«Ein Chinese, ein Inder und ein Schweizer sitzen im Zug …»: Ja, so harmlos hat der Witz, den ein Kollege von mir kürzlich erzählte, tatsächlich begonnen – aber so harmlos hat er nicht aufgehört. Er war nicht extrem vulgär, aber schon ganz schön schmutzig. Etwas gar derb vielleicht, moralisch durchaus fragwürdig – und politisch definitiv inkorrekt. Ein Witz von der Sorte, die nicht überall nur gut ankommt. An jenem Abend jedoch grölte das Publikum laut und hemmungslos. Nur wenige zierten sich und kicherten – eher gespielt als tatsächlich schockiert – hinter vorgehaltener Hand. «Der war gut!», befand ich anerkennend und nahm mir vor, diesen Witz in mein Repertoire aufzunehmen, um ihn bei günstiger Gelegenheit aus dem Hut zu zaubern.
Ein Witz von solchem Kaliber erfordert gewisse Rahmenbedingungen, um seine gewünschte Wirkung zu entfalten: lockere Gesellschaft, schummrige Tischbeleuchtung, leicht benebelte Sinne und gut angefeuchtete Gaumen, kurz: etwas «beizig» sollte es sein. Wie es der Zufall wollte, stolperte ich ein paar Tage später tatsächlich in ein solches Setting hinein und schöpfte aus dem Vollen. Während ich jedoch schon vor der eigentlichen Pointe vergnügt losgluckste, herrschte um mich herum nur betretenes Schweigen. Die Blicke senkten sich beschämt zur Tischkante. «Was denn?», fragte ich zunächst noch trotzig – und schämte mich dann auch.
«Wenn Frauen solche Witze erzählen, dann hat das einfach immer biz es Gschmäckli», klärte mich eine Freundin später auf. Aha. Ein «Gschmäckli». Soll das ein Witz sein? Wohl kaum. Ich befürchte nämlich, es ist tatsächlich ein ernstes Thema, das mit dem Humor und den Geschlechtern. Denn Humor bedeutet Macht. Wer zum Witz anhebt, trommelt sich symbolisch gesprochen auf die Brust. «Ey, kennt ihr den schon?» Ab dem Moment hat der Erzähler das Publikum in der Hand – und im besten Fall kitzelt er anschliessend etwas aus den Leuten heraus, das willentlich kaum zu steuern ist: das Lachen. Ein kurzer Kontrollverlust, der die Dynamik in Beziehungen verändert, ein soziales Schmiermittel. Und auch eine Macht, die einen attraktiv wirken lässt. Jedenfalls die Männer. Auf die Frauen trifft das nicht zu. Studien zufolge gibt es für sie in der Kategorie Attraktivität sogar Punkteabzug für Humor. Witze erzählen dürfen wir zwar, aber bitte die seichten. «Was sitzt auf dem Baum und ruft: ‹Aha!›? – Ein Uhu mit Sprachfehler.» Solche Wortwitze erzählt man sich in der Damenwelt besonders gern, wie Forscher der University of Hertfordshire in Grossbritannien herausgefunden haben.
Laut der Soziolinguistin Helga Kotthoff von der Universität Freiburg enthielten Etikette-Fibeln in den 1950er-Jahren noch die klare Ansage, sich als Frau in gemischter Gesellschaft ja nicht mit der Darbietung eigener Witze hervorzutun. Im Gegenzug solle man dafür ein helles Lachen erklingen lassen, wenn der Tischherr einen Scherz fallen lässt. Leute, das ist jetzt bald siebzig Jahre her! Also, Frauen: Hoch auf die Tische! Erzählt eure Witze, die groben, die schmutzigen, die derben. Von mir aus auch die feinen. Wär ja gelacht, wenn wir das Witze-Erzählen ausschliesslich den Männern überlassen würden.