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Wild Thing: Im Interview mit Kristen Stewart

Leben

Wild Thing: Im Interview mit Kristen Stewart

  • Text: Silvia Binggeli; Foto: Jan Welters

Kristen Stewart gibt sich gern ungezähmt. Das hat sie zur begehrten Schauspielerin gemacht – und zum gejagten Star.

Es müsste pausenlos gepiept werden im amerikanischen Fernsehen. «Das ist fucking grossartig.» Piep. «Das ist fucking unglaublich.» Piep. «Das ist fucking seltsam.» Piep. Kristen Stewart benutzt das F-Wort ungeniert oft. Die Schauspielerin der Stunde gibt sich gern flegelhaft. Während ihre Kolleginnen nett in die Kamera lächeln, zeigt sie den Stinkefinger, während andere Galarobe tragen, schreitet sie in Turnschuhen über den roten Teppich.

Sie ist wie sie ist und gibt immer alles

Sie sagt: «Wenn Leute meckern, dass ich an Anlässen zu mürrisch rüberkomme und doch gefälligst mehr Dankbarkeit zeigen solle, statt eine Schnute zu ziehen, dann kann ich nur sagen: Ich gebe in jedem Film alles.» Gleich in drei wichtigen Filmen spielt Kristen Stewart dieses Jahr eine tragende Rolle: in «Snow White and the Huntsman», in «The Twilight Saga» und in der mit Spannung erwarteten Verfilmung von Jack Kerouacs Kultroman «On the Road». Kristen Stewart ist zarte 22 Jahre alt, steht aber schon seit zehn Jahren regelmässig vor der Kamera. Ihre ungehobelte Art bringt Erfolg – jedenfalls bis jetzt.

Heute gibt sich Kristen Stewart angepasst. Zum Interview im Hotel Le Bristol trägt sie Designershorts, ein T-Shirt und Highheels. Sie ist nach Paris gereist, um für Balenciaga zu werben. Als Gesicht des neuen Dufts Florabotanica soll die Amerikanerin das Modehaus bei einer jungen Kundschaft populär machen. Ein erfolgversprechendes Vorhaben: Auf Facebook hat Kristen Stewart zwei Millionen Fans. Turnschuhe auf dem Red Carpet hin oder her, sie ist längst auch modisch für viele ein Vorbild. In Fotostrecken von Hochglanzmagazinen ist sie Dauergast.

Die Modebegeisterte wirbt für Balenciaga

Als Schauspielerin geniesst sie das Privileg, teure Kleider für Premieren ausgeliehen zu bekommen. «Mode hat mich schon immer fasziniert», sagt sie. «Auch wenn man mir das vielleicht nicht sofort zutraut.» Anders als die meisten glaube sie allerdings nicht, dass man in eine fremde Rolle eintauche, wenn man bestimmte Kleider trage. «Ich glaube, dass Kleider etwas aus dir herausholen können.» In ihrem Fall tun dies offenbar die Kreationen von Balenciaga-Chefdesigner Nicolas Ghesquière – Kleider, die glamouröser Rock’n’Roll sind. Ghesquière und Stewart kennen sich von einer früheren Zusammenarbeit. Sie schwärmt. «Nicolas ist so fucking cool. Alles, was er macht, ist einmalig. Er entwirft mit Leidenschaft. Und das liebe ich.» Keine Sekunde hat sie gezögert, als er sie für die Kampagne anfragte. Sie hatte den Duft noch nicht einmal gerochen: «Was immer du willst, Nicolas. Ich will einfach in deiner Nähe sein.» Willkommen in der übersprudelnden Welt der Kristen Stewart.

Kristen Stewart ist, wie das Schauspielerinnen in natura oft sind, zierlich und klein. Sie sitzt auf einem riesigen Kanapee in der Suite Panoramique, wuselt in ihrem offenen Haar herum und beginnt Sätze immer wieder neu. Es scheint, als möchte sie hundert Sachen gleichzeitig sagen. Oder gar nichts. Seltsam sei es, über etwas anderes zu sprechen als ihre Arbeit, sagt sie und stützt sich verlegen mit den Ellbogen auf die nackten Beine. Doch just wenn man in ihr eine junge unsichere Frau zu erkennen meint, schlägt sie wieder um, wird direkt. «Als Teenager habe ich kein Parfum getragen, die meisten rochen mir zu künstlich. Und wer will schon wie ein Raumspray duften. Aber dieses Parfum ist lebendig. Es riecht sexy. Und darum geht es doch: Man sprayt sich Parfum an, um sexy zu sein.» Kristen Stewarts Stimme ist kernig wie die einer Lastwagenfahrerin. Ihre Gesichtszüge haben etwas Herbes. Sie ist nicht auf den ersten Blick schön.

Sensibel mit einer Jungenhaften Seite

«Ich war immer auch ein bisschen Junge», sagt sie. Als Kind hat sie darunter gelitten. «Einmal, im Turnunterricht, fuhr mich eine Kollegin an, es sei ekelhaft, dass ich meine Beine nicht rasiere. Und es ist nicht so, dass mir das nichts ausgemacht hätte.» Kristen Stewart war sensibel, ein Mädchen, das wegen Noten Panikanfälle bekam. Heute schlägt sie aus ihrer Natur Kapital. «Ich glaube, es ist wichtig, ein Mädchen zu bleiben. Ein starkes Mädchen, das sich wie ein Junge verhält. Die Leute mögen das.» Zum Glück für sie. «Ich lese viele Scripts mit solchen Figuren.» Und sie spielt diese Figuren gern. «Ich fühle mich dann unglaublich kühn. Aber nie aggressiv.»

Für Insider gehört Kristen Stewart schon eine Weile zu den vielversprechendsten Schauspielerinnen. Einige ihrer stärksten Rollen spielte sie als junges Mädchen. Der Durchbruch gelang ihr jedoch vor vier Jahren in der Vampirfilmserie «The Twilight Saga», wo sie Bella Swan verkörperte, eine eigenwillige junge Frau, die sich in einen Vampir verliebt, um dessen Liebe kämpft und schliesslich selber zur Blutsaugerin wird, um ewig an seiner Seite leben zu können. «Twilight»-Autorin Stephenie Meyer ist von Stewart begeistert. «Sie spielte die Rolle anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber am Ende gab sie ihr mehr Tiefe, als wir uns hätten vorstellen können.» Im November werden die Fans in der fünften und letzten Folge erfahren, was aus Bellas und Vampir Edwards Baby wird.

Liebestdrama: Kristen Stuart und Robert Pattinson

Doch viel mehr interessiert derzeit die meisten das Schicksal seiner «Eltern»; von Kristen Stewart und Robert Pattinson, der in «Twilight» Vampir Edward spielt. Die beiden waren bis vor kurzem auch im echten Leben ein Paar. Doch dann liess sich Kristen Stewart auf eine Affäre mit dem um zwanzig Jahre älteren Regisseur von «Snow White and the Huntsman», Rupert Sanders, ein. Kussbilder der beiden gingen um die Welt. Eine unschöne, aber, mal ehrlich, nicht dramatische Sache. Eine junge Frau hatte ihren Freund betrogen. Kann passieren. Doch wie Bella und Edward sind auch Kristen und Robert Allgemeingut, ihre Liebesgeschichte vernebelte den Blick für Fiktion und Realität. Die Fans waren entrüstet. Die 22-Jährige fiel in Ungnade. Eine britische Boulevardzeitung degradierte sie zur meistgehassten Frau. Seltsamerweise stellte kaum jemand die Frage, wie angebracht es für einen 41-jährigen verheirateten Mann ist, eine Affäre mit einer viel jüngeren Schauspielerin zu beginnen – dann noch auf dem Set, wo auch die Frau (Liberty Ross) ist und ausgerechnet Kristen Stewarts Filmmutter spielt. Kristen Stewart verlor die Balance. Auf Bildern war sie mit geballten Fäusten und geknicktem Kopf zu sehen. Sogar Jodi Foster, selbst einst ein Kinderstar und in «Panic Room» die Mutter der damals 11-Jährigen, eilte ihr zu Hilfe und wetterte in einem Artikel. «Wenn ich mich so früh wie sie mit so viel Medienrummel hätte herumschlagen müssen, wäre ich untergegangen.»

Kristen Stewart hat in Interviews nie über ihre Beziehung zu Robert Pattinson gesprochen. Sie hat sie noch nicht einmal offiziell bestätigt. Doch nun preschte sie vor und entschuldigte sich vor aller Welt bei ihrem Liebsten. «Ich habe den Menschen verletzt, der mir am meisten bedeutet: Rob. Ich liebe ihn, ich liebe ihn. Es tut mir so leid.» Die Geschichte wurde zur billigen Seifenoper. Die Presse schrieb, dass Robert Pattinson aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei, dass Kristen Stewart weiter standhaft und fast störrisch seine T-Shirts spazieren führe. Und dass Rob ihr das untersagt haben soll. Sie sei ein leidenschaftlicher Mensch, sagt sie. «Ich tue Dinge mit Leib und Seele.» Die Frauen, die sie bewundere, seien nicht jene, die sich besonders selbstsicher geben. «Es sind die, die sich selber treu bleiben.» Die Rechnung ging doppelt auf. Kristen Stewart und Robert Pattinson sollen wieder zusammen sein – pünktlich zum Filmstart.

Plötzlich waren die Paparazzi da

Der Tag, an dem Kristen Stewart bewusst wurde, wie gross das Interesse an ihrer Person geworden war, ist noch nicht lange her. Sie war 18, der erste Teil von «Twilight» eben in den Kinos angelaufen. «Ich sass mit meinem damaligen Freund auf der Terrasse. Wir rauchten eine Pfeife und dachten nichts Böses. Plötzlich kamen Paparazzi. Auf dem Bild, das am nächsten Tag in den Zeitungen erschien, sah ich aus wie ein durchgeknallter Teenager. Das lehrte mich, nicht mehr in Unterwäsche aus dem Haus zu gehen.»

Einen anderen Beruf möchte sie trotzdem nicht. Ihr Vater John, ein Fernsehproduzent, und ihre Mutter Jules, Script Supervisor und Künstlerin, brachten sie früh mit der Branche in Berührung. Aufgewachsen ist Kristen Stewart mit einem älteren Bruder im San Fernando Valley bei Los Angeles, einst Hippie-Zone. Ihr Vater trug Haare bis zu den Hüften, die Mutter den Arm voller Tattoos. «Sie hatte diesen Tatendrang, es war fast schon ein Zwang. An allen Decken im Haus waren ihre gemalten Bilder von Alice im Wunderland zu sehen.» Kamen die Eltern abends nach einem 15-stündigen Arbeitstag heim, «rochen sie, als wären sie an tausend Orten gewesen», erinnert sich Kristen Stewart. Sie dachte nie: Meine Eltern sind nicht da. «Ich fragte mich, was sie wohl alles erlebten.»

Mit 11 Jahren im ersten Film

Auf dem Set bewunderte Kristen Stewart die Kinderstars. «Ich glorifizierte das Business, ich wollte dazugehören. Und natürlich träumst du als Kind nicht davon, ein Crewmitglied zu werden. Du willst Schauspielerin sein.» Mit 13 Jahren verkörperte sie in «Speak» eine Highschool-Schülerin, die von einem Kollegen vergewaltigt wird und sich niemandem anvertrauen kann. «Die Leute reagierten sehr stark auf den Film», erinnert sie sich. «Wir richteten ein Telefon ein, wo sich Mädchen in ähnlichen Situationen melden konnten. 200 000 Betroffene riefen an. Das hat mich wirklich berührt. Danach wusste ich: Das ist es, was ich machen will.» Es sei dieses Gefühl, sagt sie, «wenn dein Blutdruck hochschiesst und du buchstäblich nach deinem Herzen greifen kannst».

Angst, sich im verrückten Filmbusiness zu verlieren, hat sie nicht. «Ich habe viele unglaublich talentierte junge Schauspieler gesehen. Am Ende haben sie es doch nicht geschafft. Sie haben den Beruf aus den falschen Gründen gewählt.» Ihr sei es nie darum gegangen, reich und berühmt zu werden. Das klingt naiv und ziemlich kokett, denn reich geworden ist Kristen Stewart definitiv. Erst kürzlich hat sie das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes» als Schauspielerin mit dem höchsten Einkommen eingestuft, mit einem geschätzten Jahreslohn von 34 Millionen Dollar. Sie ist nicht nur die Jüngste auf der Liste, sondern rangiert auch vor Cameron Diaz, Angelina Jolie und Sandra Bullock. «Ja. Aber ich werde nie jemand sein, der auf einem Haufen Geld sitzt.» Alles sollte in Bewegung bleiben, glaubt sie, auch das Geld. «Geld zu besitzen, ist eine Scheissverantwortung.»

So richtig kann sie mit ihrem Status als Weltstar noch nicht umgehen

«An Premieren jubeln mir Scharen von Mädchen zu.» Das sei seltsam. «Ich möchte diesen Girls sagen: ‹Eigentlich bin ich wie ihr. Ich würde euch auch cool finden, nur kenne ich euch nicht.›» Sie mag es nicht, eine Stufe über ihnen zu stehen. «Deswegen ziehe ich an solchen Anlässen nicht gern Highheels an.»

Die Boulevardpresse schrieb kürzlich, Kristen Stewart werde bald ein Buch schreiben. «Das stimmt nicht», widerspricht sie vehement. «Wobei: Ich hätte nichts dagegen, Autorin zu sein.» Sie überlegt. «Genau, ich werde meine Tagebücher veröffentlichen!» Vielleicht tut sie das wirklich. Wundern würde es einen nicht.

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1.

Kristen Stewart mit Nicolas Ghesquière, dem Designer von Balenciaga