Unser neuer Bundesrat heisst Ignazio Cassis. Damit bleibt es bei fünf Männern und zwei Frauen in der Regierung. annabelle-Autorin Kerstin Hasse erwartet, dass die Geschlechterbilanz im nächsten Jahr ausgeglichen wird. Ihre Forderung: Parteien müssen ihre Politikerinnen in Position bringen. Und zwar jetzt.
Die Schweiz hat einen neuen Bundesrat. Ignazio Cassis heisst er, 56 Jahre alt, Tessiner und FDP-Politiker. Bereits im zweiten Wahlgang erhielt er mit 125 von 244 gültigen Stimmen das absolute Mehr. Kurz und schmerzlos war die Wahl. Er setzte sich damit gegen den Genfer Ständerat Pierre Maudet durch (90 Stimmen) und gegen die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret (28 Stimmen).
Im August erklärte Cassis gegenüber der Sonntagszeitung «Le Matin Dimanche»: «Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich fast beleidigt, wenn man mich wählen würde, weil ich eine Frau bin.» Der Satz ging viral – nicht nur, weil die Aussage von Cassis eine sexistische Note hat, sondern weil es pikant ist, als Tessiner Politiker die Randgruppenkarte zu spielen. Der Kanton Tessin ist in Bundesbern unterrepräsentiert, Cassis wurde nicht zuletzt auch wegen seiner Herkunft als Bundesratskandidat von seiner Partei portiert. Wie hätte er wohl reagiert, wenn Moret verkündet hätte: «Mir wäre es peinlich, wenn ich nur gewählt werden würde, weil ich Tessinerin bin.»
Die Tatsache, dass im Vorfeld der Bundesratswahl überhaupt darüber diskutiert wurde, welche Randgruppen nun in die Kränze kommen sollen, empfand ich als irritierend. Ich bin eine Frau und eine Bündnerin. Das heisst: Mir ist es ebenso wichtig, dass Frauen im Bundesrat sitzen, wie dass Bergkantone in unserer Regierung vertreten sind.
Im Prinzip wäre die Lösung ganz einfach gewesen: Eine Tessinerin hätte es gebraucht. Laura Sadis, ehemalige FDP-Regierungsrätin des Kantons Tessin, wäre eine passende Option gewesen, doch die Partei nominierte die Politikerin nicht. Eine Entscheidung, die die SP auch gestern noch – wenige Stunden vor der Wahl – kritisierte.
Wenn wir etwas von dieser Bundesratswahl lernen können, dann das: Die Parteien müssen dafür sorgen, dass Frauen verstärkt eine politische Plattform erhalten. Bereits im nächsten Jahr werden Nachfolgerinnen und Nachfolger für Doris Leuthard und vermutlich auch für Johann Schneider-Ammann zu bestimmen sein. Es ist jetzt die Aufgabe der Parteien, ihre Politikerinnen in die richtige Position zu bringen und als Kandidatinnen aufzubauen.
Doch schon jetzt werden unter anderem Politiker wie Stefan Engler (CVP) oder Martin Schmid (FDP) als heisse Kandidaten für die freien Plätze gehandelt – beides Bündner und beides Männer. Natürlich würde ich mich freuen, wenn nach Eveline Widmer-Schlumpf wieder eine Vertreterin aus Graubünden im Bundesrat sitzt. Die Betonung liegt hier aber auf der Endung -in.
Ignazio Cassis ist gewählt. Wir haben nun weiterhin fünf Männer und zwei Frauen im Bundesrat. Eine ausgeglichene Geschlechterbilanz ist zurzeit nicht in unserer Exekutive gegeben, und diese darf sich nicht noch weiter verschärfen. Wir brauchen Frauen, die Politik machen und wir brauchen Bundesrätinnen!