Die Witwe von John Lennon berichtet über ihre erste Begegnung mit dem Ex-Beatle, der 1980 ermordet wurde.
Lennon-Witwe Yoko Ono über ihre allererste Begegnung mit dem 1980 ermordeten Ex-Beatle und über das Schöne an «Yes» im Vergleich zu «No» oder «Fuck you».
Plötzlich kann man mit Yoko Ono reden. Grund für die Audienz ist John Lennons siebzigster Geburtstag am 9. Oktober, eine neue Best-of-CD sowie eine Signature-Box. Das Interview findet in Berlin statt, im Hotel Kempinski. Man harrt eine Weile im Minibüro ihres Agenten, wird dann in eine Suite geleitet, halbdunkel, versinkt in einem Sofa vor einem Glastisch mit Blumen und Schalen voller Früchte. Gegenüber setzt sich nun Yoko Ono, 77 Jahre alt, aufmerksam, freundlich, vornübergelehnt wie ein neugieriges Kind.
annabelle: Können wir über den Tag sprechen, wo Sie John Lennon zum ersten Mal begegnet sind?
Yoko Ono: Okay. Ich hatte eine One-Woman-Show in einer Londoner Galerie, und alles war fix und fertig vorbereitet. Ich sagte dem Galeristen, er solle niemanden vor der Türöffnung hereinlassen. Eine Stunde vor der Eröffnung brachte der Galerist einen Typen herein. Ich hielt mich im Hintergrund. Dann bemerkte mich der Galerist und sagte zu John: «Sie ist die Künstlerin!» Und zu mir sagte er: «Und er ist Jishnn …!» Er verschluckte den Namen. Später erfuhr ich, dass er das absichtlich tat. Weil er dachte, ich würde wie alle Beatles-Fans zu schreien beginnen – aaaaaaaahhh!
Und Sie hätten aaaaaaaahhh gemacht?
Natürlich nicht. Ich hatte keinen Begriff von den Beatles. Eine meiner Kunst-Aktionen in der Galerie hiess «Painting to Hammer a Nail». Das Thema ist die Publikumsbeteiligung, erst das Publikum vollendet das Kunstwerk. Nun fragte John, ob er einen Nagel einschlagen dürfe: «Is it allright to hammer a nail in?» Ich sagte, wenn er fünf Shilling bezahle, dann sei es okay. Nun hatte er aber kein Geld bei sich. Es war so: John musste nirgends mehr bezahlen. Er betrat einen Shop oder ein Restaurant und erhielt alles geschenkt, überall. Dann sagte John, er würde mir fünf imaginäre Shilling geben, wenn er einen imaginären Nagel einschlagen dürfe. Ich sagte, das geht in Ordnung. Dann gab ich ihm ein Stück Karton, worauf BREATHE stand. John tat einen tiefen Atemzug.
War das schon eine Art von Annäherung?
Ich sah es nicht so, er vielleicht. Denn nun ging er auf ein kleines Podest zu, wo ein Apfel drauf war und ein Preisschild, 200 Pfund. Er nahm den Apfel und biss hinein. Ich war empört. Der Apfel war mein Werk. Das darf er nicht, dachte ich und guckte verärgert. Er bemerkte das und legte den Apfel wieder zurück.
Angebissen?
Angebissen, ja. Ich dachte, was tu ich jetzt? Lennon war nicht aufzuhalten. Im Raum war eine Leiter, die man emporklettern konnte, was John nun tat. Zuoberst baumelte eine grosse Lupe, und an der Decke war ein Bild befestigt. Wer die Lupe nahm, konnte ein Wort lesen: ganz klein das Wort Yes. Er kletterte runter, ging an mir vorbei, machte «Hm» und war weg.
Und das wars dann?
Ich dachte, er hat das Yes-Painting wohl nicht verstanden, und wendete mich den eintreffenden Besuchern zu. Später fand ich heraus, dass ihn das Yes-Bild erheitert hatte. John hat mir später gesagt, er sei erlöst gewesen, dass da nicht No oder Fuck you zu lesen war. Sondern eben Yes. Also doch, er hatte verstanden.
Der Apfelbiss und das Ja-Wort – da liegt Liebe in der Luft. War das Absicht?
Nein, totaler Zufall.
Was passierte am nächsten Tag? Ich werde Sie aber nicht über jeden Tag abfragen.
Ach nein? (lacht) Am andern Tag besuchte ich die Vernissage einer Ausstellung von Claas Oldenburg, ich kenne ihn von New York her. Das ist Freundschaft – ein Kollege eröffnet, du gehst hin. Und da war er wieder (kichert). John.
Hatte er das herausgefunden, oder wars Zufall?
Zufall.
Etwas viel Zufall, so langsam …
Diesmal sah John ganz anders aus. Am Tag zuvor erschien er als Gentleman – sehr elegant, ein attraktiver Mann. Aber an dieser Ausstellung schien es, als hätte er nicht geschlafen. Er war in einen riesigen Schal gewickelt, eine Kappe ins Gesicht gezogen und eine Sonnenbrille im Gesicht. Er war kaum zu erkennen. Ich sagte, oh, Sie sehen heute aber anders aus.
Ihre Hochzeitsreise 1969 war Schwerarbeit: ein Bed-in als Performance Art für den Frieden. Die Presse war sieben Tage à zwölf Stunden dabei.
Die Journalisten waren ganz aufgeregt, sie meinten, wir würden Sex vor ihren Augen haben. Natürlich hätten wir so etwas nicht getan. Sie wussten offenbar nicht, wie scheu wir eigentlich waren.
Ihre erste Heirat 1956 mit dem Komponisten Toshi Ichiyanagi geschah nicht zum Entzücken Ihrer Eltern.
Nun, sie waren vielleicht nicht so dafür, aber sie dachten, Yoko macht sowieso, was sie will. Möglicherweise waren sie etwas enttäuscht, aber das sagten sie mir nie. Sehen Sie: Toshi Ichiyanagi war berühmt, er war damals einer der grössten Komponisten in Japan. Alles in allem hatten meine Eltern keinen Grund, sehr besorgt zu sein.
Sie konnten als japanisches Mädchen schon in den Fünfzigerjahren Ihre Zukunft mitbestimmen?
Na ja, das ist eines dieser westlichen Vorurteile. Schon als meine Mutter jung war, heirateten die Japaner aus Liebe. Natürlich gab es noch eine Weile arrangierte Heiraten, aber die meiner Mutter gehörte nicht dazu.
Sie hatten mit Kritik zu leben und mit dem Vorwurf, die Beatles gesprengt zu haben.
Es gibt in jedem Leben Ärger und Vorwürfe. Ich begegne dem, indem ich wunderbare Musik höre und Kunst anschaue. All dies würde mir viel mehr ausmachen, wenn die Welt nicht voller Schönheit wäre.
Erklären Sie uns, was Fluxus ist, eine Kunstbewegung, die Sie mitprägten.
Fluxus ist eine sehr wichtige Bewegung, die den Leuten idealen Frieden vermittelt. Was dabei am meisten zählt, ist die schöpferische Idee.
Gibt es ein Werk, das Ihnen am besten gefällt?
Ich liebe all meine Werke. Ich bereue kein einziges.
Bei der Kunst-Aktion «Painting to Hammer a Nail” durfte das Publikum einen Nagel einschlagen. Sie haben die Publikumsbeteiligung an vielen Orten wiederholt und variiert.
Ja, klar. Manchmal mache ich Dinge allein, und manchmal lade ich Publikum ein. Etwa beim Wish Tree. Das geht um die ganze Welt, und alle möchten ihren Wunsch am Wunschbaum befestigen. Das ist doch grossartig.
Pipilotti Rist hat an der Schweizer Expo.02 eine Version des Wish Tree gemacht. Man konnte seinen Wunsch in einen Computer tippen – und wenig später wurden die Wünsche ins Wasser des Bielersees projiziert, und man konnte sie lesen. Vielleicht hatte Rist von Ihnen gelernt?
Das ist grossartig, eine wunderschöne Sache. Es spielt keine Rolle, ob sie von mir beeinflusst war oder nicht – es ist so oder so sehr freundlich.
Darf ich Sie fragen, welche langfristigen Auswirkungen die Atombomben über Japan hatten.
Es gibt so viele Dinge auf der Welt, die wir falsch machen, wir Menschen überhaupt, meine ich. Da war ein junger Soldat, der verlor seine beiden Beine im Krieg. Das ist schrecklich, und man kann dies auf keine Weise wiedergutmachen. Jeder Mensch und jedes Leben zählt in dieser Welt. Ebenso wie jedes Land der Welt seine einzigartige Funktion hat. Die meisten Leute sagen ja, wenn zwei Kulturen zusammenkommen, zum Beispiel Westeuropa und Osteuropa, dann geschieht das Schlimmste, dann dominieren die schlechten Seiten. Ich sehe das anders: Das Beste wird zusammenkommen, und alle Blumen werden blühen.
Sie schrieben einmal: «Wir leben in einer Zeit, wo die Menschen absolut weise sein müssen, denn die Zeit braucht das.»
Es ist eine sehr schwierige Zeit, also müssen wir weiser werden. Viele Menschen ändern ihre Lebensweise. Sie ernähren sich gesund und kaufen gute Nahrung, keinen Junk. Dieses Bewusstsein ist neu. Früher tranken wir Cola und assen Hamburger und Schokolade. Heute weiss man mehr über die Zusammenhänge von Nahrung und Leben. Nur schon deshalb sind wir weiser.
Zum 70. Geburtstag von John Lennon veröffentlicht EMI eine Reihe neu gemasterter Lennon-Songs und -Alben auf CD:
- Power to the People: The Hits (EMI)
- John Lennon Signature Box (11 CDs)
- Gimme Some Truth (4 CDs)
- Double Fantasy Stripped Down