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Donna Karan: Ein Interview ohne Tabus

Donna Karan: Ein Interview ohne Tabus

  • Interview: Silvia Binggeli; Fotos: Dan Cermak

Als Label steht Donna Karan für entspannte Mode. Als Person für kompromisslose Ehrlichkeit. Wir trafen die New Yorker Design-Ikone in Zürich – zu einem Gespräch ohne Tabus.

Es gibt Menschen, denen würde man sofort sein Leben anvertrauen, sie nachts um drei, in Not, anrufen, obwohl man sie eigentlich kaum kennt. Donna Karan gehört zu diesen Menschen. Die 67-jährige New Yorker Modedesignerin ist nach Zürich gereist,
um exklusiv in der Boutique Trois Pommes ihre Urban-Zen-Kollektion vorzustellen: entspannt-schlichte, aber sehr hochwertige Mode, inspiriert von Künstlern und Kulturen auf der ganzen Welt. Urban Zen ist eine Marke und zugleich eine Lebensart und eine Stiftung: Eine Lebensphilosophie.

Der Grund, warum Donna Karan ausgerechnet Zürich mit ihrem Besuch beehrt: Karan und die Schweizer Modeinstanz Trudie Götz, Gründerin und Geschäftsführerin von Trois Pommes, verbindet seit vielen Jahren eine Freundschaft. Trudie Götz habe ihre Mode als Erste aus Amerika ins Ausland geholt, wird Donna Karan später erzählen. So etwas vergesse man nicht.

Donna Karan spricht mit rauer Stimme, die nicht zur zierlichen Erscheinung passen will. Sie ist ebenso zurückhaltend wie einnehmend, wirkt schüchtern, legt während des Gesprächs gern ihren Kopf in die Hand. Sie mustert ihr Gegenüber wissbegierig. Wenn sie lacht, ist es immer auch ein Kichern. Sie sitzt kaum still. Und scheint trotzdem so tief in sich zu ruhen, dass man selbst sofort langsamer spricht.

Donna Karan stellt an diesem kühlen Nachmittag auch ihre Autobiografie vor, die letztes Jahr, vorerst nur in Englisch, erschienen ist. «My Journey»: Der Titel lässt auf Anhieb wenig Tiefgründiges erwarten. Noch eine Persönlichkeit, die ihr Leben, amerikanisch geschönt und perfekt inszeniert, zum Besten gibt? Falsch! Donna Karan erzählt bis zur Schmerzgrenze ehrlich, aber auch unterhaltsam – über ihre aussergewöhnliche Karriere, das schwierige Verhältnis zur egozentrischen Übermutter, ihren eigenen beruflichen Ehrgeiz, der sie wenige Tage nach der Geburt ihrer Tochter zurück ins Atelier trieb. Und darüber, wie sie vermutlich von ihrem Liebhaber schwanger wurde und das Kind abtrieb – in Absprache mit ihrem damaligen Ehemann. «Wenn eine Autobiografie, dann ehrlich», sagt sie.

annabelle: Donna Karan, Ihre langjährige Freundin Barbra Streisand schreibt im Vorwort Ihrer Autobiografie, Sie seien wundervoll …
Donna Karan: … aber auch verrückt und sehr chaotisch.

Genau. Inwiefern denn?
Es gibt so vieles, was ich in so wenig Zeit tun möchte! Ich will dies und jenes entdecken, hier und dort sein – sehe ständig das gesamte Bild. Ich bin Waage, die können sich schwer entscheiden. Aber wenn ich mal fokussiert bin, dann komplett. Zum Beispiel wenn ich entwerfe.

Wie sehr mussten Sie sich konzentrieren, um Ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben?
Ich schrieb das Buch innerhalb eines Jahres mit Kathleen Boyes, einer grossartigen Autorin, mit der ich seit Jahren arbeite. Sie kennt mich sehr gut. Hat man ein gewisses Alter, vergisst man vieles. Deshalb musste sie forschen. Sie sprach mit vielen Leuten aus meinem Umfeld und kam mit Aussagen zurück, um mein Gedächtnis anzukurbeln. Wir führten stundenlange Dialoge. Ich liebte es, mein Leben zu reflektieren. Ich wollte nicht, dass das Buch ein Ende nimmt.

Sie schreiben etwa, wie Sie Ihren ersten Ehemann, Mark Karan, mit dem Bildhauer Stephan Weiss betrogen haben – während der Ehe, aber auch schon zuvor. Respekt für so viel Ehrlichkeit. Aber fragten Sie sich nie: Soll die Welt das wirklich erfahren?
Natürlich! Aber ich konnte diesen unglaublich wichtigen Teil unmöglich aus meiner Autobiografie weglassen. Stephan war die Liebe meines Lebens.

Sie fürchteten nicht, Ihnen nahestehende Menschen zu brüskieren?
Doch. Deshalb habe ich mit allen gesprochen, um sicher zu sein, dass sie nicht verletzt sein würden. Im Gegensatz zu Stephan lebt mein erster Mann Mark noch. Es sollte damals nicht sein mit uns. Und das ist in Ordnung. Aber er ist sehr wichtig für unsere Familie, für unsere gemeinsame Tochter und ihre Kinder. Die Enkel lieben ihren Grossvater. Stephan, meinen zweiten Ehemann, haben sie leider nie kennen gelernt. Es ist alles etwas kompliziert. Aber ich wollte, dass Mark sich wohlfühlt mit dem, was ich schreibe. Ich fragte ihn. Und er sagte: Absolut!

Sie schreiben auch ungeschönt über das schwierige Verhältnis zu Ihrer Mutter.
Ja, sie hat mir und meiner älteren Schwester mit ihrer egozentrischen Art viel zugemutet. Meinen Vater habe ich leider schon verloren, als ich drei war. Aber es waren auch andere Zeiten damals. Eltern und Kinder trennte eine klare Linie. Heute sind sie meist stärker miteinander verbunden. Meine Tochter Gabby zum Beispiel ist die meiste Zeit in unserer Beziehung die Mutter. Und ich das Kind (sie lacht; nein, sie kichert).

Wie das denn?
Ich bin momentan ziemlich müde, weil ich im letzten Jahr viel gemacht habe und oft gereist bin. Vor der Reise hierher meinte Gabby: Du fliegst nicht nach Zürich. Ich sagte: Doch. Sie sagte: Nein. – Jetzt bin ich hier.

«Das wirklich Erstaunliche ist, dass das Leben stets weitergeht», ist eine Erkenntnis, die Sie besonders seit den Anschlägen vom 11. September 2001 beherzigen.
Am Tag des Angriffs auf das World Trade Center sollte die Show meiner Zweitlinie DKNY in New York stattfinden. Ich hatte keine Lust, die Präsentation zu machen, es war die erste, an der mein Mann Stephan nicht dabei sein würde. Er war kurz zuvor an Lungenkrebs gestorben. Ich konnte die ganze Nacht kaum schlafen. Dann weckte mich morgens eine Freundin und sagte: «Donna, wach auf, wach auf, das Leben wird nie mehr dasselbe sein!» Ich schaute zum Fenster hinaus und sah den Rauch über dem nahen World Trade Center …

Wie reagierten Sie?
Ich betrauerte in diesem Moment meine grosse Liebe, die jahrzehntelang mein Fels gewesen war. Ich dachte an all die Menschen, die bei diesem Angriff ums Leben kamen, und an ihre Angehörigen. Ich hatte das Glück, mich auf den Tod meines Mannes vorbereiten zu können. Aber diese Menschen waren völlig unerwartet aus dem Leben gerissen worden.

Sie sagten Ihre Präsentation ab und stellten die Showlocation für die Versorgung Verletzter zur Verfügung.
Ja. 9/11 bedeutete für mich auch persönlich einen Wendepunkt. Daraus entstand später die Idee zu Urban Zen, die Verbindung von Philanthropie und Geschäft. Mit Urban Zen kann ich Menschen einkleiden und ihnen gleichzeitig meine wichtigsten Anliegen näherbringen.

Viele Persönlichkeiten engagieren sich wohltätig …
… um sich zu inszenieren, ich weiss.

Was treibt Sie an?
Geben ist immer auch egoistisch: weil es einem viel zurückgibt. Doch man kann sich als Einzelperson nicht mehr raushalten. Es gibt überall auf der Welt so viele Probleme, und deren Lösung kann nicht auf den Schultern von einigen wenigen lasten. Statt sich bedienen zu lassen, muss man dienen.

Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Philanthropisch war ich immer. Sehe ich ein Problem, sehe ich eine Lösung. Als Ende der Achtziger die Aidsepidemie ihren Höhepunkt erreichte, habe ich die Bekanntheit meiner Marke genutzt und Kollegen animiert, mit mir den viertägigen Wohltätigkeitsverkauf Seventh on Sale zu initiieren. Perry Ellis war aidskrank, Kollegen starben, niemand sprach darüber. Aber dann kamen sie alle: Ralph Lauren, Calvin Klein, Bloomingdale’s. Später habe ich Anna Wintour bei einer Aktion zur KaranBekämpfung von Brustkrebs unterstützt. Mit Urban Zen will ich Bildung fördern und das Gesundheitswesen. Mein Mann Stephan sagte immer, bei allem, was du machst, kümmere dich um die Krankenschwestern. In enger Zusammenarbeit mit der Clinton Global Initiative unterstützen wir Handwerker in Haiti. Gleichzeitig bringen wir Modestudenten der New Yorker Parsons School nach Haiti, damit sie eine andere Welt sehen und diese Erfahrung später in ihren Beruf einbringen.

Sie scheinen immer noch die Energie eines Kindes zu haben.
Mein Körper und mein Geist haben tatsächlich nicht dasselbe Alter. Das kann eine ganz schöne Herausforderung bedeuten.

Inwiefern sind Sie Kind geblieben?
Ich lasse mich vom ganzen Etepetete in der Modebranche nicht beeindrucken. Ich fühle mich wohl in meiner Haut, ohne mich dauernd zu fragen, was ich tun muss, um dem Business zu entsprechen. Egal, wo ich bin oder was ich mache: Ich will entdecken. Immer und überall.

Dennoch muss es geschmerzt haben, die legendäre Marke aufzugeben, die Ihren Namen trägt und die Sie gemeinsam mit Ihrem Mann Stephan Weiss während dreissig Jahren aufgebaut haben.
Ja, sehr. Wir hatten das Label bereits zuvor an den französischen Modekonzern LVMH verkauft, ich war aber weiterhin die Chefdesignerin. Doch der Aufbau von Urban Zen nahm immer mehr von meiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Das war nicht fair den anderen Marken gegenüber. Gegen Ende sagte ich mir nach jeder Show: Das ist meine letzte Kollektion. Mein Umfeld meinte: Donna, du hörst nie auf. Dann, als die Marke Donna Karan New York ihr 30. Jubiläum feierte, war der Moment da, um loszulassen.

Wie hat sich die Modebranche seit Ihren Anfängen verändert?
Oh, mein Gott, komplett! Als ich anfing, ging es um die Konsumentin. Ich dachte als Designerin schon immer sehr realistisch. Mir geht es darum, mich selbst und Freundinnen anzuziehen. Dabei gehe ich immer vom Körper aus. Ich überlege mir, was ich morgens aus dem Schrank ziehen möchte, um gut durch den Tag zu kommen. Aber heute geht es in der Modebranche um Markenbildung, um das Spektakel, um die Show. Mir ist die Branche über die Jahre zu abgehoben geworden.

Und zu schnell?
Ja. Es ist verrückt, es ist lächerlich. Mode spricht nicht mehr zu den Leuten. Bei dieser Präsentation hier zeige ich warme Kleider, weil es draussen kalt ist. Das macht 2015Sinn. Aber meist hängen in den Läden schon Wochen vor Saisonbeginn Kleider, die man noch gar nicht braucht. Die Kundin erfährt aus den Medien und in Blogs schon im Frühling, was sie im Herbst tragen soll. Es geht nur noch um neu, neu, neu. Das verwirrt, die Konsumentin sagt irgendwann: Wisst ihr was? Ich bin nicht mehr interessiert.

Sie sagen, es kommt nicht darauf an, ob Mode von einem Mann oder von einer Frau entworfen wird.
Genau. Ein guter Designer ist ein guter Designer, und ein guter Schauspieler ist ein guter Schauspieler. Das Geschlecht spielt keine Rolle. Den einzigen Vorteil, den wir Frauen beim Kreieren von Mode haben: Wir können die Kleider selbst anprobieren. Ein Mann muss sich auf das Urteil anderer verlassen. Er hat nur den Blick von aussen, nicht das Gefühl von innen.

Glauben Sie immer noch, dass Mode Ihr Schicksal ist – wie Sie in Ihrem Buch schreiben?
Ja, ich wurde in die Mode hineingeboren. Meine Eltern waren beide in der Textilbranche tätig. Mein Vater war Massschneider, meine Mutter arbeitete in einem Showroom. Ich studierte Fashion an der Parsons School of Design, bekam einen Sommerjob bei der bekannten New Yorker Designerin Anne Klein, die mich später zur Co-Designerin machte. Ich wollte eigentlich nicht Modedesignerin werden, sondern Mutter und Hausfrau. Weil meine Mutter immer gearbeitet hatte.

Trotzdem kehrten Sie, damals 25-jährig, wenige Tage nach der Geburt Ihrer Tochter Gabby ins Modeatelier zurück. Warum?
Anne Klein war kurz vor der Show an Krebs gestorben. Das Team rief mich an und fragte, wann kommst du zur Arbeit zurück? Ich sagte: Ich habe übrigens gerade ein Mädchen bekommen. Sie antworteten: Ja, aber wir brauchen eine Kollektion.

Bereuen Sie den Entscheid?
Ich habe nicht aufgehört, daran zu denken, dass ich mehr Zeit mit meiner Tochter hätte verbringen sollen. Ich bin eine Guilty Mom. Meine Tochter sieht das allerdings anders. Aber ich weiss nie, ob sie das nur für die Presse sagt oder es wirklich so meint (sie kichert). Wir sind Freundinnen, meine Tochter und ich – zumindest auch. An Shows war sie immer an meiner Seite. Der Wunsch nach den richtigen Jeans und den passenden Kleidern für meine damalige Teenagertochter führte übrigens zur Gründung meiner Zweitlinie DKNY.

Sie haben in den Achtzigerjahren die Mode mit den berühmten 7 Easy Pieces revolutioniert: sieben schlichte Basisteile, mit denen Frauen durch den Arbeitstag, den Abend und verschiedene Saisons kommen sollen, ohne dass sie vorher zwingend wissen müssen, wohin die Reise führt. An wen denken Sie, wenn Sie kreieren?
An mich selbst. Ich frage mich, was ich brauche. Ich gehe davon aus, dass ich damit auch das Bedürfnis anderer treffe.

Urban Zen
Donna Karans Urban-Zen-Kollektion gibt es in der Schweiz exklusiv bei Trois Pommes zu kaufen.
Infos: troispommes.ch, urbanzen.com, urbanzen.org Autobiografie: Donna Karan: My Journey. Ballantine Books, New York 2015Sinn

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