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Leandra Medine Cohen meldet sich mit offenem Brief zurück

Leandra Medine Cohen meldet sich mit offenem Brief zurück

Mangelnde Diversität, latenter Rassismus, unfaire Behandlung: Nach harscher Kritik an ihrem Führungsstil und an ihrer Firmenkultur schwieg Leandra Medine Cohen im Netz. Jetzt meldete sich die Gründerin von Man Repeller zurück. Unsere Autorin Kerstin Hasse fragt sich: Wie glaubwürdig kann so ein Comeback sein?

Seit über sechs Wochen herrschte Funkstille. Leandra Medine Cohen, die Gründerin der populären Fashionplattform Man Repeller, schwieg. Dabei ist sie eigentlich keine Frau der wenigen Worte. Auf Man Repeller lässt sie die User seit Jahren an ihrem Stil-Bewusstsein und ihren Shopping-Extravaganzas teilhaben, sie schreibt über ihre (instagrammable) Zwillinge, ihren (kreativen) Job, ihren (aufregenden) Alltag in New York City. Tag für Tag lädt sie Posts und Stories hoch, die sie mit ihren über 980’000 Followern teilt. Vor allem ihre «Week in Review» ist für treue Follower – dazu zähle ich auch mich – ein Highlight. Mit Witz und Charme fasst sie darin zusammen, was ihr Leben die letzten sieben Tage beschäftigte: vom Blick hinter die MR-Kulissen, über fabulöse Fashion-Parties auf New Yorker Dachterrassen bis hin zu den Schaukeleinheiten mit ihren Kindern in Soho oder halb verbrannten Toast-Scheiben.

Das Gefühl von: I can relate

Cohen perfektionierte das, was Social Media im Kern ausmacht: Sie schafft eine Nähe zu ihren Followern – und das aus einem ziemlich gut situierten Manhattan-Haushalt heraus. Das Kind, das im Supermarkt schreit, der Bohneneintopf, der vor sich hinblubbert, die 7-Dollar-Vase mit frischen Tulpen drin, dazwischen dann noch der eine oder andere gekonnte Look und ein One-Legged-Selfie (noch so ein Cohen-Mythos). Bis auf den luxuriösen Lebensstil – also die Chanel-Tasche hier und der Cartier-Schmuck da, die Luxus-Ferien auf einer Yacht oder das grosszügige Appartement – gibt einem das alles das Gefühl von: Hey, I can relate!

Und selbst die Luxus-Güter rücken bei so viel gekonnter Bodenständigkeit irgendwie in den Hintergrund. Dass Cohen aus einer sehr guten Familie stammt und in eine ebenso gute Familie hineingeheiratet hat, ist halt so. Die Privilegien waren einem irgendwie immer bewusst, aber sie waren nie ein Problem. Bis zum Tod von George Floyd.
Mangelnde Diversität

Die Black Lives Matter Bewegung hat in den USA in den letzten Monaten einen Diskurs ausgelöst, der so manche öffentliche Person in Erklärungsnot brachte. Plötzlich ging es nicht mehr um Inspiration und haben wollen, sondern um Privilegien. Um Reichtum und Armut, um soziale Ungerechtigkeit, um Rassismus – und Blind Spots im Umgang mit diesem. Ignoranz wurde auch Cohen vorgeworfen. Nachdem sie via Man Repeller eine Botschaft zu den Anti-Rassismus-Protesten ins Internet hinausschickte, erntete sie harsche Kritik.

Ehemalige Mitarbeiter meldeten sich zu Wort und warfen ihr mangelnde Diversität in ihrer Firmenkultur vor. Von unfairer Behandlung war die Rede, von latentem Rassismus und mangelnder Sensibilität in ihrem Führungsstil. Vor allem die Entlassung einer Schwarzen Mitarbeiterin am Anfang der Corona-Krise sorgte für Unmut. Userinnen warfen Cohen ausserdem vor, eben diese von ihr so gepflegte und genährte Nähe zu ihren Followern verloren zu haben. Die glitzernde Welt, die eben noch inspirierte, schien plötzlich schal, oberflächlich und vor allem in weite Ferne gerückt.

Cohen zog sich zurück. «Es ist meine Ignoranz. Ignoranz ist Teil des Problems. Getrennt werden ‹Man Repeller› und ich Teil der Lösung sein», schrieb sie auf Instagram. Das ist knapp zwei Monate her. Seither: Stille.

«Es tut mir leid, aber MR kann niemals inklusiv sein»

Man Repeller hat den Fokus in dieser Zwischenzeit verschoben: Diversität wird gross geschrieben, so gross, dass es manchmal fast aufgesetzt wirkt. Etwa dann, wenn für eine Story, in der nur weisse Pärchen abgebildet sind, als Aufmacher ein Schwarzes Pärchen gewählt wird. Diversität funktioniert aber bekanntlich nicht, wenn sie als Aushängeschild benutzt wird. Andererseits kann so ein Wandel auch nicht von heute auf morgen geschehen. Wir alle mussten in diesem Diskurs dazu lernen – davon schliesse ich mich nicht aus – und dieses Dazulernen braucht Zeit.

Natürlich fehlt Cohen bei Man Repeller. Sie war und ist das Aushängeschild dieser Marke. Einer Marke, die durchaus auf enormen Privilegien und Luxus basiert. Die Frage ist also vielleicht nicht, ob diese Plattform ohne Cohen funktioniert – sondern, ob sie überhaupt noch funktioniert. Wie lässt sich luxuriöser Lifestyle-Content mit nationalen Protesten und einer internationalen Pandemie vereinbaren? In dieser Zwickmühle steckt bei Weitem nicht nur Leandra Medine Cohen. Jede Lifestyle-Publikation – darunter auch annabelle – muss sich damit auseinandersetzen. Und auch zahlreiche Prominente und Influencer mussten im Lockdown erkennen, dass ihre #stayathome-Aufrufe aus dem hauseigenen Jacuzzi oder begehbaren Kleiderschrank nicht ganz so gut ankamen.

Tatsache ist: Instagram-User wollen von dem Content in ihrem Feed unterhalten werden – Wiedererkennung ist dabei eigentlich zweitrangig. Doch gerade in Krisenzeiten entscheidet eine gewisse Sensibilität zwischen Inspiration und Ignoranz. «Es tut mir leid, aber MR kann niemals inklusiv sein. Ihr müsstet dafür eure gesamte kapitalistisch getriebene Exklusivität, die euer Kern und eure Basis ist, ändern», schrieb eine Userin damals im Juni unter Cohens Bild.

Zurück zu Foulards und Frühstücksbagel?

Wie meldet man sich aus so einem Social Media Exil zurück? Wie wagt man den Schritt zurück auf dieses glatte Parkett der politischen Korrektheit, auf dem man vor wenigen Wochen noch so arg ins Straucheln geriet? Wie verhindert man, dass dieses Comeback als nonchalanter Themenwechsel interpretiert wird? Als Zeichen dafür, dass das Problem nun passé ist und man sich wieder den Foulards und Frühstücksbagels zuwenden kann?

Cohen kam auf Instagram zurück. Wie hätte es auch anders sein können. Via Link in der Bio verwies sie auf einen Newsletter. Der Post hat über 25 tausend Likes und tausende Kommentare, die mit Herzchen versehen sind. Welcome back, lautet der herzliche Tenor.

Cohens Brief liest sich weder wie eine Rechtfertigung noch wie eine (komplette) Entschuldigung. Die 32-Jährige räumt Fehler in ihrem Führungsstil ein, sie berichtet von vielen Gesprächen, die ihren Horizont erweitert hätten. So habe ihr Gespräch mit Crystal Anderson, ebendieser Mitarbeiterin, die sie entlassen hatte, gezeigt, dass sie die «Verantwortung, die mit einer Führung einhergeht, nicht wirklich verstand.»

Sie habe sich in den letzten acht Wochen aus dem operativen Geschäft von Man Repeller zurückgezogen. Was ihr Team in der Zwischenzeit publizierte, sei «entzückend und aufbauend, aber dennoch erleuchtend, klug und so real – eine schöne Darstellung eines weniger auf mich zentrierten Man Repeller».

Sie reflektiert auch ihre Rolle auf Social Media und den Austausch mit ihren Usern: «Ich wusste, dass eine Plattform mit einer unglaublichen Verantwortung verbunden ist. Aber vielleicht habe ich nicht verstanden, was diese Verantwortung war, bis ich aufhörte zu posten und merkte, wie viele Leute es bemerkten. Wenn Sie es bemerkt haben, als ich aufgehört habe, heisst das, dass Sie es bemerkt haben, als ich dort war? Wenn Sie bemerkt haben, dass ich da war, haben Sie darauf geachtet? Und wenn ich Ihre Aufmerksamkeit hatte, habe ich sie gut genutzt?», fragt sie im Text. Sie habe sich durch ihre Follower weniger alleine gefühlt, doch die Frage bleibe offen, ob sie das gleiche Gefühl auch zurückgeben konnte.

Es ging nicht um sie

Die Tatsache, dass Cohen so lange schwieg, nahmen ihr viele User – darunter auch ich – übel. Sich mitten im Sturm zurückzuziehen, um «sich weiterzubilden und zu lesen», ist schwach. Wer so viel aus seinem Leben teilt, wer so viel Kapital aus der Aufmerksamkeit anderer schlägt, darf nicht den Kopf in den Sand stecken, wenn es schwierig wird. Cohen hat fast eine Million Follower. Sie hat Einfluss. Dann zu schweigen, wenn die Öffentlichkeit so dringend auf die Stimme angewiesen wäre – selbst wenn es nur darum geht, Fehler einzugestehen und so auf Probleme aufmerksam zu machen – ist nichts anderes als der Beweis für eben diese «white fragility», die ihr vorgeworfen wurde. Natürlich war es nicht einfach, diese Kritik einzustecken und sich diesen enormen Vorwürfen zu stellen. Aber für ein Mal ging es eben nicht um sie.

Doch auch diesen Vorwurf reflektiert Cohen. «Ich bin wirklich froh, dass ich eine Plattform habe. Es wäre dumm gewesen, für immer wegzugehen, diese Gelegenheit (dieses Privileg, eigentlich) nicht zu nutzen, um kritisch zu untersuchen, was ich in die Welt setze und wie es sich auf diejenigen auswirkt, die sich damit beschäftigen.»

Wie es weitergeht mit ihr und Man Repeller, lässt Cohen jedoch offen. Zum Zeitpunkt des Schreibens kehre sie «langsam zur Marke in einer aktualisierten, weniger operativen Rolle zurück» hält sie kryptisch fest. Wer in der Zwischenzeit mehr erfahren will, kann sich für den Newsletter anmelden. Das steht zwar nirgends so ausformuliert, nur ein kleines Anmeldefenster am Schluss des Textes animiert einem dazu, «mehr zu erfahren».

Was jetzt?

Diese dezente Einladung in diese neue eigene, kleine – privilegierte – Welt ist es, die mich stutzig zurückliess. Ein solch reuiges Comeback mit einem Cliffhanger für ein neues Projekt zu verbinden, ist ein wirklich äusserst ausgebuffter Karrieremove. Eine andere Erklärung fällt mir dazu beim besten Willen nicht ein. Und das hinterliess beim Lesen einen faden Beigeschmack. Angst habe sie in ihrem Handeln einfrieren lassen, schrieb Cohen. «Ich weiss, dass ich mich weiterhin verdammt anstrengen werde, um in meiner gewünschten Integrität zu handeln, und dass ich nicht zulassen werde, dass mir meine Angst im Weg steht.»

Ob sie es schafft, den Fokus von sich selbst und ihrer gekonnten, witzigen Selbstdarstellung – welche im Grunde der Inhalt ihrer gesamten Karriere ist – auf andere, wichtige Themen zu lenken, bleibt allerdings offen.