Xherdan Shaqiri: eine Begegnung mit dem besten Fussballspieler der Schweiz
- Text: Yvonne Eisenring; Fotos: Ornella Caccace, Making-of-Bilder: Dominik Fricker
Ein Nacken wie ein Kranzschwinger, Beine wie ein Sprinter. Xherdan Shaqiri, der beste Fussballer des Landes, ist ein kompaktes Paket – und das gibts nur im Familienverbund. Begegnung mit einem Charmebolzen, neu in Diensten des FC Bayern München.
Es gibt nicht den Shaqiri. Nur die Shaqiris. Mehrzahl. Kommen die drei Brüder nebeneinander daher und würde die Zeit dann Slow Motion laufen, sie wären das Heldentrio, das die Welt erobert. Oder schon erobert hat. Im Grunde hat ja nur einer das Zeug zum Superhero, Xherdan (20). Kraftwürfel nennt man ihn oder Zauberzwerg. Auch mal Shaq Attack in Anlehnung an den Basketballstar Shaquille O’Neal. Doch das ist irrelevant. Denn: Ohne Brüder kein Shaqiri. Kein Fussball. Kein Erfolg. Xherdans rechter Fuss ist Erdin, sein linker Arianit.
Angefangen hat es bei allen drei gleich. Als Vierjährige standen sie auf dem Rasen. Schossen ihre Tore beim FC Augst. Arianit kam in die U18 beim FC Pratteln. Erdin und Xherdan in die U18 beim FC Basel. Dann, beim einen wars das Kreuzband, beim anderen die fehlende Disziplin, endete die Karriere der älteren beiden. Arianit wurde Automechaniker. Erdin machte eine Lehre im Detailhandel bei Coop. Heute ist er Xherdans Manager. Wird ein Vertrag ausgehandelt, geht Erdin. Will ein Journalist ein Treffen, muss er zu Erdin. «Er ist ein guter Geschäftsmann», sagt Xherdan. Und ein ebenso guter Beschützer. Oft sagt Erdin Interviewanfragen ab. Findet zu viele Pressetermine unnötig. Sein kleiner Bruder müsse sich schliesslich auf den Fussball konzentrieren. Jetzt sowieso: Ende Monat startet die neue Bundesligasaison mit Xherdan im Trikot des grossen FC Bayern München. Den FC Hollywood nennen sie ihn in Deutschland. Aber Homestorys werde es bei den Shaqiris nie geben. Sagt Erdin.
Dass sie nun zusammen für annabelle posieren, ist eine Ausnahme. Ihre Bedingung: Wenn, dann nur zu viert. Die kleine Schwester muss mit aufs Bild. Sie sind schliesslich eine Familie. Medina geht neben den drei Männern ein wenig unter. So zierlich und schüchtern steht sie zwischen den Muskelpaketen. Sie ist zwölf, geht in die Sek und würde eigentlich sehr, sehr gern Fussball spielen. Ihre Brüder winken aber ab. Sie soll lieber Tennis spielen, findet Xherdan. Erdin und Arianit schütteln den Kopf. Sie müsse sich auf die Schule konzentrieren. Sport sei zweitrangig. Dafür hilft ihr Erdin manchmal bei den Hausaufgaben. Dass sie so offen bevormundet wird, scheint Medina nicht zu stören: Sie sitzt ganz nahe bei ihrem Bruder Arianit, hält ihre Ärmchen um seine Schultern und hört lächelnd zu, wie die drei Brüder an ihrer Zukunft schmieden – als ginge sie das gar nichts an.
Alles andere, was die drei Jungs besprechen, lässt Medina hingegen verständlicherweise kalt; Geplauder, das für Männer in diesem Alter typischer nicht sein könnte. Entweder besprechen Xherdan, Erdin und Arianit die Figur von Heidi Klum. «Die sieht schon gut aus, so für ihr Alter.» – «Ich meine, die hat ja zwei Kinder.» – «Nein, mehr. Vier oder fünf.» – «Egal, sie hat sich jedenfalls gut gehalten.» Oder Xherdan prahlt mit seinen Kochkünsten. Er hat nämlich den «Tiptopf» zuhause. Sagt er. «Alter», meint dazu Arianit, «alles, was du kochen kannst, kommt aus der Mikrowelle.» Arianit ist mit 23 Jahren der Älteste und Ruhigste der drei. Er war fast das ganze letzte Jahr im Militär. Als Füsilier. Kanonenfutter, wie man auch sagt. «So die langen Märsche, die Wanderungen waren schon huere streng.» Sie diskutieren, wie oft Xherdans Traumgoal – ein herrlicher Seitfallzieher gegen Luzern – auf Youtube angeschaut wurde. (Drei Millionen Mal, zweimal von Xherdan Shaqiri selbst.) Und dass Xherdan mit den neuen Mannschaftskollegen vom FC Bayern München ans Oktoberfest muss. «Ob die wohl eine Lederhose in XS haben?»
Xherdan Shaqiri kann es sich leisten, gelassen zu sein – die Brüder regen sich für ihn auf
Fussball selbst bleibt ein Nebenschauplatz. Ob aus Rücksicht auf die Reporterin, man weiss es nicht. Gleich zu Beginn habe ich gestanden, von Fussball eigentlich keine Ahnung zu haben. Erst schaute Xherdan leicht irritiert. Dann lehnte er sich lächelnd zurück. Sei ja auch mal toll. Und als Frau müsse ich eh keine Ahnung von Fussball haben. Dafür enttäuschte ihn was anderes; dass bei unserem Treffen kein Fotograf dabei ist. Er hat sich extra in Schale geworfen. Einen hellrosa Pullover angezogen. Die Frisur gemacht. Xherdan ist, wie alle Shaqiri-Brüder, eitel. Beim Fotoshooting einige Tage später kontrolliert er fast im Minutentakt sein Spiegelbild. Vor dem ersten Foto lässt er sich von Erdin noch schnell einen Ohrstecker geben. Erdin hat in beiden Ohren einen, genug also, um einen abzugeben.
Doch nicht alle Stylingfragen sind familienintern zu lösen. Damit die Shaqiri-Frisur – auf der Seite raspelkurz, oben aufgestellt – beim Shooting sitzt, nehmen die Brüder ihren Coiffeur und Freund der Familie, Fitni Abdulovski, gleich mit. Schliesslich müsse die kleine Schwester für die Fotos frisiert sein, lautet die Erklärung. Eine billige Ausrede: Medina schaut kein einziges Mal in den Spiegel, ihre Haare werden nicht angefasst. Erdin, Xherdan und Arianit aber lassen sich immer wieder mit Haarglanzspray besprühen. Alle drei bis vier Tage muss Fitni antraben, die Haare nachschneiden. Vor dem annabelle-Shooting wurde er um zwei Uhr morgens zu den Shaqiris beordert. Fitni Abdulovski ist sich Extrawünsche gewohnt. Fussballerfrisuren sind sein Spezialgebiet. Er war Hauscoiffeur bei Schalke, verpasst seit Jahren auch Ex-FCB-Star Ivan Rakitic den richtigen Look. Auch die Ex-Bundesligagrösse Kevin Kuranyi (aktuell bei Dynamo Moskau) zählt zu seinen Kunden. Und in München, was passiert dort mit seiner Frisur? Nun, dann müsse er Fitni halt wöchentlich einfliegen lassen, meint Xherdan.
München. Damit will er sich noch nicht richtig befassen. Es ist noch Juni, Trainingsstart beim FC Bayern ist erst in ein paar Wochen. Mit der deutschen Presse hat er bislang noch wenig Erfahrungen gemacht. Einzig bei der Vertragsunterzeichnung haben ihm die Paparazzi aufgelauert, ihn abgepasst mit Dutzenden Kameras im Anschlag. Ja, er wisse schon, dass da ein anderer Wind wehe. Dass man nicht mehr einfach mal etwas so dahinsagen kann. Alles habe Konsequenzen. Aber er habe sich ja vorbereiten können bei seiner Zeit beim FC Basel. Nein, Angst vor der Presse hat er nicht. Und sein Bruder Arianit würde ja die erste Zeit mitkommen. Bei ihm wohnen. Darum hat er sich auch gleich ein ganzes Haus gemietet. Für die Familie. An den Wochenenden werden ihn seine Eltern besuchen. Oder er fahre nachhause nach Kaiseraugst. In seine Wohnung, die er sich mit Erdin teilt und die auf der gleichen Etage liegt wie die Wohnung seiner Eltern. Er sei eben ein Familienmensch. Müsse die Nähe der Eltern spüren.
Dank ihrem Sohn müssen Xherdans Eltern nicht mehr arbeiten
Dass er für ihren Lebensunterhalt aufkommt, ist für alle selbstverständlich. Als der Vater einmal seinen Job verlor, finanzierten die Brüder mit ihren Lehrlingslöhnen den Familienalltag. Der Vater kam vor dreissig Jahren aus Kosovo in die Schweiz. Zehn Jahre später zogen Frau und Söhne nach. Der Vater war Hilfsarbeiter, die Mutter Putzfrau. In der Baselbieter Gemeinde Augst, wo die Familie in einem alten Bauernhaus – einer «Bruchbude», wie ein Anwohner sagt – lebte, werden sie in den höchsten Tönen gelobt. So anständig, so freundlich, so integriert seien die Shaqiris immer gewesen. Negativ aufgefallen sind sie nie. Dass nicht alle seine Landsleute so beliebt sind, manche «Seich machen», stört Xherdan. Er müsse dies ja quasi ausbaden. «Ich musste mich oft doppelt beweisen, weil ich Kosovo-Albaner bin.» Die Schweizer Mentalität habe er aber «voll intus». Er sei auch der einzige Ausländer in seiner Klasse gewesen, er habe gar nicht anders gekonnt, als sich anzupassen. Nach der Schule hat Xherdan eine Lehre bei Herren Globus angefangen. Als Modeverkäufer. Den Job würde er heute noch machen, wäre er nicht Fussballer geworden. Er gebe gern Geld aus für ein neues Paar Jeans, einen schönen Pullover. Aber er sei nicht verschwenderisch. Beim FC Bayern München verdient er zwei Millionen Euro pro Jahr. Heisst es. Xherdan will – ganz schweizerisch – nicht darüber reden. Der Lohn interessiere ihn nicht, sagt er. Alles, was mit Geld zu tun hat, regle Erdin für ihn. Und in Deutschland würden die Steuern – rund die Hälfte des Gehalts – sowieso direkt abgezogen. Das sei gut. Dann müsse man sich nicht darum kümmern.
Richtig verlegen wird Xherdan hingegen beim Thema Frauen. Nein, eine Freundin habe er nicht. Schnell schiebt er nach: Das sei schon gut so. An Angeboten mangelt es jedenfalls nicht. Täglich bekommt er Fanpost. Liebesbriefe, mit Herzchen verziert. Einige schreiben «Ich liebe dich». Andere ihre Handynummer. Oder sie zeichnen Xherdans Gesicht. Das sei schon herzig, sagt Xherdan. Mehr als eine Autogrammkarte gibts trotzdem nicht.
Xherdan kann es sich leisten, gelassen zu sein – die Brüder regen sich für ihn auf. «Wenn wir in einen Club gehen, dann verlange ich, dass alles abgesperrt ist. Xherdan stört es nicht, wenn ständig irgendwelche Frauen um uns herumschwirren, aber mich nervt das», sagt Erdin. Dass Erdin den Ton angibt, wenn die drei unterwegs sind, stört die anderen beiden nicht. Oder nicht mehr. Die Rollen sind längst verteilt. «Wir streiten selten und wenn, dann nur ganz kurz», sagt Xherdan. Laut werde es nur beim Playstation-Spielen, aber das sei ja nicht richtig streiten. Und nein, Neid sei kein Thema. Natürlich hätten auch Arianit und Erdin mal Fussballprofi werden wollen. «Aber wir waren durchschnittlich, austauschbar. Nur Xherdan ist aussergewöhnlich», sagt Erdin. Und: «Wir spielen nicht mehr, damit wir all unsere Energie in Xherdan stecken können.» Er lacht, als hätte er einen Witz gemacht. Doch alle wissen, dass es kein Witz war.
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