Wir fordern: Frauen dürfen nicht weniger verdienen, nur weil sie Frauen sind
- Text: Helene Aecherli, Sven Broder, Stephanie Hess, Sarah Lau, Barbara Loop, Claudia Senn
- Bild: Unsplash
Das Frauenstimmrecht markierte in Sachen Gleichberechtigung nur den Start, nicht das Ziel. Und von diesem sind die Frauen auch ein halbes Jahrhundert später noch weit entfernt. Denn die Ungleichheit steckt nicht nur in den alten, vornehmlich von Männern gemachten Gesetzen, sie sitzt auch noch tief in vielen Köpfen. Deshalb wollen wir nicht feiern, sondern fordern – und präsentieren: Die Erbsünden der Schweizer Gleichstellungspolitik. Heute: Frauen verdienen weniger, nur weil sie Frauen sind.
Wir alle sind im Bewusstsein aufgewachsen, dass wir nicht in einem Schurkenstaat leben. Sondern in der besten aller Demokratien, die ihre Verfassung in Ehren hält. Tatsächlich? Wie kommt es dann, dass unzählige Arbeitgeber gegenüber ihren Arbeitnehmerinnen das Gesetz brechen, systematisch, über Jahrzehnte – ohne jemals dafür belangt zu werden? Seit 1981 schreibt die Bundesverfassung gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Zudem verbietet das Gleichstellungsgesetz jede Form der Diskriminierung, und die Schweiz hat auch noch eine Reihe von Uno-Konventionen gegen die Benachteiligung von Frauen bei der Arbeit ratifiziert. Trotzdem können wir von gerechten Salären nur träumen.
Das Bundesamt für Statistik erhebt alle zwei Jahre die Löhne, die neusten Zahlen stammen von 2018. Das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen betrug damals in der Gesamtwirtschaft 11.5 Prozent, in der Privatwirtschaft waren es sogar 14 Prozent. Ein Teil dieser Differenz lässt sich mit schlechterer Ausbildung, weniger Arbeitserfahrung oder tieferer beruflicher Stellung begründen, doch es bleiben immer noch etwa 40 Prozent, die als «nicht erklärbar» gelten. Frauen verdienen also weniger, weil sie Frauen sind. Einfach so. Insgesamt entgeht den Schweizer Arbeitnehmerinnen dadurch jedes Jahr eine niedrige zweistellige Milliardensumme.
Es ist nicht so, dass sich gar nichts in die richtige Richtung bewegt. 2016 lag der Lohnunterschied in der Gesamtwirtschaft noch ein halbes Prozent höher, also bei 12 Prozent, im Jahr 2014 bei 12.5 Prozent. Ein Anlass zum Jubeln ist das nicht. Wenn es im selben Tempo weitergeht, sind wir nämlich in 45 Jahren bei der Lohngleichheit angekommen, also im Jahr 2066. Selbst bürgerliche Parlamentarier haben erkannt, dass das ein Problem ist.
Deshalb ist am 1. Juli letzten Jahres ein neues Feigenblatt, pardon, Gesetz in Kraft getreten. Leider ist es so zahnlos wie ein greiser Tiger mit Parodontose. Firmen mit über hundert Mitarbeitenden – ein Prozent aller Unternehmen in der Schweiz – müssen jetzt alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchführen. Sind die Frauenlöhne mehr als fünf Prozent tiefer, passiert, Sie ahnen es: nichts. Der Bund kontrolliert nicht einmal, ob die Analyse stattgefunden hat. Man setzt, wie so oft, wenn man nicht wirklich etwas tun will, auf Eigenverantwortung.
Wenn der Druck nicht von oben kommt, dann muss er eben von unten kommen. Seit Kurzem können sich Firmen mit einem «Equal-Salary»-Siegel zertifizieren lassen. Zudem hat der Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse eine weisse Liste lanciert, auf der sich Unternehmen mit nachgewiesener Lohngleichheit eintragen können (respect8-3.ch). Noch ist sie nicht sehr lang. Aber hoffentlich wird sie bald ein wichtiges Werkzeug: für Investorinnen, die ihr Geld lieber in Firmen mit fairer Lohnpolitik investieren wollen. Für Konsumentinnen, denen ein «Equal Salary»-Siegel genauso wichtig ist wie Nachhaltigkeit oder Ökologie. Ungerechte Löhne werden dann irgendwie «wääk» sein, etwas Peinliches, das ganz schlechte PR gibt und deshalb unbedingt vermieden werden muss. Sorgen wir dafür, dass das bald passiert.