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Amanda Knox spricht über erneute Verurteilung: «Ich war schockiert»

Zeitgeist

Amanda Knox spricht über erneute Verurteilung: «Ich war schockiert»

Im Juni stand Amanda Knox wieder in Italien vor Gericht – und wieder wurde sie verurteilt. Dieses Mal wegen Verleumdung. Mit annabelle spricht sie über die Gründe für dieses Urteil, die das Gericht im August veröffentlicht hat.

Anmerkung: Autorin Charlotte Theile traf Amanda Knox erstmals im Jahr 2021 und hat sie seither mehrfach gesprochen. Die ganze Geschichte des Falls ist in diesem Artikel ausführlich beschrieben.

 

Es ist fast 17 Jahre her, dass die britische Studentin Meredith Kercher im italienischen Perugia ermordet wurde. Ihre Mitbewohnerin Amanda Knox wurde 2009 zu 26 Jahren Haft verurteilt, zwei Jahre später wurde sie freigesprochen. 2015 bestätigte das Oberste Gericht Italiens den Freispruch. Seither gilt als erwiesen, dass die heute 37 Jahre alte Amerikanerin nichts mit dem gewaltsamen Tod ihrer Mitbewohnerin zu tun hat.

Und trotzdem stand Knox im Juni 2024 wieder vor Gericht, dieses Mal in Florenz. Es ging um die Frage, ob Knox den Barbesitzer Patrick Lumumba vorsätzlich falsch beschuldigt hatte, etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Das Urteil überraschte alle, am allermeisten aber Amanda Knox.

annabelle: Amanda Knox, Sie sind in diesem Jahr wieder nach Italien gereist, standen dort wieder vor Gericht. Und: Sie sind wieder schuldig gesprochen worden. Wie geht es Ihnen?
Amanda Knox: Ich habe das alles schon mal erlebt. Ich weiss also, wie schmerzhaft es sich anfühlt, wenn einem nicht geglaubt wird. In dem Moment war es aber trotzdem unglaublich hart. Ich bin mit meinem Mann und meinen Kindern nach Italien gereist, ich war aufgeregt – aber auf eine gute Art. Ich dachte, es sei ein klarer Fall und ich würde freigesprochen. Ich war sehr überrascht. Inzwischen bin ich etwas weiter.

Was heisst das?
Am 8. August diesen Jahres bin ich aufgewacht und hatte hunderte Nachrichten auf dem Handy. An diesem Tag hat das Gericht seine Beweggründe für das Urteil vom Juni veröffentlicht. Und seither frage ich mich nur: Wie kann das sein?

Was stand in der Begründung?
Ich bin davon ausgegangen, dass es unlogisch und irrational sein würde – trotzdem war ich schockiert. Das Gericht hat wieder die Behauptung aufgegriffen, dass ich in der Nacht des Mordes in meiner Wohnung war.

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«Es ist für mich einfach wahnsinnig frustrierend, dass immer und immer wieder diese alte, falsche Geschichte erzählt wird»

Sie wurden im Mordfall freigesprochen. Ging es in der aktuellen Verhandlung nicht um die Frage, ob Sie jemand falsch beschuldigt haben?
Es ist alles völlig verrückt. Die Art, wie sie es rechtfertigen, ist folgende: Ich habe in der Befragung, in der ich Patrick Lumumba mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht habe, auch gesagt, dass Meredith geschrien habe. Die Sache ist nur: Das beweist doch nicht, dass ich dort war. Dass eine Person, die mit einem Messer attackiert wird, schreit, ist kein spezifisches Täterwissen.

Vielleicht müssen wir nochmal einen Schritt zurückgehen. Wie ist diese Aussage entstanden?
Darum ging es auch in dem Prozess im Juni. Die Aussage, die ich im November 2007 getroffen habe, ist unter grossem Druck entstanden. Die Ermittler haben mir in diesen stundenlangen Verhören immer wieder gesagt, ich müsse mich erinnern – und das habe ich versucht. Ich habe versucht, mir etwas vorzustellen. Ich war 20 Jahre alt, ich war in einem fremden Land, ich sprach kaum Italienisch. Meine Mitbewohnerin war gerade ermordet worden. Ich war sehr verwirrt und verängstigt. Die Aussage ist sehr, sehr vage gehalten, mehr wie ein Traum als wie eine Beschreibung der Wirklichkeit. Und ich habe wenige Stunden später versucht, sie zurückzunehmen.

Hat das Gericht das nicht berücksichtigt?
Doch, es wurde erwähnt, dass die Aussage sehr vage ist. Trotzdem wurde ich schuldig gesprochen, Patrick Lumumba verleumdet zu haben. Wer Italienisch kann, kann sich die Beweggründe des Gerichts gerne selber durchlesen, ich habe sie auf meiner Homepage veröffentlicht.

Im deutschsprachigen Raum ist Anfang Juli ein Podcast vom «Spiegel» und der Produktionsfirma Undone veröffentlicht worden, er heisst «Judging Amanda Knox». Sie kommen darin auch ausführlich zu Wort. In diesem Podcast sagt selbst der damalige Staatsanwalt Giuliano Mignini – er ist inzwischen pensioniert – dass er sie als Privatperson nicht unbedingt für schuldig hält. Trotzdem sagt er auch, er habe sich nichts vorzuwerfen.
Ich habe diesen Podcast noch nicht gehört – mein Deutsch ist vermutlich nicht gut genug, um alles zu verstehen. Aber vielleicht sollte ich es versuchen. Mit Mignini habe ich mich vor einigen Jahren  getroffen – er ist eine interessante Person… auch wenn ich mich immer wieder über seine Neigung zu Verschwörungstheorien wundere.

Was meinen Sie genau? Verschwörungstheorien – ähnlich wie in den USA?
In Amerika gibt es natürlich auch viele seltsame Theorien, aber in Italien ist es nochmal anders. Ich glaube, das liegt auch an der Mafia. Ich meine: Als Staatsanwalt in Italien wird man zum Teil mit dem Tod bedroht, wenn man einfach seine Arbeit macht. Und daraus entsteht dann vielleicht auch ein generelles Misstrauen oder eine Bereitschaft, an dunkle Mächte und Verschwörungen zu glauben. Nun ja. Aber dass Mignini sagt, er habe sich nichts vorzuwerfen, das fällt mir schwer zu verstehen.

Vielleicht geht es darum auch in dem neuen Urteil. Im Sinne von: Es kann nicht sein, dass die italienische Justiz alles falsch gemacht hat, was Sie angeht.
Das Gericht in Florenz ist ja auch wieder nahe an Perugia und sehr eng mit den dortigen Behörden verbunden. Ich glaube, dort gibt es noch immer die Haltung, dass ich doch irgendetwas gemacht haben muss, irgendwas mit dem Mord zu tun haben muss. Oder zumindest: mich so falsch verhalten habe, dass ich die vier Jahre, die ich im Gefängnis verbracht habe, auch verdient habe.

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Was denken Sie: Wie kann man Sie einerseits freisprechen und andererseits davon ausgehen, dass Sie in der Mordnacht am Tatort waren?
Sehen Sie, das ist genau das, was mich an dem Freispruch von 2015 durch das Oberste Gericht in Italien so gestört hat. Mein Anwaltsteam und meine Berater:innen sagten mir damals, ich solle mich einfach freuen und die Unstimmigkeiten im Urteil auf sich beruhen lassen. Aber in diesem Urteil hiess es, es sei möglich, dass ich mich während des Mordes in der Wohnung aufgehalten habe. Genau diese Logik wurde jetzt wieder aufgegriffen, um zu argumentieren, dass ich hätte wissen müsste, dass nicht Patrick Lumumba für den Tod von Meredith verantwortlich ist, sondern Rudy Guede, der Mann, dessen DNA am Tatort gefunden wurde. Damit hätte ich in den Polizei-Verhören vorsätzlich den falschen Mann beschuldigt.

Warum sollten Sie in Ihrem Zimmer sitzen, wenn nebenan Ihre Mitbewohnerin ermordet wird? Hätten Sie dann nicht etwas tun müssen? Die Polizei anrufen?
Also, ich glaube, sie erklären es sich folgendermassen: Ich habe mich versteckt und die Tat beobachtet. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Es ist für mich einfach wahnsinnig frustrierend, dass immer und immer wieder diese alte, falsche Geschichte erzählt wird. Ich war in dieser Nacht nicht in meiner Wohnung. Ich war bei meinem Freund Raffaele.

Ihnen wurde vorgeworfen, Meredith Kercher gemeinsam mit Raffaele Sollecito ermordet zu haben; auch er wurde 2009 zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. 
Raffaele und ich kannten uns damals genau sieben Tage lang. Wir waren sehr verliebt und haben jede freie Minute miteinander verbracht. Die Vorstellung, dass wir in dieser Situation einen Plan geschmiedet hätten, jemand zu ermorden, ist für mich immer noch unglaublich. Es hiess ja auch, Rudy Guede hätte Meredith niemals alleine mit einem Messer umbringen können.

Als ob es noch nie vorgekommen wäre, dass ein Mann mit einem Messer eine Frau tötet.
Ja. Die Geschichte dieser Tat ist eigentlich sehr klar: Meredith war allein zu Hause.

Was mir an dem Podcast «Judging Amanda Knox» gut gefallen hat: Es kommen sehr viele Beteiligte zu Wort. Auch Raffaele Sollecito – und Ihre Tante aus Deutschland, bei der Sie damals Ihren Koffer untergestellt haben.
Ich glaube, ich muss mir den Podcast wirklich anhören. Meine Verwandten aus Deutschland sind gerade in den USA; ich werde sie mal fragen, ob sie ihn schon gehört haben. Und ja, dieser Koffer… Den habe ich 2021, als ich nach Deutschland gereist bin, wiedergesehen – das war so verrückt. Vierzehn Jahre später wieder meine grünen Glücks-Sneakers aus College-Zeiten in den Händen zu halten. So wild!

«Mein Fall ist ein Beispiel für ungefilterte, unverfälschte Frauenfeindlichkeit»

Inzwischen ist der Fall siebzehn Jahre her – und Sie sprechen immer noch darüber. Mit mir, mit den Podcast-Hosts von «Judging Amanda Knox», mit den Produzent:innen von Hulu, die ihre Geschichte verfilmen. Wie fühlt sich das an? 
Sehr ambivalent. Einerseits ist es total bitter. Hier sitze ich, fast zwanzig Jahre später, und spreche immer noch über das Schlimmste, was mir je passiert ist. Mein Leben ist immer noch so stark davon geprägt. Andererseits fühlt es sich auch gut an. Denn in den letzten Jahren ist so viel passiert. Die Perspektive auf diesen Fall hat sich ganz langsam verändert – wie bei einem grossen schweren Schiff, das Zeit braucht, um eine andere Richtung einzuschlagen. Ich dachte früher, dass alles, was ich zu erzählen habe, eine Geschichte von Trauer, Verletzung, Skandal und sinnlosem Leid ist. Das hat sich verändert. Heute sehen die Menschen, welche Mechanismen damals gewirkt haben.

Sie meinen das Slut-Shaming, die Sensationslust, die Frauenfeindlichkeit? 
Ja, aber auch den Blick auf all das, was in der Nullerjahren kulturell, sprachlich und technologisch passierte. Vieles davon zeigt sich in diesem Fall – und in diesen Debatten, die Sie angesprochen haben. Mein Fall ist ein Beispiel für ungefilterte, unverfälschte Frauenfeindlichkeit.

Ich erinnere mich noch an einen Journalisten-Kollegen, der mir einmal gesagt hat: «Du wünschst dir einfach, dass sie es getan hat.»
Das ist so bizarr. Gut, wenn ich nur als Storyteller auf den Fall schaue: Natürlich würde es die Sache interessanter machen, wenn ich etwas damit zu tun hätte. Aber es ging hier nicht um eine Fernseh-Show.

Es ist auch eine gute Story: Zwei privilegierte, weisse Kids, die in einem Rausch aus Sex und Drogen ein unschuldiges Mädchen ermorden.
Das kann gut sein. Ich erinnere mich, dass nachdem 2016 die Netflix-Dokumentation veröffentlicht worden war, viele Menschen mir schrieben: Es tut mir leid, dass ich deine Geschichte so behandelt habe, als wäre sie Entertainment. Ich verstehe jetzt, dass du ein echter Mensch bist.

«Irgendwann lege ich mein Handy wieder weg und gehe mit meinen Kindern Brombeeren suchen»

Sie sind inzwischen verheiratet und Mutter von zwei Kindern.
Ja, ich habe wirklich grosses Glück – und kann deshalb auch mit solchen Tiefschlägen wie diesem Urteil gut umgehen. Irgendwann lege ich mein Handy wieder weg und gehe mit meinen Kindern Brombeeren suchen. Hier auf der Insel, auf der wir leben, sind gerade viele Musik-Events. Es gibt kaum etwas Besseres, um all diese Dinge auszublenden und sich auf das echte Leben zu konzentrieren.

Bekommen Sie noch immer Hassnachrichten?
Ja. Ich und alle, die mit mir assoziiert werden. Besonders, wenn es wieder so ein Urteil gibt und alle Medien darüber berichten. Eine der wichtigsten Lehren, die ich daraus gezogen habe: Du kannst nicht kontrollieren, was dir passiert. Du kannst nur kontrollieren, wie du darauf reagierst. Ich versuche immer, mit Empathie zu reagieren. Aber natürlich gibt es Menschen, die einfach nur schreckliche Dinge schreiben wollen.

Nächstes Jahr wird sich das Kassationsgericht Italiens erneut mit der Frage beschäftigen, ob Sie weiterhin wegen Verleumdung verurteilt bleiben. Planen Sie, dann nochmals nach Italien zu reisen?
Es ist eigentlich nicht üblich. Aber ich habe es noch nicht entschieden.

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