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Wie ist es eigentlich, zu sehen, wie ein Kollege geköpft wird?

Wie ist es eigentlich, zu sehen, wie ein Kollege geköpft wird?

  • Aufgezeichnet von Regula RosenthalFoto: Getty Images

Daniele Mastrogiacomo (56), Journalist, Rom

Selbst in den Strassen Roms schaue ich mich misstrauisch um. Menschengruppen nähere ich mich widerwillig. In Restaurants setze ich mich nie mit dem Rücken zum Innern des Lokals. Die Furcht ist seit Jahren mein Begleiter.

Das war nicht immer so. Sieben Jahre lang hatte ich als Kriegsreporter für die italienische Tageszeitung «La Repubblica» gearbeitet. Nie war mir etwas passiert, nicht einmal im Irak. Als ich dann vor drei Jahren nach Kabul flog, tat ich das mit der Gelassenheit grosser Erfahrung. Mein Freund Ajmal Naqshbandi, ein afghanischer Dolmetscher, hatte ein Treffen mit einem Talibanführer für mich arrangieren können. Keinem westlichen Reporter war so etwas zuvor geglückt.

Am 5. März 2007 fuhr uns der Fahrer Sayad in die Provinz Helmand im Süden Afghanistans. Wir hatten traditionelle Talibankleidung samt Turban angezogen, waren guter Dinge und kamen flott voran. Doch im Niemandsland gerieten wir plötzlich in einen Hinterhalt. Zehn talibanische Guerillakämpfer standen um unser Auto herum, alle bis zum Bart bewaffnet. Sie zerrten uns aus dem Wagen, fesselten unsere Hände und verbanden unsere Augen. Sie beschuldigten uns, englische Spione zu sein. Ich dachte, das Missverständnis könne geklärt werden. Ich irrte. Auf Spionage, sagten sie, stehe die Todesstrafe. Eine lähmende Angst erfasste mich. Jemand musste von unserer Reise erfahren und uns verraten haben.

Wir wurden durch die Wüste gefahren, stundenlang. Vor einem baufälligen Gemäuer aus Stroh und Lehm wurde mir die Augenbinde entfernt. Meine Kollegen Ajmal und Sayad knieten auf der staubbedeckten Erde, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Köpfe mit weissen Kapuzen bedeckt. Die Taliban hielten schweigend die Gewehrläufe auf uns gerichtet. Ich dachte kurz an Flucht. Ich hätte keine Chance gehabt. Wer hätte mir helfen sollen?

Tagelang verhörten uns die Taliban. Ich fragte den Kommandanten, ob er mich freilasse, wenn ich zum Islam konvertiere. Er willigte ein, verlangte aber, dass ein Arzt mich beschneide. Ich zeigte mich auch dazu bereit, gab aber zu verstehen, dass ich nur als freier Mann zum Islam wechsle: Alles andere wäre Heuchelei. Ich blieb in den Krallen der Extremisten.

Am nächsten Tag nahmen sie mir meinen Ehering ab. Ich empfand das als Demütigung und protestierte. Sie lachten. Wir sollten erleben, wie es den Gefangenen in Guantanamo geht. Das Leben der Taliban sei voll Leid und Opfer. Die Entführer befragten mich ausführlich über die sexuellen Vorlieben westlicher Frauen. Minuten später peitschten sie mich im Namen Allahs mit einem Gummischlauch aus. Sie schlugen auf meinen Rücken und meine Oberschenkel. Tränen rannen über mein von Staub bedecktes Gesicht.

Einmal durfte ich meine Frau in Rom anrufen, doch Luisella war nicht zuhause. So rief ich die Redaktion in Rom an und bat um Unterstützung.

Luthar, ein kaum 20-jähriger Entführer, filmte mehrmals, wie ich mit dem Messer an der Kehle um mein Leben und um das meiner Kollegen flehe. Die Extremisten setzten die Videos in den Verhandlungen mit der afghanischen Regierung ein. Luthar filmte auch, wie sie meinen Fahrer Sayad vor meinen Augen in den Sand stiessen. Sie lachten ihn aus. Dann beugte sich einer zu ihm, legte ihm ein Messer an den Hals und trennte den Kopf vom Körper. Sayads Enthauptung verlief schnell und lautlos. Danach legten die Taliban den Kopf auf einen Baumstumpf und wischten das Blut an Sayads weissem Gewand ab. Den leblosen Körper warfen sie in einen Fluss. Ich war mir sicher, nun ebenfalls getötet zu werden. Ich fühlte einen starken Brechreiz.

Das Schicksal wandte sich zu meinen Gunsten. Nach 15 Tagen sagte der Kommandant unvermittelt, ich sei frei. Und so auch mein Freund Ajmal Naqshbandi. Ich witterte eine Falle. Aber die Taliban liessen mich wissen, man habe erfolgreich mit der Regierung verhandelt: mein Leben gegen das von fünf Taliban. Einer der Kämpfer nahm mir die Ketten von meinen blutverschmierten Handgelenken. Und dann die von Ajmal. Ich spürte eine Leichtigkeit, wie ich sie nie zuvor gespürt hatte. Doch auch diesmal zogen die Guerillakämpfer eine Inszenierung auf, wie ich sie während der Haft wiederholt erlebt hatte: Auf eine Entspannung folgt ein Drama. Mein Freund Ajmal wurde wieder in Ketten gelegt. Er müsse bleiben. Ich kehrte zurück nach Rom, im Wissen, dass ich nie wieder als Kriegsreporter arbeiten will. Innert dreier Wochen schrieb ich ein Buch über meine Erfahrungen. Das hat mir geholfen. Verhandlungen um Ajmals Freilassung fanden nie statt. Die Taliban enthaupteten auch ihn.

Daniele Mastrogiacomo: Tage der Angst. Entführt von den Taliban. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2010, 200 S., ca. 30 Fr.

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