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Gleichstellungsexpertin Zita Küng: «Frauen wird ‹Loud Quitting› weniger verziehen als Männern»

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Gleichstellungsexpertin Zita Küng: «Frauen wird ‹Loud Quitting› weniger verziehen als Männern»

Viele Frauen scheuen sich vor «Loud Quitting», also für eine Lohnerhöhung mit Kündigung zu drohen. Warum eigentlich? Führungskräftecoach Zita Küng ordnet das Arbeitsphänomen für uns ein.

«Loud Quitting» wird die Taktik genannt, sich laut für mehr Lohn einzusetzen. Das Phänomen kommt aus den USA, wird vor allem auf Social Media diskutiert und sorgt auch hierzulande gerade für Aufsehen. Wie verbreitet ist «Loud Quitting» Ihrer Meinung nach bei Frauen und weiblich gelesenen Personen?
Aus meiner Erfahrung ist das Phänomen bei Frauen sehr wenig verbreitet. Ich sehe «Loud Quitting» als Strategie eher bei Männern, vor allem in der Tech-Branche und im Finanzwesen – von Frauen höre ich persönlich kaum, dass sie auf diese Weise versuchen, mehr Lohn auszuhandeln.

Woran liegt das?
Mehr Geld zu verlangen – grundsätzlich Geld überhaupt zu thematisieren –, wird immer noch als ungeheuerlich angesehen, als eben nicht typisch weibliche Eigenschaft. Stehen Frauen für ihr Recht auf angemessene Bezahlung ein, stossen sie auf Widerstand. Die Geschlechterstereotype müssten sich öffnen.

Bewegen wir uns aktuell in diese Richtung?
Eher im Gegenteil. Ich empfinde, dass sich die Verhältnisse in der Schweiz wieder in Richtung Retraditionalisierung bewegen, zurück zu den eigentlich überkommenen gesellschaftlichen Denkmustern.

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«Wer «Loud Quitting» in Erwägung zieht, muss bereit sein, erhobenen Hauptes rauszulaufen»

Worin resultiert das in Bezug auf «Loud Quitting»?
Frauen wird «Loud Quitting» weniger verziehen als Männern, bei denen das eher als initiativ ausgelegt wird. Aus der Distanz begrüsse ich es, wenn Frauen offensiv sind und verhandeln. Das Risiko gehen sie aber allein ein. Dabei muss jede Frau ihr Gegenüber richtig einzuschätzen versuchen. Die einen goutieren toughes Verhandeln, andere empfinden es als geradezu monströs.

Worauf muss man gefasst sein?
Wer «Loud Quitting» als Taktik in Erwägung zieht, muss bereit sein, bei fehlendem Entgegenkommen der Arbeitgebenden erhobenen Hauptes rauszulaufen. Leer androhen sollte man eine Kündigung definitiv nicht. Anschliessend zu alten Konditionen weiterzuarbeiten, wird sehr schwierig.

Wer kann es sich überhaupt leisten, seine Kündigung anzudrohen? Das scheint eher ein Fall für privilegierte, hochbezahlte Arbeitnehmer:innen zu sein.
Auch in weniger hoch bezahlten Jobs sind Arbeitgebende zurzeit auf Arbeitnehmende angewiesen. Es gibt momentan ein begrenztes Zeitfenster, in dem in gewissen Branchen mehr Lohn, aber auch interessante Arbeitsmodelle gefordert werden können. Aber selbst wenn Fachkräftemangel herrscht, sind Geschlechterstereotype nicht automatisch vom Tisch.

Frauen sind also nicht per se selbst schuld, wenn sie nicht nach Lohnerhöhungen fragen?
Nein, denn es besteht ein grosses Missverständnis zwischen zwei ganz unterschiedlichen Ebenen: Auf der einen Seite steht die individuelle Ebene. Der Druck, täglich handeln und abwägen zu müssen, wie wir vorgehen wollen und wie sich das auswirkt auf unser eigenes Leben. Diesem Druck können wir nicht ausweichen. Und unsere Entscheidungen haben schlussendlich auch wieder auf die Gesellschaft Einfluss. Denn auf der anderen Seite steht die allgemeinere gesellschaftliche Ebene, in welchen Verhältnissen wir uns bewegen – gerade in Bezug auf Gleichstellung. Und diese Verhältnisse kann man sich nicht einfach herbeiwünschen. Da holt uns dann die Realität ein und zeigt auf, wie gross der aktuelle Spielraum tatsächlich ist.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Die aktuell diskutierte Studie über weibliche Studierende an der ETH und der Universität Zürich zeigt das auf. Eine Befragung ergab, dass viele Studentinnen kaum Karriereabsichten hätten, was auf den ersten Blick nicht auf eine gesellschaftliche Veränderung hindeutet. Die Studie sagt aber in Wirklichkeit nichts darüber aus, ob die Befragten individuell keine gesellschaftliche Veränderung wollen. Sie zeigt eher den Einfluss der aktuellen belastenden Verhältnisse auf. Den studierenden Frauen bleibt nichts anderes übrig, als zu entscheiden, wie sie individuell handeln. Was sie tun, wenn sie ein Kind kriegen. Wie sie mit dem aktuellen Steuersystem umgehen. Wie realistisch sie sich ihre Perspektiven in der Wissenschaft ausrechnen.

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«Gleichstellungsförderndes Verhalten müsste lohnrelevant werden»

Wie kann sich Gleichstellung in Unternehmen verbessern?
Gleichstellungsschulungen finden kaum statt für Führungskräfte, dabei müsste gleichstellungsförderndes Verhalten lohnrelevant werden. Wie Vorgesetzte im Alltag handeln, muss überprüft werden. Beispielsweise kann die Fluktuation bei weiblichen Angestellten untersucht oder die Zusammenarbeit mit Vorgesetzten aus Sicht von Frauen bewertet werden. Und abhängig davon würden dann Lohnmassnahmen getroffen: Wer gut mit Frauen kooperiert, sie im Unternehmen hält und ihnen eine Entwicklung ermöglicht, kann sich damit einen besseren Lohn verschaffen.

Wie erklären Sie sich, dass das noch nicht geschieht?
Es gab vor Jahren eine Studie über Männer als Akteure im Gleichstellungsprozess. Darin stellte sich heraus, dass die Befragten für Gleichstellung sind, gleichzeitig aber unisono die Meinung vertreten, als Männer nichts dazu beitragen zu können. Durch dieses Nichtstun entsteht eine männerbündische Unternehmenskultur, die notabene auch abweichende Männer ausschliesst – Männer in Teilzeitpensen oder in Elternzeit etwa. So geht es einfach weiter wie früher, denn die Patriarchen sterben nicht wie fälschlich angenommen aus, sie wachsen immer wieder nach.

«Es gibt objektiv keinen Grund mehr, dass nicht mehr Frauen in Führungspositionen sind, ausser dass Männer die Reihen schliessen»

Dabei müssten wir doch punkto Gleichstellung schon viel weiter sein.
Die Autorin Susan Faludi entwickelte diesbezüglich bereits in den Neunzigerjahren die These, dass sich die Gesellschaft nur so lange positiv in Richtung Gleichstellung entwickle, bis die Erfolge von Frauen sich konkret auch strukturell ankündigen. Damit fürchten mittelmässige Männer um ihre Privilegien.

Inwiefern?
Wenn Frauen – nicht nur einzelne, sondern viele – effektiv etwas erreichen, höhere Positionen und bessere Löhne bekommen, werden sie eine echte Konkurrenz und diese Männer beginnen sich zu wehren. Ich habe das Gefühl, an diesem Punkt sind wir jetzt. Sehr viele Frauen sind ausserordentlich gut ausgebildet und einsatzbereit. Es gibt objektiv keinen Grund mehr, dass nicht mehr Frauen in Führungspositionen sind, ausser dass Männer die Reihen schliessen und das Vorwärtskommen von Frauen verhindern.

Was können wir tun?
Es braucht alle Bestrebungen von Frauen. Und das Bewusstsein für deren Wichtigkeit. Dabei geht es nicht nur um die Anliegen, die gerade viel Aufmerksamkeit erhalten. Es braucht wirklich alle – die hippen Feminist:innen, die Gewerkschafterinnen, die Bäuerinnen, Frauen in politischen und religiösen Verbänden. Wir müssen mehr Verbindungen untereinander schaffen und unseren Blick weiten, die Gesellschaft als Ganzes anschauen. Wir müssen die Welt mitgestalten.

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Gabriele Kaspar

Zuerst Gratulation zu Ihrem Artikel!
Als Verhandlungsspezialistin, dazu gehören auch Lohnverhandlungen, möchte ich auf folgendes Aufmerksam machen.

  1. Um überhaupt das Selbst-Vertrauen zu haben, nach einer Lohnerhöhung zu fragen, hilft es Verhandlungskenntnisse zu haben. (Bücher, Workshops, etc.) Das kann gelernt werden und hilft auch in vielen anderen Bereichen.
  2. Zu drohen wirkt immer destruktiv. Viel hilfreicher wäre es, dem Vorgestzten die Konsequenzen einer Nicht-Lohnerhöhung aufzuzeigen. Das heisst, mindestens 3 Szenarien, mit den entsprechenden Konsequenzen aufzuzeigen. Das ist wesentlich eleganter und konstruktiver und nicht weniger stark.
  3. Es wird sehr schwierig werden, eine Lohnerhöhung zu fordern, wenn ich schlecht auf ein solches Gespräch vorbereit bin. Dazu gehört, dass ich meine geleisteten Erfolge der letzten 1-2 Jahre thematisieren muss.
  4. Kennen Sie die Löhne Ihrer Kollegen wirklich? Oder glauben Sie, dass diese mehr verdienen. Reality-Cheque.

Viel Erfolg!