen
Ab Zürich Hauptbahnhof dauert die Fahrt nach Schaffhausen 38 Minuten und kostet mit dem Halbtax-Abonnement 23.20 Franken. Wer direkt zum Rheinfall und in den Adventure Park Rheinfall will, kann von Zürich aus die S-Bahn nehmen und direkt in Neuhausen am Rheinfall aussteigen. Der kleine Umweg über Schaffhausen, verbunden mit einem Spaziergang durch die schöne Altstadt, lohnt sich aber allemal.
Linktipp: Unsere Junior-Online-Editor Leandra Nef hat es nach Arth-Goldau geführt
1.
Einmal würfeln fürs Gleis, einmal würfeln für die Anzahl Stationen: So lauten die Regeln beim Gleiswürfeln
2.
Die ehemalige Festung Schaffhausens, der Munot, dient heute als städtischer Veranstaltungsort und Kulturzentrum
3.
Aussicht vom Munot auf die Stadt und den Rhein
4.
Pause am Ufer des Rheins mit Blick auf den Rheinfall
5.
Der Panorama-Express, die längste Seilrutsche des Adventure Park Rheinfall, mit bestem Ausblick auf das berühmte Schweizer Wahrzeichen. Foto: Adventure Park Rheinfall