Nachhaltigkeit: Diese Zürcher Start-up-Gründerinnen setzen auf kultiviertes Fleisch
- Text: Lena Madonna
- Bild: Sallea AG
Das Zürcher Start-up Sallea möchte kultiviertes Fleisch marktfähig machen und so Umweltschäden und Ressourcenverbrauch reduzieren. Wir haben mit den drei Gründerinnen über ihre Vision, Herausforderungen und die Dringlichkeit ihrer Innovation gesprochen.
annabelle: Sie wollen die Foodtech-Branche mit kultiviertem Fleisch revolutionieren. Warum?
Anna Bünter: Für die Fleischproduktion werden bereits 77 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen benötigt und trotzdem werden damit nur 20 Prozent der Kalorien zur Ernährung der Weltbevölkerung bereitgestellt. Aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung rechnet man damit, dass die jährliche Nachfrage nach Fleisch bis 2050 nochmals um 30 Prozent steigt – das ist, als ob wir 200 Mal die Schweiz oder 2.5 Mal die USA mehr mit Fleisch versorgen müssten. Das sind Dimensionen an benötigtem Land, Ressourcen und ausgestossenen Emissionen, die schwer vorstellbar sind und die unser Planet schlicht nicht tragen kann. Deshalb ist klar: Wir müssen eine Alternative zur traditionellen Agrikultur finden, um dieses Wachstum abzufangen. Kultiviertes Fleisch hat grosses Potenzial, eine effizientere und somit nachhaltigere Lösung zu bieten.
Wieso ist es so schwierig, in der Landwirtschaft Emissionen für die Fleischherstellung zu reduzieren?
Simona Fehlmann: Tiere brauchen selbst Nahrung. Um diese Nahrung produzieren zu können, werden viele Ressourcen benötigt. Ein konkretes Beispiel: um von einer Kuh vier Gramm Proteine in Form von Fleisch zu erhalten, muss man ihr zuerst hundert Gramm Proteine verfüttern. Dazu kommen die ausgestossenen Emissionen eines Tieres, an denen man kaum etwas ändern kann und die zu den stärksten Treibhausgasen gehören. Da hilft einzig: Ein Produkt, das die Nachfrage nach tierischem Protein sättigt und das mit Fleisch im Sinne des Geschmacks und der Textur kompetitiv ist.
Was sind die Vorteile von kultiviertem Fleisch?
Anna Bünter: Mit kultiviertem Fleisch können Treibhausgasemissionen stark reduziert werden. Was aber nicht vergessen werden darf: Wenn man kultiviertes Fleisch nachhaltig herstellen will, muss die Energie, die man dafür verwendet, ebenfalls nachhaltig produziert werden.
Anna Bünter«Ich fände es schön, wenn wir im Sommer grillieren könnten, ohne dass ein Tier dafür hat sterben müssen»
Wenn reguläres Fleisch so schlecht für die Umwelt ist – sollte es nicht verboten werden?
Nicole Kleger: Wir glauben nicht, dass es zielführend ist, Fleisch zu verbieten. Sondern wir wollen eine gute Alternative bieten, mit der die Menschen nicht auf Fleisch verzichten müssen. Das grosse Plus, das kultiviertes Fleisch bieten kann, ist, dass es im Gegensatz zu anderen Alternativen näher am konventionellen Fleisch ist.
Was ist Ihre Vision?
Anna Bünter: Unser Ziel ist es, die kultivierte Industrie entscheidend voranzubringen und mitzugestalten. Je mehr Leute kultiviertes Fleisch essen, desto weniger Tiere braucht es und desto weniger Emissionen werden ausgestossen. Ich fände es schön, wenn wir im Sommer grillieren könnten, ohne dass ein Tier dafür hat sterben müssen.
Nicole Kleger: Viele sind sich der ethischen und ökologischen Problematik des Fleischkonsums bewusst. Aber Essgewohnheiten zu ändern, ist sehr schwierig, denn sie sind Teil unserer Kultur und unserer Traditionen.
Wie würden Sie Ihr Projekt einfach erklären?
Nicole Kleger: Meine zwei Buben sagen immer: «Gäll Mami, eigentlich müssen Tiere sterben, aber du machst Fleisch selbst!» (Alle lachen)
Simona Fehlmann: Kultiviertes Fleisch startet mit tierischen Zellen, welche mittels einer Biopsie einem lebendigen Tier entnommen werden. Sie sind der Grundbaustein für das, was später entsteht. Die Zellen werden nach der Entnahme in eine Nährlösung gelegt. Dies passiert in sogenannten Bioreaktoren. Stellen Sie sich grosse Stahltanks vor, wie in einer Bierbrauerei. In diesen Bioreaktoren teilen sich die Zellen und wachsen schlussendlich mit Hilfe unseres Produktes zu einem ganzen Stück Fleisch oder Fisch zusammen.
Anna Bünter: Das Geniale ist, dass man nur ein einziges Mal eine Zellbiopsie bei einem Tier, beispielsweise einer Kuh, durchführen muss. Denn Zellen sind dafür gemacht, sich immer wieder zu teilen. Damit kann man theoretisch unbegrenzte Mengen Fleisch produzieren.
Simona Fehlmann«Es ist nicht wie Fleisch, sondern es ist echtes Fleisch und es ist echter Fisch. Und es schmeckt auch so»
Damit ich es richtig verstehe – für alle Tanks braucht es nur eine einzige Biopsie?
Nicole Kleger: Es gibt eine gewisse Limite, aber man kann eine einzige Biopsie extrem lange brauchen. Dies kann je nach Zelltyp und Biopsie-Art variieren. Aleph Farms, ein Vorreiter in der Industrie, geht davon aus, dass sie mit einer einzigen Zellentnahme mehrere tausend Tonnen Steaks herstellen werden können.
Und wie schmeckt Fleisch, das in Tanks gewachsen ist?
Simona Fehlmann: Leider hatten wir selbst noch nie das Vergnügen, es zu probieren, da wir selbst das Fleisch nicht herstellen, sondern nur die Technologie dafür bereitstellen. Zudem ist der Verkauf von kultiviertem Fleisch in Europa zurzeit noch im Zulassungsverfahren und auch Tastings sind nur sehr eingeschränkt zugänglich. In Singapur, den USA und Israel kann man kultivierte Fleisch-Produkte heute in ausgewählten Restaurants konsumieren. Konsument:innen zufolge ist der Geschmack genau wie bei herkömmlichem Fleisch. Die Herausforderung liegt aktuell eher darin, die richtige Textur herstellen zu können. Was man nicht vergessen darf: Es ist nicht wie Fleisch, sondern es ist echtes Fleisch und es ist echter Fisch. Und es schmeckt auch so.
Anna Bünter: Das ist auch der grosse Unterschied zu pflanzenbasierten Produkten. Diese müssen noch gewürzt und speziell zubereitet werden. Kultiviertes Fleisch schmeckt und verhält sich eins zu eins wie Fleisch. Weil es eben keine Alternative ist, sondern echtes Fleisch.
Werden Sie das Fleisch je probieren?
Simona Fehlmann: Absolut! Sobald wir die Gelegenheit dazu kriegen, werden wir uns dies nicht entgehen lassen. Momentan werden viele Zulassungsgesuche eingereicht, sowohl für Verkostungen als auch für die Vermarktung von kultiviertem Fleisch. Sobald diese bestätigt werden, wird auch der Zugang zu kultiviertem Fleisch einfacher.
Nicole Kleger«Die grossen Schweizer Food-Player haben erkannt, dass es wichtig ist, ganz vorne mit dabei zu sein»
Welchen Herausforderungen begegnen Sie?
Anna Bünter: Wir schaffen etwas in einem sich entwickelnden Markt. Wir müssen deshalb extrem flexibel sein und zu jeder Zeit wissen, wie sich der Markt verändert. Das ist zwar nicht unbedingt einfach, aber sehr spannend und eine riesige Chance, da der kultivierte Fleischmarkt zu einem Multi-Milliarden-Markt heranwachsen wird. Der Fleischmarkt allein heute ist 1.3 Billionen US-Dollar gross. Der kultivierte Fleischmarkt wird in diesen Markt reinwachsen. Es ist schwierig zu sagen, was als Nächstes kommt. Aber es macht Spass und ist interessant, weil wir Standards setzen und den Markt beeinflussen können.
Sie möchten unter anderem in den USA auf den Markt gehen. Wann wird kultiviertes Fleisch mit der Technologie von Sallea dort in den Supermärkten im Regal liegen?
Simona Fehlmann: Die USA sind ein sehr wichtiger Markt für uns. Die ersten Firmen haben dort letzten Sommer für ein Hähnchen-Produkt Zulassungen bekommen. Es geht jedoch mehrere Jahre vom Start der Entwicklungsphase, bis das Endprodukt im Supermarktregal liegt. Wenn wir realistisch sind, können unsere Produkte dort in drei bis vier Jahren in die Supermärkte kommen.
Anna Bünter: Wir sind heute bereits in engem Austausch mit mehreren Kultivierer:innen. Das sind einerseits Firmen in Singapur, die unsere Technologie für die Kultivierung von Fleisch nutzen können. Wir stehen ebenfalls im Austausch mit Unternehmen in Israel, Forschungsinstitutionen in den USA und in Holland. Uns ist es wichtig, als globaler Player aufgestellt zu sein. Da wir nicht direkt an Konsument:innen verkaufen, sind wir von der Entwicklung unserer Partner:innen abhängig, weshalb eine enge Zusammenarbeit sehr wichtig ist.
Wann kommt das kultivierte Fleisch in die Schweiz? Es gibt bis jetzt hierzulande noch keine Zulassungen.
Nicole Kleger: Die Zulassungsverfahren in der Schweiz laufen zurzeit. Die grossen Schweizer Food-Player wie Migros, Coop und Nestlé investieren alle in kultivierte Fleisch-Firmen und Start-ups. Sie haben erkannt, dass es wichtig ist, ganz vorne mit dabei zu sein.
Wieso braucht es Ihr Start-up dringend gerade jetzt?
Simona Fehlmann: In den vergangenen Jahren haben viele Firmen versucht, in diesem Bereich alles allein zu machen und die ganze Wertschöpfungskette von Forschung bis zum Endprodukt abzudecken. In den letzten Monaten zeigte sich, dass dies so komplex ist, dass es Expert:innen für die einzelnen Schritte in der Wertschöpfungskette braucht. Unser Produkt wurde beispielsweise in der Vergangenheit in seiner Komplexität unterschätzt. Es braucht sehr viel Wissen und Kompetenz – nur schon für diese eine Komponente.
Was motiviert Sie?
Nicole Kleger: Das Gefühl, etwas von null auf aufzubauen und damit einen positiven Einfluss auf den Markt und die Umwelt zu haben.
Simona Fehlmann: Zu sehen, wie sich unser Produkt entwickelt und auf dem Markt etabliert, zum Alltagsprodukt wird. Dieses Potenzial motiviert mich.
Anna Bünter«Es ist leider eine Tatsache, dass es wenige All-female Founder Teams gibt. Es braucht mehr Vorbilder»
Wie ist es, als junge Unternehmerinnen in einer Welt voller Unternehmer zu sein, welche Erfahrung haben Sie bisher gemacht?
Nicole Kleger: Es braucht ein gewisses innerliches Selbstvertrauen und ein Durchsetzungsvermögen, aber grundsätzlich ist es nichts, was uns abschreckt. Wir sind es uns aus dem Studium gewohnt, unter Männern zu sein – Anna Bünter studierte Finance, Simona Fehlmann und ich an der ETH Zürich Materialwissenschaften.
Anna Bünter: Es ist leider eine Tatsache, dass es wenige All-female Founder Teams gibt. Es braucht mehr Vorbilder; Frauen, die es vorleben. Wir möchten als positives und ermutigendes Beispiel, dass es funktionieren kann, vorangehen.
Welchen Vorurteilen begegnen Sie?
Nicole Kleger: Wir erleben Vorurteile vor allem gegen das, was wir machen. Vor kurzem hielt ich einige Vorträge, in denen es allgemein um kultiviertes Fleisch ging. Die Leute waren zuvor teilweise sehr skeptisch. Nach den Vorträgen sah es jedoch anders aus – die meisten wollten das Fleisch sogar gerne probieren.
Was würden Sie anderen jungen Gründer:innen raten?
Nicole Kleger: Es unbedingt zu wagen. Man kann viel dabei lernen und etwas in der Welt verändern.
Anna Bünter: Glaubt an euere Ideen und euer Potenzial! Es ist so wichtig, dass junge Menschen ihre Ideen äussern und vorantreiben.
Die Entwicklung des kultivierten Fleisches
Das ganze Ökosystem rund um kultiviertes Fleisch ist vor zehn Jahren entstanden. Die ersten Firmen wurden vor acht Jahren gegründet. Dafür, dass es ein so junges Gebiet ist, ist schon enorm viel geschehen: Das erste kultivierte Burger-Patty etwa wurde 2013 produziert und konsumiert. Bisher sind die ersten Zulassungen in den USA, Israel und Singapur gesprochen. Auch in der Schweiz läuft der Prozess. Die zugrunde liegenden Technologien, die man für die Herstellung des kultivierten Fleischs braucht, haben ihren Ursprung oftmals im Pharma- und Medtechbereich.