Frauen sind auf Festivalbühnen untervertreten, auch in der Schweiz. Auf annabelle.ch geben wir Schweizer Musikerinnen eine Bühne und lassen sie über das schreiben, was sie gerade beschäftigt. Der zweite Beitrag stammt von der Singer-Songwriterin Anna Känzig.
Meine Mutter hat mal behauptet, dass ich, bevor ich überhaupt sprechen konnte, gesungen habe. Selber weiss ich dies natürlich nicht mehr, aber es ist auf alle Fälle ein schöner Auftakt für diesen Text.
Die Musik begleitet mich in all ihren vielfältigen Ausprägungen seit frühester Kindheit. Die erste Gitarre, der erste gelernte Song; «Jingle Bells», es war Hochsommer, doch das war mir egal. Lauthals schmetterte ich den Weihnachtsklassiker im Garten sitzend durch die Nachbarschaft, kauderwelschiger hätte das Englisch nicht sein können.
Mein musikalisches Idol damals war mein Pfadileiter. Mein Ziel war es, irgendwann so gut Gitarre spielen zu können, wir er es konnte. Als ich irgendwann später in der Plattensammlung meiner Eltern Eric Clapton entdeckt hatte, wurde mir mit Schrecken bewusst, dass die musikalischen Fähigkeiten meines Pfadileiters gar nicht so aussergewöhnlich waren und ich meine Ziele höher stecken musste.
Heute bin ich Musikerin. Amtlich. Anna Känzig. Nein, nein kein fancy Pseudonym. Känzig mit einem herrlich schweizerisch krachenden K. Traumberuf Musikerin? Ja, aber vielleicht nicht immer so glamourös, wie es manchmal scheint. Plötzlich sitzt du in einem ein bisschen zu kleinen Van auf dem Weg ans Züri Open Air, eingepfercht zwischen deinen schwitzenden Bandkumpanen, Gitarren, Keyboards, Drums und weiss der Teufel was es sonst noch braucht, um ein anständiges Konzert nur schon technisch über die Bühne zu bringen.
Mit im Gepäck die bange Frage: Wird das Publikum meine Musik umarmen oder wird es mich mit abweisender Kälte bestrafen? Bange Minuten auf der Bühne und dann die Erleichterung: Das Publikum geht mit, da und dort sieht man einen Fan, der den Text mit Inbrunst mitsingt. Es kann aber auch vorkommen, dass du vor einer Handvoll Nasen spielen musst – aber du gibst dein Bestes. Und glaub mir: Es gibt immer mindestens einen Fan im Publikum und für den – nur für den – singst du, als gäbe es kein Morgen.
Und da gibt’s noch die Schweizer Musikszene, die einen jeden deiner Schritte verfolgt. Manchmal mit Häme, überwiegend aber mit Wohlwollen und Respekt, schliesslich weiss jeder Schweizer Musiker, dass der Beruf nicht immer ein Honigschlecken ist. «Hartes Brot ist nicht hart – aber kein Brot, das ist hart» würde meine Grossmutter selig wohl dazu gesagt haben. Und da gibt’s noch die Highlights – wie kürzlich zusammen mit dem Übervater der Schweizer Musikszene Büne Huber und der grossartigen Erika Stucky zusammen auf der Bühne stehen zu dürfen. Ein bisschen eingeschüchtert war ich ja schon im Vorfeld – ich meine, das sind der Büne und die Erika, Ikonen der Schweizer Musikszene. Wir verstanden uns aber auf Anhieb, als hätten wir uns schon lange gekannt. Meine Ängste fielen in sich zusammen wie ein abverheites Käse-Soufflé, es war ein toller Konzertabend. Für mich ist das die Essenz der hiesigen Musikszene: Synergien zu nutzen und von Zeit zu Zeit sein eigenes Kämmerlein wieder einmal zu verlassen, um gemeinsam etwas zu kreieren.
Und wenn sich dann noch mein Pöstler als «Fänzig» (Fan von Känzig) outet, weil mein Name halt an der Türglocke steht, ist mein Glück vollkommen, und ich denke: Gut, habe ich damals die Idee mit dem Pseudonym schnell wieder verworfen.
Die Zürcher Sängerin und Songwriterin Anna Känzig (33) hat bereits drei Alben veröffentlicht. Ihr viertes Studioalbum wird voraussichtlich im Frühjahr 2019 erscheinen. 2017 war Anna Känzig als Best Female Solo Act bei den Swiss Music Awards nominiert. Die Zürcherin hat sich mit ihrer Musik ganz dem Pop veschrieben – den sie träumerisch und dennoch authentisch interpretiert.
Bühne frei für alle
Meist sind es noch immer Männer oder Männerbands, die an grossen Festivals auf den Hauptbühne stehen – obwohl es sowohl in der Schweiz als auch international viele interessante und talentierte Künstlerinnen gäbe. Wir bitten diesen Sommer fünf Schweizer Musikerinnen auf unsere Bühne und lassen sie mit einer Carte Blanche laut über das nachdenken, was sie gerade in ihrem Leben als Kreative in der Schweiz beschäftigt. Dies ist der zweite Beitrag der Reihe, alle weiteren finden Sie hier: