Zeitgeist
Wie mir der Menscup half, Frieden mit meiner Periode zu schliessen
- Text: Anna Miller
- Bild: Stocksy
Unsere Autorin hatte eine verkorkste Beziehung zu ihrer Periode. Warum sie sich nun mit jedem Zyklus und mit jedem Mal «Blut an meinen Händen» ein bisschen weniger schämt.
Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem ich das erste Mal von diesem Cup hörte, von der Idee, dass eine Tasse aus Silikon in meinen Unterleib eingesetzt wird und dann nachhaltig mein Blut auffängt, der Umwelt zuliebe, und auch sonst ganz praktikabel.
Die Frau war eine Freundin eines Freundes, und sie erzählte mir beiläufig von dieser neuen Form, mit ihrer Periode umzugehen, und ich dachte bloss: wie widerlich. Wie widerlich und alternativ und unhygienisch und hippie-mässig, das geht doch jetzt wirklich – aber wirklich! – zu weit.
Vielleicht, weil ich mich so sehr an Tampons mit Applikator gewöhnt hatte. Vielleicht, weil so ein Cup an Dinge erinnert, die man in Unverpackt-Läden kaufen kann, welche manchmal auch einen politischen Anstrich haben, dem ich nicht in jeder Form und zu jeder Zeit zustimme. Vielleicht, weil Menschen Gewohnheitstiere sind und Veränderung manchmal Zeit braucht.
«Im Blut steckt alles, was man nicht sehen oder wissen will»
Bestimmt regte sich in mir aber auch Widerstand, weil mir schon bei normalen Tampons mulmig zumute wurde, immer schon, seit ich zwölf Jahre alt war. Wenn ich sie mir einführen musste und dann noch ein kleiner Rest Blut an meiner Fingerkuppe klebte, unter meinem Fingernagel. Diese Flüssigkeit, die nicht zu mir gehört, die doch bloss zu einem gehört, wenn man sich wehgetan hat, diese Flüssigkeit, mit der die meisten Menschen nicht in Berührung kommen wollen.
Blut sehen, das können viele nicht, und wo Blut ist, dort ist doch immer auch Schmerz, Elend, manchmal Tod. Auf jeden Fall verheisst Blut nie etwas Gutes.
Üblicherweise ist Blut mit Opferdasein verbunden und mit Täterschaft, mit grosser Tragik, je mehr davon fliesst, an Unfallstellen, in OP-Sälen. Wer blutet, kann auch eine Gefahr sein für andere, vielleicht fliesst mit diesem Blut auch Krankheit mit, HIV oder sonst irgendein Virus oder ein Erreger. Im Blut steckt alles, was man nicht sehen oder wissen will.
«Ich bin doch eine saubere, moderne Frau, ich bin doch kein Tier»
Ich blute seit über zwanzig Jahren einmal im Monat, und doch tue ich alles dafür, diese Tatsache zu ignorieren. Ich habe sie ein halbes Leben lang von mir weggehalten wie einen nassen Lappen, der schon lange nicht mehr gewaschen wurde. Ich habe den Arm ausgestreckt und weggeschaut, so, als würde dieses Bluten nicht zu mir gehören.
Ich bin doch eine saubere, moderne Frau, ich bin doch kein Tier. Und trotzdem blute ich einmal im Monat fünf Tage lang und es hört nicht auf, kann nicht kontrolliert werden und kostet mich, jeden Monat, auch nach zwanzig Jahren noch – ich sollte es besser wissen – eine Unterhose.
Weil doch wieder alles durchleckt, all die Unfälle, all die Flecken in den Hosen und in den Laken, all die Scham, all die Angst, dass man zur falschen Zeit zu öffentlich steht oder sitzt und es nicht mehr rechtzeitig aufs Klo schafft, zu helle Hosen anhat, zu spät merkt, dass der Tampon ausgewechselt gehört.
Als seien wir alte Menschen, als seien wir Babys, als hätten wir Windeln an oder Slipeinlagen, weil wir Blasenschwäche haben, bloss: Wir sind Frauen, mitten im Leben, im gebärfähigen Alter.
«Wir müssen alles sein, alles können, aber bitte glattpoliert, ohne so etwas Abstossendes, Unelegantes, Undamenhaftes, Archaisches wie: Ausscheidung»
Und auch, wenn wir immer so tun, als wäre dieses ganze Bluten no big deal, auch wenn wir drüber reden und während der Periode Sex haben, auch wenn Endometriose in den sozialen Medien und im Freundeskreis jetzt in aller Munde ist und wir uns immer weniger dafür schämen müssen, dass Hormone unsere Wahrnehmung und Verarbeitung des Weltgeschehens beeinflussen, auch wenn wir selbstbewusst Binden und Tampons auf das Förderband der Supermarktkasse legen und uns lautstark über Tamponsteuer und fundamentalistische Strömungen aufregen, die menstruierende Frauen als unrein ansehen, komme ich nicht umhin, leise, beschämt und unmodern zugeben zu müssen: Ich habe keine neutrale Beziehung zu meinem Blut.
Ich habe keine neutrale Beziehung zu meinem Körper. Ich habe keine neutrale Beziehung zu meinem Frausein. Mit Sicherheit hängen diese drei Dinge auch integral zusammen.
Wir Frauen und unsere Körper und damit auch unsere Körperflüssigkeiten sind kollektiv beschämt worden, kollektiv abgewertet, über Jahrhunderte hinweg, da können wir noch so lange in Hosen umherlaufen und in Führungspositionen sitzen. Diese Beschämung ist verinnerlicht, diese Scham ist Teil unseres kollektiven Bewusstseins.
Wir wissen, was der männliche Blick und die patriarchale Gesellschaft versteckt haben wollen. Wir müssen alles sein, alles können, aber bitte glattpoliert, ohne so etwas widerlich Banales, Abstossendes, Unelegantes, Undamenhaftes, Archaisches wie: Ausscheidung.
Diese Freundin eines Freundes sagte nun also: Es ist einfach. Es ist günstig. Es ist nachhaltig. Es ist natürlich. Am Anfang, sagt sie, ist es gewöhnungsbedürftig. Manchmal, sagt sie, kann es passieren, dass der Cup nicht richtig hält. Manchmal, sagt sie, überläuft er, je nachdem, wie stark deine Blutung ist. Aber sonst? Alles easy. Ein paar Wochen später kaufe ich mir einen. Was solls.
«Der Cup konfrontiert mich mit meiner eigenen Körperlichkeit. Mit meinem Frausein»
Er hat diesen sonderbaren Namen, Luna. Als sei er etwas, das mit dem Universum zu tun hat. Er ist durchsichtig, ich muss ihn zusammendrücken, dann irgendwie die richtige Position für ihn finden, Unterdruck erzeugen, so, dass nichts an ihm vorbeifliessen kann, aber doch auch so, dass ich ihn während des Tragens nicht ständig spüre.
Durchsichtig bleibt er nicht lange, wie ich herausfinde: Er nimmt mit der Zeit die Farbe des Bluts an, braun, rot, rosa. Dann lege ich ihn in kochend heisses Wasser, das ich mit Natron und Essig auffülle, und lasse ihn auskochen, er tanzt dann im Wasser und hüpft umher, und ich denke mir: So ist es nun also, mit dem neuen Jahrtausend, mit dem neuen Feminismus, wir kochen und waschen wieder Dinge aus, wie unsere Urgrossmütter.
Mein Cup wirft mich zurück in eine vergangene Zeit, in eine rohere Zeit, in eine Zeit, in der das Blut frei floss. Der Cup konfrontiert mich mit meiner eigenen Körperlichkeit. Mit meinem Frausein. Ich muss mich damit auseinandersetzen, wie meine Vagina geformt ist. Mich an das Geräusch des Unterdrucks gewöhnen.
Daran, dass sich diese Silikontasse mit meinem Blut füllt, und dass ich es sehe. Ich sehe und ich rieche es und sehe dem Blut dann dabei zu, wie es ins Wasser der Toilette hineinfliesst und zäh auf den Grund des Porzellans gleitet. Ich spüle den Cup unter kaltem Wasser aus, ich schaue dem Wasserstrahl dabei zu, wie er mein Blut ins ganze Waschbecken spritzt.
Ich schaue mir die Farbe genau an. Die ersten paar Male sind noch unbeholfen, aber mit der Zeit, mit jedem Mal, mit jedem Ausschütten, mit jedem Ausspülen, mit jedem Einsetzen, komme ich mir selbst näher. Ich sehe, was ich produziere, was mein Körper produziert. Ich sehe die klare, gesunde Farbe des Lebens, ich sehe, was in mir fliesst. Ich sehe meinem Blut an, wie es sich verändert. Ich sehe meinem Körper an, wie er sich verändert.
«Vielleicht hat mich das Blut auch sensibler und offener gemacht für alle anderen Körperflüssigkeiten, die mein Körper produziert»
Nach ein paar Monaten lese ich anhand meines Ausflusses meinen Zyklus ab, vielleicht hat mich das Blut auch sensibler und offener gemacht für alle anderen Körperflüssigkeiten, die mein Körper produziert und die doch im Grunde nichts anderes sind als eine Sprache, Signale, eine Art, mit mir zu kommunizieren. Ich kenne mein Blut, ich kenne die Farbschattierungen, ich kenne die Mengen-Varianten. Und durch all das kenne ich auch mein Frausein ein Stück besser.
Wenn ich mal wieder darüber nachdenke, was es bedeutet, in diesem Leben als Frau geboren worden zu sein und wie viele Gräben sich zwischen den Geschlechtern doch eröffnen und in wie vielen eigenen Welten wir leben und wie schwer es uns doch oft fällt, uns in diese Welten gegenseitig einzuladen, über diese Welten zu sprechen, uns diese Welten zuzumuten, dann denke ich manchmal auch an mein Blut.
Und daran, wie wenig Männer doch über mich wissen. Über uns. Und wie wenig wir über sie. Wie viel uns eint, und wie viel so grundsätzlich anders ist.
Dieser Cup hat nicht alles an mir verändert. Und er hat mir auch nicht all die Scham genommen, die mir eingeschrieben wurde, weil ich eine Frau bin. Aber ich bin durch ihn stärker in Kontakt mit mir gekommen, weil ich dieser Tatsache, dass ich blute, nicht mehr aus dem Weg gehen konnte.
Ich habe nun jedes einzelne Mal, wenn ich meine Periode habe, Blut an meinen Händen, und mit jedem Mal tut es emotional und mental weniger weh. Mit jedem Mal schaue ich ein wenig stolzer auf diese Finger und denke mir: Das ist natürlich, das ist normal, das bin ich, das ist ein Teil von mir, da ist nichts, was beschämt gehört, lassen wir das Blut rinnen und fliessen und uns beflecken und beschmutzen und reinigen und heilen.
Blut ist nicht nur Gefahr und Tod und Verletzung. Blut ist auch Leben, Gesundheit und Hoffnung.