Die Zukunft ist real
- Text: Silvia Binggeli; Foto: Flavio Leone
annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli über die Bedeutung eines offeneren Umgangs mit der Realität einer globalisierten Gesellschaft.
Sie wolle den jungen Leuten daheim etwas zurückgeben, sagt Drenusha Shala, 27 Jahre alt, in Kosovo geboren, später vor dem Krieg in die Schweiz geflüchtet, eine KV-Lehre absolviert. Und dann ihr geregeltes Leben hier aufgegeben, um in ihrer ersten Heimat ein Callcenter aufzubauen.
270 Angestellte führt sie nun in Kosovos Hauptstadt Pristina. Meine Kollegin Barbara Achermann hat Drenusha Shala besucht, um mehr über die engen Beziehungen zwischen der Schweiz und Kosovo zu erfahren: Arbeitskräfte reisten von dort schon in den Sechzigerjahren in die Schweiz, ihre Söhne beflügeln längst den hiesigen Fussball; 2008 hat die Schweiz als eines der ersten Länder Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt.
Von den geschätzten 180 000 Kosovo-Schweizern wollen nicht alle zurück wie Drenusha Shala. Sie bauen das kriegsversehrte Land aus der Ferne mit auf: mit geschätzten 200 Millionen Euro, die sie jährlich heimschicken – für die Diaspora wurde in Kosovo sogar ein Ministerium geschaffen.
Die Jugendarbeitslosigkeit im Land beträgt trotzdem noch 50 Prozent, jeder Vierte lebt von weniger als 1.20 Euro pro Tag. Und die Vorurteile gegenüber den Immigranten verschwinden bei uns in der Schweiz ebenso wenig. Soziale und kulturelle Unterschiede prallen überall je heftiger aufeinander, je mehr die Welt zusammenrückt.
Auch hier in New York, von wo aus ich Ihnen diese Zeilen schreibe, weil ich das Jahr gern in dieser bunten Stadt beginne, erlebe ich eine komplett gespaltene Nation. Nach der Wahl eines höchst umstrittenen Präsidenten gibt die Linke der Rechten die Schuld für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Rednecks machen die Einwanderer für die Kriminalität verantwortlich. Ausgerechnet im Einwanderungsland USA. Alle haben Angst vor Machtverlust. Und vor Terrorismus. «Aber am Ende», sagt mir ein Taxifahrer, Dominikaner, aber seit zwanzig Jahren auch New Yorker, «am Ende sind wir alle Amerikaner. Wir müssen uns irgendwie einigen.»
Alte Weltordnungen heraufbeschwören hilft dabei herzlich wenig. Ein offenerer Umgang mit der Realität einer globalisierten Gesellschaft schon viel mehr – so wie ihn Drenusha Shala lebt: mutig und zukunftsorientiert, aber durchaus auch pragmatisch und fordernd. «Ich bin nicht Mutter Teresa», sagt die junge Frau. «Ich denke gewinnorientiert.»