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Wie ist es eigentlich, wenn der Bauch das Kapital ist?

Leben

Wie ist es eigentlich, wenn der Bauch das Kapital ist?

  • Aufgezeichnet von Denise Jeitziner; Bild: zVg / Misfit Models

Udo Hoffmann (55), Misfit-Model aus Berlin, erzählt, wie es ist, wenn der Bauch die Karriere fördert.

Als schön würde ich mich nicht bezeichnen, hässlich ist aber auch nicht der richtige Ausdruck. Ich bin kräftig. Also eigentlich bin ich dick. Aber dass ich zu dick sei, hat mir noch nie jemand an einem Casting gesagt. Einmal fand ein Regisseur sogar, er hätte mich lieber zwanzig Kilogramm schwerer. Ich bin 1.73 Meter gross und wiege über hundert Kilo. Früher hat mich das gestört, aber Minderwertigkeitskomplexe kann man sich abtrainieren. Wenn ich beispielsweise irgendwo bin, wo lauter hübsche und aufwendig gestylte Menschen sind, sage ich: Wisst ihr was, ich bin wahrscheinlich der Einzige von uns, der in seiner Steuererklärung als Berufsbezeichnung Model stehen hat.

Vor etwa fünf Jahren fragte mich ein befreundeter Regisseur aus finanzieller Not, ob ich nicht als Statist in seinem Film auftreten könne. Eigentlich bin ich Bildhauer und Maler, und es war für mich immer unvorstellbar, mich als Schauspieler zu versuchen. Dazu fehlt mir das Talent. Aber als Statist, wieso nicht? Ich musste als schicker Hotelgast zweimal über einen Gang laufen. Mit meiner Figur war ich so unübersehbar, so bildpräsent, dass mich der Regisseur danach für keine andere Szene mehr einsetzen konnte. Ich bekam 66 Franken in bar und dachte, boah, so viel Geld für so wenig Arbeit? … wenn der Bauch das Kapital ist?

Da habe ich natürlich sofort versucht, mehr über die Branche herauszufinden, und bewarb mich bei verschiedenen Agenturen. Erst nur als Statist und nicht als Model, weil ich dachte, dazu sei ein gewisses Aussehen nötig. Ich war schon froh, wenn ich irgendwo im Hintergrund durchs Bild laufen konnte. Bis eines Tages ein Caster zu mir sagte: Pass mal auf, du bist ein toller Typ. Aber du musst etwas aus dir machen. Kauf dir einen Anzug, lass dir die Haare vernünftig wachsen, und dann kommst du wieder. Also ging ich ins nächste Warenhaus, schnappte mir den Herrenausstatter und liess mir einen wunderschönen Dreiteiler verpassen. Meine Frau guckte ganz kritisch, als sie mich zum ersten Mal darin sah. Ich hatte ja noch nie in meinem Leben einen Anzug getragen.

Danach wurde ich auf einmal für kleinere Rollengebucht – als Bankdirektor, Politiker oder Schulleiter; eine Berufsschicht, mit der ich bis dahin nie etwas zu tun haben wollte. Mit den ersten Gagen konnte ich mich zumindest kleidungsmässig in die Businesswelt einkaufen. Ich war aber auch Metzger, Zuhälter oder ein übergewichtiger Mörder.

Ich bin froh, dass ich so unterschiedliche Rollen spielen kann; wenn ich immer nur Randständige spielen müsste, würde ich mein Aussehen in einer stillen Minute vielleicht doch hinterfragen. Solange es ästhetisch ist, lasse ich fast alles mit mir machen. Für die Rolle des Bildhauers oder Malers bin ich aber noch nie gebucht worden, Gottseidank! Das wäre mir dann doch zu privat.

Seit meinem ersten Auftritt vor fünf Jahren habe ich in über 120 Filmen als Statist oder Kleindarsteller mitgespielt oder als Model für Shootings posiert. Die Tagesgagen liegen meistens zwischen 700 und 1200 Franken. Wenn ich mich im Fernsehen oder auf einem Werbefoto sehe, fühle ich mich geschmeichelt, mein Übergewicht betrachte ich dann nicht als Makel. Manchmal denke ich sogar, da und dort könnte ich mir jetzt noch eine Speckrolle mehr leisten. Man sieht auf Fotos nicht einfach gut aus, bloss weil man dünn ist. Die Kamera muss einen mögen, egal, ob man korpulent ist oder eine grosse Nase hat oder abstehende Ohren. Meiner Mutter schicke ich manchmal Fotos von Castings oder Aufträgen. Die ist hellauf begeistert, wenn sie mich im Anzug sieht, und sagt dann immer: Mit 55 Jahren ist der Junge endlich so, wie ich ihn immer haben wollte.

Udo Hoffmann in Action (der Chef):

www.misfitmodels.com

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