Ab heute liegt die neue annabelle am Kiosk. Lest hier das Editorial von Chefredaktorin Barbara Loop.
Während ich diese Zeilen schreibe, geht auf dem Bürgenstock die Ukraine-Friedenskonferenz zu Ende, schiesst der niederländische Stürmer Wout Weghorst an der Fussball-EM gegen Polen das matchentscheidende Goal, laufen die Social-Media-Kanäle heiss mit geteilten Momenten des Feministischen Streiks und des Pride-Festivals. Und die Tochter möchte Schoggipudding kochen.
All diese Ereignisse feiern, was selten geworden ist: das Gefühl, dass alle zur gleichen Zeit dasselbe tun. «Die Welt blickt auf den Bürgenstock», titelte die Presse. Der Zauber des Fussballs liegt darin, dass alle zeitgleich dasselbe Tor sehen. Beim Streik und der Pride schöpfen die Teilnehmer:innen Kraft aus dem grossen Miteinander. Und nichts verbindet so sehr wie Schoggipudding.
Ausser Taylor Swift vielleicht. Wenn die Pop-Ikone am 9. und 10. Juli im Zürcher Letzigrundstadion auf der Bühne steht, dann wird diese Nacht für die Tausenden, die wie aus einer Kehle mitsingen, die Welt bedeuten. Für alle anderen ist ihre Euphorie ein Rätsel, das Taffy Brodesser-Akner in dieser Ausgabe zu entschlüsseln sucht.
Was die US-Autorin zu Tage befördert, sagt einiges über Taylor Swift aus, aber noch viel mehr darüber, was es heisst, als Mädchen in dieser Welt erwachsen zu werden. Und über die Sehnsucht nach Momenten, in denen alle dasselbe sehen, fühlen, singen.
«Liebeslieder und Völkermord: annabelle scheut sich nicht, Welten aufeinanderprallen zu lassen und setzt auf Hintergründe und Einordnungen»
Natürlich ist dieses Gefühl der Einheit trügerisch, natürlich meint «alle» immer nur die Bewohner:innen des eigenen kleinen Universums. Immer gibt es andere Realitäten, die jenseits des Scheinwerferlichts im Dunkeln liegen. Jan Banning nimmt mit einer eindrücklichen Fotoreportage die Schicksale der Überlebenden des Völkermordes in Ruanda vor dreissig Jahren in den Fokus. Viel wurde berichtet über die Bemühungen, den Opfern Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Bannings Bilder aber fragen grundsätzlicher: Wie konnten Täter und Opfer, Hutu und Tutsi, weiter zusammenleben? Wie sich begegnen?
Liebeslieder und Völkermord: annabelle scheut sich nicht, Welten aufeinanderprallen zu lassen, wie sie es auch im richtigen Leben tun. Anders als in der digitalen Wirklichkeit, wo Bilder aus Gaza nur einen Klick entfernt von den neuesten Sommerschuhen warten, setzt annabelle auf Hintergründe und Einordnungen – und lädt euch ein, euch bei der Lektüre Zeit zu nehmen. Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in die Sommerpause.
Vielleicht könnt auch ihr mal abschalten, egal ob zuhause oder in der Ferne. Denn offline sehen wir denselben Himmel, hören dieselben Lieder, fühlen denselben Wind; wird die unmittelbare Gegenwart zu unserer ganzen Welt.
Herzlich,
Barbara Loop
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