Wie ist es eigentlich, die Seite-1-Girls zu casten?
- Aufgezeichnet von Barbara Loop; Bold: SXC
Sabine Höltschi-Mouscardès erzählt von ihrem ehemaligen Job als Projektleiterin «Blick»-Girls.
Schmuddelbilder? Plumper Bünzli-Porno? Wenn ich das höre, stehen mir die Haare zu Berge. Das Seite-1-Girl hat nichts mit Pornografie zu tun! Schliesslich liegt die Zeitung bei Familien auf dem Küchentisch. Wir machen ästhetische Fotos von sexy Girls in Unterwäsche. Und mit Ästhetik kenne ich mich aus.
Früher war ich Balletttänzerin, stand auf den grossen Bühnen dieser Welt, bin im Bolschoi-Theater in Moskau aufgetreten, in der Oper von Prag, Bordeaux und Toulouse, war Solistin beim Zürcher Opernballett. Damals habe ich mit Grippe und vierzig Grad Fieber «Schwanensee» getanzt, danach brauchte ich die Disziplin einer Ballerina für die «Blick»-Girls.
800 Frauen habe ich in den letzten drei Jahren gecastet. Jede Woche musste ich sechs Frauen aufs Titelblatt bringen. Da darf man sich nicht zurücklehnen, das ist harte Arbeit. Vom Ballett zu den «Blick»-Girls, das war ein gewaltiger Schritt. Ich habe nach der Tanzkarriere als Regieassistentin gearbeitet und Kulturmanagement studiert. Auf Deutsch! Darauf bin ich stolz, denn ich bin in Frankreich geboren. Es ist nicht einfach, als Ausländerin mit einer exotischen Karriere im gewöhnlichen Berufsleben Fuss zu fassen.
Meine Umgebung reagierte unterschiedlich auf den neuen Job: Eine Freundin liess sich selber als «Blick»-Girl fotografieren, eine andere hat mir die Freundschaft gekündigt. Die Girls wollen «Star des Tages» sein, auf die Titelseite wie Angelina Jolie. Manche wollen sehen, wie ein Shooting funktioniert, andere machen mit, weil sie eine Wette verloren haben. Ausserdem bekommt jedes Girl 300 Franken.
Eine wollte ihrem kranken Vater mit den Bildern eine Freude machen. Das finde ich nicht merkwürdig. Sie zieht sich ja nicht für ihren Vater aus, sondern will für ihn ein Star sein. Wenn meine Tochter eines Tages «Blick»-Girl werden möchte? Ich hätte nichts dagegen. Mir ist es wichtig, die Frauen zu schützen. Bevor ich für die «Blick»-Girls verantwortlich wurde, hat man sie Dinge gefragt wie «Wie war dein erstes Mal?». Ich habe das geändert und fragte sie, wie sie leben, ob sie ein Haustier haben oder wie sie einen Mann verführen.
Fünf Tage nach der Brustvergrösserung
Die Girls sollten sich wohlfühlen und wissen, dass sie nichts tun müssen, was sie nicht wollen. Klar geht es darum, sexy Bilder von Frauen in sexy Unterwäsche zu machen. Aber keine Frau wird gezwungen, ihre Brüste zu zeigen. Und unten ohne kam mir nicht ins Blatt. Manchmal musste ich die Girls auch vor sich selber schützen. Eine wollte nur fünf Tage nach ihrer Brustvergrösserung fotografiert werden. Die Narben waren noch gar nicht verheilt.
Ich habe auch schon Frauen gecastet, deren Bilder nie erschienen sind, weil sie einfach nicht schön genug waren. Fettpölsterchen kann man retuschieren, ein Doppelkinn nicht. Professionelles Styling und Make-up machen auch aus weniger attraktiven Frauen echte Schönheiten. Wir wollten keine professionellen Modelle, und wir nahmen niemanden aus der Erotikbranche. Das «Blick»-Girl ist das einfache Mädchen von nebenan.
Manchmal bekam ich böse Briefe von Feministinnen. Aber Fotos von Frauen in Unterwäsche sind heute kein Skandal mehr! Ich selber stand halb nackt auf der Bühne, Claudia Schiffer posierte nackt, und wir alle liegen im Bikini am Strand. Manche sagen, die «Blick»-Girls seien billig. Aber alle schauen sie an. Nichts wird auf www.blick.ch häufiger angeklickt als die «Blick»-Girls. Nur eine grosse Katastrophe generiert noch mehr Klicks. Aber es braucht schon eine grosse Katastrophe – Fukushima zum Beispiel.