Können wir bitte damit aufhören, Beziehungen über Sex zu definieren?
- Text: Kerstin Hasse
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Pärchen laden Pärchen ein, während Singles auf Hochzeiten solo tanzen müssen, weil sie keine Beziehung haben. Doch was wäre, wenn wir Beziehungen nicht mehr übers Sexleben definieren würden, sondern über das, was sie eigentlich ausmacht: Freundschaft, Loyalität und Zuneigung?
Ich bin seit vielen Jahren in einer Beziehung. Das heisst: Ich bin seit vielen Jahren ein «Wir». Ein «Uns». Ein «Euch». Wenn Freunde heiraten, werden «wir» eingeladen. «Uns» will man mal wieder zum Abendessen treffen. Für mich ist das okay. Ich definiere mich nicht über meine Beziehung, aber sie ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Und ich freue mich natürlich, wenn ich meinen Partner zu Feten mitnehmen darf – oder er wiederum mich mitbringen kann.
Ich habe einige gute Freundinnen, die single sind. Auch dieser Beziehungsstatus definiert sie nicht. Sie sind in erster Linie meine liebsten Menschen. Sie sind eigenständige Personen, sie sind kreativ, schlau, lustig und liebenswert. Manche von ihnen hätten ganz gern irgendwann eine Beziehung, andere wiederum sind bewusst alleine – und deswegen nicht weniger glücklich. Und doch spielt gerade bei Einladungen ihr Beziehungsstatus eine grosse Rolle. Meine Freundinnen berichten, dass sie eigentlich nie ein Plus eins angeboten bekommen. Denn sie sind ja in keiner Beziehung.
Singles sind durchaus in festen Beziehungen
Das Problem ist: Das stimmt nicht. Sie sind durchaus in festen Beziehungen. Zum Beispiel mit ihrer besten Freundin, mit der sie regelmässig in die Ferien fahren und die sie seit ihrer Kindheit kennen. Oder mit ihrem Mitbewohner, mit dem sie seit über sieben Jahren zusammenwohnen und eng befreundet sind.
Eine Freundin erzählte mir, dass sie einmal vorschlug, ihren besten Freund mit an eine Hochzeit zu nehmen – die Gastgeberin lehnte ab. Das sei doch komisch, wenn sie dann mit ihm tanze und den Abend mit verbringe, obwohl sie kein Paar sind. Als ich das hörte, verwarf ich die Hände und polterte empört über diesen Stumpfsinn. Sie zuckte nur mit den Schultern. Als Single ist sie sich das gewohnt. Im Zweifelsfall ist sie immer die Bridget Jones am Tischkopf, die eine Runde voller Pärchen unterhalten darf mit ihren «wilden» Single-Geschichten.
«Was definiert denn eine Beziehung?»
Lesen, Frühstücken, Filmschauen
Die grosse Frage ist: Was definiert denn eine Beziehung? Ich lebe mit meinem Freund seit ungefähr sechs Jahren zusammen. Am Sonntag lesen wir unsere abonnierte Zeitung und frühstücken gemeinsam. Manchmal schauen wir einen Film auf der Couch, manchmal lesen wir auf unserem Balkon und nippen an einem Glas Weisswein. Wir teilen uns die Haushaltsarbeit auf – genauso wie die Kosten, die für den gemeinsamen Haushalt anfallen.
Ich kenne seine Familie und weiss, was seine Lieblingspizza ist. Wenn ich krank bin, macht er mir Tee und jedes Jahr schmücken wir zusammen unseren Weihnachtsbaum. Wenn ich am Abend auf dem Heimweg bin, frage ich ihn per Whatsapp, was er am Abend vorhat und ob wir zusammen essen wollen. Wenn ich zu viel koche, stelle ich ihm eine Portion auf die Seite. All das trifft auch auf meine Freundin und ihren besten Freund zu.
Der einzige Unterschied: Sex
Der einzige Unterschied ist die körperliche Komponente, die über Umarmungen und kleine Zärtlichkeiten – die auch platonische Beziehungen beinhalten – hinausgeht. Der einzige Unterschied ist also der Sex.
Das ist insofern bizarr, als dass sich auch monogame Beziehungen nicht nur über Sex definieren. Klar, es ist ein wichtiger Bestandteil, aber Sex ist nicht das, was mich und meinen Freund zu einem «Pärchen» macht. Es sind eben all die anderen, kleinen Dinge, die für mich eine viel wichtigere Bedeutung haben.
«Wir reden eigentlich nie über Singles »
Ausserdem gibt es viele Pärchen, die keinen Sex haben – gewollt oder weniger gewollt. Und doch werden sie eingeladen, samt Plus eins. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch diskriminierend. Hochzeiten und Geburtstage werden immer epischer, nicht selten wird irgendwo im Ausland gefeiert mit grossem Pipapo. Singles können sich diese Kosten nicht teilen, sondern müssen alles allein stemmen.
Und sie müssen das Fest allein bestreiten. Das tönt vielleicht nicht schlimm, aber ich schätze es, am Abend nach all dem Trubel mit einem Lieblingsmenschen über den Tag reden zu können. Ich finde es schön, vor dem Feiern jemandem im Zimmer zu haben, der mein Kleid zuknöpft und mir hilft, etwas einigermassen Geistreiches auf die Glückwunsch-Karte zu kritzeln. Diese Person muss aber kein Liebespartner sein. Wenn Singles so einen Moment mit einer Freundin oder einem Freund verbringen möchten, ist daran doch nichts verwerflich. Nicht-Singles haben offensichtlich das gleiche Bedürfnis.
Ein Beziehungsstatus ist kein Garant
Wir reden heute so viel über fluide Geschlechterrollen, über Heteronormativität, über neue Beziehungskonzepte, über offene und über monogame Beziehungen – aber eigentlich nie über Singles. Und mir fällt auf, wie viele Leute genau in dieser Thematik ultrakonservativ reagieren. «Was ist, wenn ich ihre Begleitung nicht mag?», meinte eine Bekannte, nachdem ich sie fragte, ob für ihr bevorstehendes Fest ein Plus eins für Singles in Frage käme. Ein anderes Pärchen erklärte mir, dass das ja auch immer eine Frage der Kosten sei.
Ganz ehrlich: Ist die Tatsache, dass eine gute Freundin für diesen Menschen bürgt und ihn mitnehmen möchte, nicht Bestätigung genug? Auch bei Freunden, die in festen Beziehungen sind, ist deren Beziehungsstatus für mich ja kein Garant, dass ich ihren Partner oder ihre Partnerin mag. Und was das Geld angeht: Ich verstehe, dass man irgendwo eine Grenze ziehen muss. Dann aber doch lieber weniger Leute einladen und dafür allen die gleiche Option geben, um einen Gast mitzubringen, oder?
Wir Millennials prahlen gern damit, dass wir uns von gesellschaftlichen Labels verabschieden wollen. Warum tun wir das also nicht einfach? Eine «Liebesbeziehung» an Sex zu binden und darüber zu werten, ob diese Verbindung mehr wert ist als eine tiefe, lange Freundschaft, ist überholt. Und ausserdem verdammt spiessig.