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«Wir sollten uns trauen zu sagen: Der Mensch ist gut»

Leben

«Wir sollten uns trauen zu sagen: Der Mensch ist gut»

  • Interview: Olivia Sasse; Foto: Marco Krueger

Im sommerlichen Roadmovie «303» überzeugt Mala Emde als schwangere Jule, die sich auf die Suche nach dem Vater ihres Babys macht. Wir haben mit der Schauspielerin über Freiheit, die Fragen ihrer Generation und toughe Rollen gesprochen.  

annabelle.ch: Mala Emde, der Roadtrip ist das grosse Thema dieses Films. Was bedeutet eine solche Reise für junge Menschen?
Mala Emde: Ich glaube, es ist die komprimierteste Form von Freiheit. Das Gefühl, dass ich mich in ein Auto setzen und jederzeit den Weg einschlagen kann, den ich möchte. So eine Reise bietet die Möglichkeit, den eigenen Rhythmus zu finden – gerade in unserer schnelllebigen Gesellschaft.

Während der Dreharbeiten ging es für Sie von Deutschland nach Portugal. Wie haben Sie die Reise empfunden? 
Sehr intensiv. Ich bin tatsächlich all diese Kilometer gefahren mit meinem Schauspielkollegen Anton Spieker. Da sind so viele Ebenen: spielen und seiner Rolle vertrauen, fahren und auf den Verkehr achten. Und dann übernimmt man auch mal ganz praktische Aufgaben, wie das Wischen der Scheiben. Geschlafen haben wir im Campingwagen oder in Zelten. Es wurde viel gedreht und oft hat unser Regisseur Hans Weingartner die Kamera einfach laufen lassen, denn wir sollten ein paar Stunden am Tag improvisieren. Am Ende gab es nach über 42 Drehtagen so viel Material, dass für uns nicht klar war, was er daraus machen möchte. Wenn ich jetzt den Film sehe, bin ich glücklich, weil ich das Gefühl von damals wieder spüre, als ich nachts in meinem Bett das Drehbuch zum ersten Mal las. 

Welches Gefühl ist das? 
Eine Mischung aus Klarheit, Liebe und Lebenshunger. 

Jule, die Frau, die Sie spielen, ist Mitte Zwanzig und hat eine starke Persönlichkeit. Sie ist auf der Suche nach Antworten auf grosse Lebensfragen. Sie auch?
Als ich das Drehbuch gelesen habe, hatte ich das Gefühl: da hat jemand einmal einen Querschnitt durch alle Themen gemacht, die meine Generation beschäftigen, und auf den Punkt gebracht, was in unseren Köpfen vorgeht, wie wir die Welt wahrnehmen. Wir sind alle Kinder der Leistungsgesellschaft und es macht uns heute wahnsinniger denn je, dass wir immer davon ausgehen, dass der Mensch grundsätzlich schlecht ist. Dass wir konkurrieren müssen und dadurch besser werden. Wir sollten uns trauen zu sagen: Der Mensch ist gut. Mit dieser Einstellung würden wir viel gewinnen.

Wie ist es als junge Schauspielerin in Ihrer Branche? Wachsen Sie durch Kooperation oder Konkurrenz? 
Kooperation. Aber ich muss wahnsinnig kritisch mit mir selber sein. Nicht im Vergleich zu anderen, das würde mich nicht weiterbringen, das würde mir nur Angst machen. Und Angst blockiert. 
Es ist wie in der Liebe: du bist da und ich bin da und das ist gut so. So funktioniert das auch in der Schauspielerei.

Ihre Karriere hat schon im Kindesalter begonnen. War die Schauspielerei immer Ihr berufliches Ziel? 
Ich hatte schon mit acht oder neun Jahren die Sehnsucht danach zu spielen. Wenn ich meinem Umfeld davon erzählt habe, hörte ich oft: «Ah, du willst Schauspielerin werden.» Dabei wollte ich in diesem Moment einfach spielen. Ich wollte nie etwas werden, sondern es geht mir bis heute darum, etwas im Jetzt zu tun.

Können Sie sich diesen bereits frühen Drang zum Spielen erklären? 
Ich habe eine wahnsinnige Angst vor Stumpfheit im Leben. Durch das Schauspiel kann ich in Tiefen und Höhen gehen und das löst in mir Lebendigkeit aus. Das finde ich sehr schön. Und ich hoffe, dadurch eine Sehnsucht in anderen Menschen auszulösen. Nur wenn ich mich selbst wirklich berühre, kann ich andere berühren. 

Sie haben auch sehr schwierige Rolle gespielt, wie beispielsweise Anne Frank. Auch «303» beschäftigt sich mit vielen schweren Themen wie Selbstmord, sexuelle Belästigung, Abtreibung. Weshalb suchen Sie sich solche Rollen aus? Ich bin keine Masochistin. Irgendwie passieren sie mir. Mir geht es darum, diese Figuren zu zeigen, wie sie die Sehnsucht und die Hoffnung nicht verlieren, wie sie gegen Schwierigkeiten ankämpfen. Ausserdem geht es in «303» um so viel Schönes: Liebe, Seelenverwandtschaft und Lebenslust.

Machen Sie sich im Vorfeld viele Gedanken darüber, welche Rollen Sie annehmen und was diese Rollen für Ihre künftige Karriere bedeuten?
Ja, ich wähle sehr präzise aus. Es ist mir wichtig, dass ich zu dem stehen kann, was ich tue. 

Gibt es etwas, das Sie nicht spielen würden?   
Ich würde nichts spielen, bei dem es den Macherinnen und Machern nur um ihr Ego geht. An einem Projekt, das nur der Masse dienen soll, habe ich kein Interesse. Ebenso an Produktionen, bei denen Leute mit Mittelmässigkeit zufrieden sind. Das bin ich nicht. Trotzdem sage ich aber auch nicht alles ab, nur weil ich nicht gerade sofort begeistert bin. Vielleicht tut mir eine Rolle auch gut, weil ich mit ihr gesehen werde, oder weil ich etwas zeigen kann, was ich bisher in meinem Leben noch nicht zeigen konnte. Deshalb wäge ich ab, was mir gut tut als Mensch und was mir gut tut als Schauspielerin. 

Haben Sie eine Traumrolle?
Eine genaue Rolle definieren, kann ich nicht. Aber ich hätte Lust, eine Figur zu spielen, die komplett anders denkt als ich. Die weit entfernt von mir ist, und für die ich mir viel Zeit nehmen müsste, um diesen Teil von mir zu begreifen. Ich bin der Überzeugung, dass alle Menschen eine Klaviatur haben – du spielst da und ich spiele dort, aber eigentlich haben wir alle Tasten zur Verfügung. Und ich würde gern alle meine Tasten einmal bespielen dürfen.

In der Rolle der Jule zeigen Sie ein emanzipiertes, unabhängiges Frauenbild. Wie wichtig ist Ihnen das?
Ich bin eine Frau, die einfach macht. Ich muss nicht viel darüber reden, wie ich als Frau auftreten will und was mir wichtig ist. Ich tue das, was ich sein will. 

Und das, was Sie machen, kommt gut an. Für Ihre Rolle in «303» haben Sie einen Nachwuchspreis bekommen. Was bedeutet dieser Preis für Sie? 
Ich finde es schön, dass ich den Preis zusammen mit Anton bekommen habe, weil es unsere gemeinsame Reise gewesen ist. Dass man gesehen wird, ist wichtig in unserem Beruf. Es gibt so viele, man ist ersetzbar – das wird uns zumindest immer wieder suggeriert. So ein Preis kann wieder Kraft geben, wenn es mal eine Phase gibt, in der man an sich zweifelt. Und man zweifelt häufig. 
 

Mala Emde (22) lebt in Berlin. Als die Dreharbeiten für den Film «303» starteten, war sie erst 19 Jahre alt. Ihr erster Film ist es aber keineswegs, denn die deutsche Schauspielerin stand bereits mit elf Jahren vor der Kamera und wirkte seither in verschiedenen Serien und Filmen mit. Ihre erste Hauptrolle hatte Sie in «Meine Tochter Anne Frank» – ein Dokudrama, das 2015 in die Kinos kam. Für diese Rolle erhielt sie den Nachwuchsförderpreis vom Bayerischen Fernsehpreis.

Roadmovie: «303»

Die schwangere Jule (Mala Emde) macht sich auf den Weg nach Portugal, um mit dem Vater ihres ungeborenen Kindes zu sprechen. An einer Tankstelle trifft sie auf Jan (Anton Spieker), dem sie eine Mitfahrgelegenheit anbietet. Jule ist davon überzeugt, dass es wichtig ist, mit anderen zu kooperieren. Ganz im Gegenteil zu Jan, der sich sicher ist, dass Menschen egoistisch sind und sich nur durch Konkurrenz weiterentwickeln. So beginnt für die beiden eine abenteuerliche Fahrt durch Europa und mit jedem Kilometer lassen sie sich mehr aufeinander ein. «303» ist der neuste Film des Regisseurs Hans Weingartner, benannt nach dem Camper-Modell, mit dem die beiden Hauptdarsteller ihren Roadtrip unternehmen.
Wir finden: Abschalten und sich nur unterhalten lassen – das geht bei diesem Film nicht. Die Dialoge regen an, erfordern manchmal aber auch Durchhaltevermögen. Eine vorhersehbare und deshalb wenig überraschende Liebesgeschichte, die aber durchaus bewegt.

Der Film «303» läuft seit dieser Woche in den Schweizer Kinos.