Werbung
Longevity? Warum wir eine ganz andere Bewegung brauchen

Longevity? Warum wir eine ganz andere Bewegung brauchen

Die Longevity-Bewegung gilt als die nächste Billionen-Dollar-Branche. Warum der Hype um Langlebigkeit unserer Autorin Marie Hettich sauer aufstösst, erklärt sie in ihrem Kommentar.

Kennt ihr Nina Ruge? Die deutsche Fernsehmoderatorin und Biologin – knapp siebzig Jahre alt, optisch Mitte fünfzig – gilt seit ihrem Bestseller «Altern wird heilbar» als Longevity-Adresse Nummer eins im deutschsprachigen Raum. Dementsprechend streng gehts auf ihrem Instagram-Account zu. Die Posts tragen Titel wie «Das ist der grösste Gesundheitskiller!!», «Achtzig Prozent nur Gemüse essen», «Verabschiede dich von kross Gebratenem!!»

Auch schlechte Laune jetzt? Mir stösst die Longevity-Bewegung schon länger sauer auf. Leider ist sie mittlerweile überall: Gefühlt jede Woche erscheint ein Gesundheitsratgeber, der «Aktiv verjüngen», «Projekt Lebensverlängerung» oder «How Not to Age» heisst. Allein im Kanton Zürich haben sich 2024 16 neue Firmen mit Fokus auf Longevity eintragen lassen.

Geld aus der Tasche ziehen

Verständlicherweise, könnte man aus Businessperspektive sagen: Mit der Verlockung, den Alterungsprozess zu verlangsamen oder gar aufhalten zu können, lässt sich den Leuten wunderbar das Geld aus der Tasche ziehen. Schon die ersten Check-ups – beispielsweise in Form eines präventiven MRI-Scans plus Blutanalyse – kosten hierzulande an die 2500 Franken; gefolgt von etlichen weiteren Rechnungen für Behandlungen wie Sauerstoff und Rotlichttherapien oder diverse Infusionen.

Ob all diese Behandlungsmethoden einen Verjüngungseffekt haben, ist wissenschaftlich nicht belegt – ganz zu schweigen von unbekannten Langzeitwirkungen. Doch das scheint niemanden zu stören: Der Markt wächst rasant. Gemäss eines Artikels im US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» gilt Longevity als «die nächste Billionen-Dollar-Branche».

Werbung

"Die Longevity-Bewegung zeichne ein sehr düsteres Bild vom Älterwerden, weil der Fokus rein auf dem gesundheitlichen Verfall liege"

Natürlich ist es einleuchtend, mithilfe von Sport, genügend Schlaf und einer vernünftigen Ernährung (übrigens alles wissenschaftlich erwiesen!) so lange wie möglich gesund bleiben zu wollen. Aber jeden Bissen genauestens überdenken? Tausende Franken in teils zweifelhafte Behandlungen investieren? Hunderte Lebensstunden in das panische Aufsaugen von Informationen, wie man noch ein paar Jährchen mehr rausholen könnte? Ironischerweise bleibt doch in dieser grossen Verkrampfung exakt das auf der Strecke, von dem wir ja angeblich gar nicht genug bekommen können: das Leben selbst.

Akzeptanz von Vergänglichkeit und Tod

Christina Röcke, die an der Universität Zürich zur emotionalen Gesundheit im Alter forscht, sagt im «Tages-Anzeiger»-Podcast «Apropos»: «Wenn wir Altern als Krankheit definieren, dann sind wir im Prinzip ab dem Tag unserer Geburt krank.» Die Longevity-Bewegung zeichne ein sehr düsteres Bild vom Älterwerden, weil der Fokus rein auf dem gesundheitlichen Verfall liege. Und – jetzt kommt der Witz: «Wir wissen, dass sich negative Bilder vom Älterwerden enorm schädlich auf alle möglichen Gesundheitsaspekte auswirken – auch auf die Langlebigkeit.»

In einer immer älter werdenden Gesellschaft braucht es eine ganz andere Bewegung: die einer radikal gelebten Akzeptanz von Vergänglichkeit und Tod. Eine, die Themen wie Krankheit, Sterben und Trauer in unsere Mitte holt – eine, die Verwundbarkeit nicht als individuelles Versagen wertet, sondern als etwas versteht, das uns Menschen zu Menschen macht.

Abonniere
Benachrichtigung über
guest
2 Comments
Älteste
Neuste Meistgewählt
Inline Feedbacks
View all comments
Sandra

Danke für die Zeitgeist Gedanken zum Thema Longevity Marie Hettich! Feiern wir doch genussvoll das Älterwerden 🥂🙂!!

Karin Dipl.Ing. Domig

.. vielen geht es mit, ‘Schönheit kennt kein Alter.´.. ? könnte klappen.. mE ist das Problem die Akzeptanz der Vielfalt, alles ist möglich und alles ist erlaubt, aber auch gleichzeitig akzeptiert.. Geht das? Oder geht nur Mainstream, wie immer schon..