Tillmann Prüfer überlegt, wie er seinen Kindern Medienkompetenz beibringen kann. Und merkt: Am besten, die Eltern sind gute Vorbilder.
Neulich erklärte mir meine siebenjährige Tochter Juli: «Papa, ich kann jetzt in deinen Computer!» – «Äh, wie?» – «Na, ich kenne dein Passwörd! Das heisst Prüfti!» Dabei heisst mein Password ganz anders. Juli erklärte mir aber, wie sie darauf gekommen war: Die Schule meiner Tochter hat eine Lernplattform im Internet. Dort melden sich die Schüler mit den ersten vier Buchstaben des Nachnamens und den ersten zwei des Vornamens an. In meinem Fall wäre das «Prüf» und «Ti».
Juli meinte offenbar, nun den Weltgeneralschlüssel im Netz gefunden zu haben, mit dem sie all die seltsamen Schranken in unserem Haushalt überwinden könne, mit denen Laptops, Smartphones und Tablets vor ihr verschlossen sind. In unserem Haushalt gibt es sehr viele Geräte, die mit Codes geschützt sind. Denn Juli hat drei ältere Schwestern – und mit denen ringen wir Eltern ununterbrochen darum, den Pixelstrom, der sich in ihre Gehirne ergiesst, wenigstens etwas zu drosseln.
Hackerkrieg zuhause
Alle Töchter bis auf Juli haben Smartphones. Die werden nach drei Stunden blockiert. So will es die Bildschirmzeit-Einstellung. Die restlichen 21 Stunden des Tages herrscht bei uns Hackerkrieg. Immer wieder stelle ich fest, dass die Kinder meinen Sicherungscode geknackt haben (er ist leider sehr einfallslos) und die Nacht durchchatten. Oder sie entführen heimlich meinen Laptop, weil sie dessen Code erraten haben. Ich muss mir dann neue, schwerere Passwörter ausdenken. Die kann ich mir aber selbst nicht merken. Ich muss sie mir aufschreiben. Leider finden meine Kinder die Zettel, meine Verstecke sind zu schlecht.
Ich weiss, ich habe längst alles falsch gemacht. Statt das Internet wegzuschliessen, sollte ich meinen Töchtern Medienkompetenz beibringen, partnerschaftlich an ihre Vernunft appellieren, damit sie ganz von selbst das Smartphone weglegen. So steht es in den Medienerziehungsratgebern. Ich frage mich aber, ob Medienerzieher Kinder haben oder wenigstens Tiktok ausprobiert haben, eine App, die so heftig an den Fingern klebt wie Ahornblütenhonig. So vernünftig kann gar kein Kind sein, diesen ständigen Reigen aus Tänzchen, Witzchen und Informationshäppchen einfach wegzulegen. Man muss ihnen die Geräte aus den Händen winden.
Alternativen vorleben
Eine Bekannte erzählte mir neulich, warum sie nun wieder eine Tageszeitung abonniert habe. In ihrer eigenen Kindheit sei es ein Unterschied gewesen, ob die Eltern fernsahen, ob sie Zeitung lasen, telefonierten, einen Brief schrieben oder Musik hörten. Heute aber sehe das alles von aussen gleich aus: Leute starren in Bildschirme. Wie sollen Kinder lernen, sich mit Medien auseinanderzusetzen, wenn ihre eigenen Eltern ihnen zeigen, dass Smartphones und Computer einfach alles bedeuten?
Ich glaube, der beste Weg, Kindern ein vernünftiges Verhältnis zur digitalen Welt zu vermitteln, ist ihnen vorzuleben, dass es für einen selbst Alternativen gibt. Ich habe nun auch eine Tageszeitung abonniert. Jetzt lesen wir sie gemeinsam morgens im Bett und Juli entscheidet, welche Bilder sie sich ausschneidet (Tiere, keine Politiker). Mein Passwort am Computer habe ich derweil in «Prüfti» geändert. Ich wette, da kommen die Kinder nicht drauf. Und wenn ich es selbst vergesse, frage ich Juli.