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Wie ist es eigentlich, im Geheimen einen Priester zu lieben?

Wie ist es eigentlich, im Geheimen einen Priester zu lieben?

  • Aufgezeichnet von Alice GrosjeanFoto: Getty Images

Eine Liebe hinter verschlossenen Türen - Eine Frau erzählt, wie es zur Beziehung mit einem Priester kam und wie es sich anfühlt, wenn man seine Zuneigungen ständig verstecken muss.

Marianne Neumann* (52), Olten

Händchen halten war verboten. In der Öffentlichkeit verhielten wir uns wie gute Freunde. Zuhause zogen wir immer gleich die Vorhänge. Ich gewöhnte mich daran, von niemandem ausser ihm als seine Partnerin wahrgenommen zu werden. Einzig in den Ferien konnten wir wir selbst sein. Oft fuhren wir übers Wochenende weg, und wir durften uns küssen und uns lieben, so wie es jeden Tag hätte sein sollen.

Meine Eltern sind praktizierende Katholiken. Als Freund der Familie hatte Thomas mir nach dem Schulabschluss geholfen, einen Sprachaufenthalt in Lausanne zu organisieren. Dort fühlte ich mich verloren. Immer öfter reiste ich am Wochenende ins Wallis, wo Thomas als Priester arbeitete. Ich engagierte mich bei der Blauringgruppe, zog bei Thomas ein. Offiziell wurde ich als Haushaltshilfe angestellt. Ich war 21 Jahre alt, Thomas 40. Mich faszinierte seine zurückhaltende Art, seine Ernsthaftigkeit. Ich war jung und hielt nichts von den Regeln des Zölibats. Ich dachte: Gott kann mir nicht verbieten, jemanden zu lieben! So begann unser Versteckspiel.

Die Leute im Dorf ahnten trotzdem etwas. Ich merkte es an Frau Meiers Blick an der Kasse im Dorfladen, an Festen, zu denen ich wie selbstverständlich als Begleitung eingeladen wurde. Thomas hörte Dinge wie: «Also Herr Pfarrer, Ihr heid da scho es süperbs Wiiberli.» An einer Familienfeier stand Thomas’ Vater auf und hiess mich vor allen Gästen in der Familie willkommen. Trotzdem träumte ich von einer Zukunft ohne Geheimnisse. Vielleicht mit einem Kind? Ich sehnte mich nach einem hundsnormalen Leben. Doch Thomas würde seine Arbeit verlieren. Er liebte seinen Beruf. Konnte ich das verantworten? Ich erinnere mich an einen Sonntagnachmittag am Bodensee. Wir sahen aufs Wasser, und er sagte nur: «Musst du jetzt schon wieder damit anfangen.»

Nach einigen Jahren liess sich Thomas nach Zürich versetzen. Ich war nur noch die Haushaltshilfe und fand kaum Anschluss. Ich besuchte Nähkurse und lebte von Büchern. Plötzlich bekam ich Migräne und hatte mit Rückenproblemen zu kämpfen. Zweifel plagten mich: Stand Thomas zu mir? War sein Beruf wichtiger als ich? Einmal, an einem Wochenende, rief ein Mann in unser Hotelzimmer in Freiburg an. Er fragte, wer gerade im Raum sei und legte wieder auf. Zwei Tage vor Weihnachten besuchte uns der Präsident der Kirchenpflege zuhause in Zürich. Er legte Fotos auf den Tisch, die Thomas und mich an jenem Wochenende zeigten. «Man hat Sie zusammen gesehen, es gibt eindeutige Beweise.» Er verlangte von uns, die Pfarrei zu verlassen. Ich blickte den Mann an und empfand nichts als tiefe Verachtung für ihn.

Der für die neue Gemeinde zuständige Bischof wusste von uns. Trotzdem bekam Thomas die Stelle. Wir hielten unsere Beziehung weiterhin geheim, lebten von Wochenende zu Wochenende. Ich wollte aussteigen aus dieser Situation, aber wir integrierten uns immer besser im Dorf. So vergingen weitere fünf Jahre, in denen ich als Katechetin arbeitete. Die Arbeit machte mir Freude. Ich war so darin vertieft, dass ich aufhörte, mit Thomas über die Zukunft zu reden. Bis ich einen anderen Mann kennen lernte. Ich ging mit ihm aus und war hin- und hergerissen zwischen zwei Welten: die vertraute Liebe meines Lebens, die mir doch nicht alles zu geben vermochte – oder das unbekannte Neue, ein riskanter Versuch, meinem Leben endlich eine Richtung zu geben? Thomas schöpfte Verdacht und nahm mir die Entscheidung ab. Völlig überraschend sagte er eines Morgens: «Ich gehe heute zum Bischof. Ich werde ihm sagen, dass ich meinen Beruf aufgebe, weil ich mit meiner Freundin zusammen sein will.»

Monate später spazierten wir am Strand einer Nordseeinsel entlang. Ich sah auf das Meer hinaus und spürte den Wind im Gesicht. Ich legte die Hände auf meinen Bauch und empfand ein unglaubliches Gefühl von Freiheit: In mir regte sich das neue Leben. Nach dem Geständnis hatten wir ein Gesuch auf Laisierung nach Rom eingereicht, die einzige Möglichkeit für Thomas und mich, wieder eine Arbeit zu finden. Wir heirateten im kleinsten Kreis. Die Trauung fand in einem Chalet im Wallis statt, denn in aller Öffentlichkeit wie bei normalen Trauungen durften wir nicht Ja sagen zueinander.

Verein der vom Zölibat betroffenen Frauen: www.kath.ch/zoefra
* Namen von der Redaktion geändert