Wie ist es eigentlich Hindi zu lernen?
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Nicht einfach. Nahezu unmöglich. Und dabei gehören Deutsch und Hindi zur gleichen Sprachfamilie, der indogermanischen. «Mäñ samadsch nahiñ sakti huñ» ist mein Standardsatz am Donnerstagabend in der Migros-Klubschule, wo ich zusammen mit meinem Liebsten seit einem Jahr Hindi zu lernen versuche: «Ich verstehen nicht könnend bin.» Allerdings bin ich da in bester Gesellschaft. Ein Blick in die Augen der vier jungen Hindi-Mitschüler zeigt: überall die gleichen grossen Fragezeichen. Dann kichern wir, und unsere Lehrerin, Frau Kumari aus dem nordindischen Punjab, blickt extrastreng – und beginnt noch mal von vorne.
In der ersten Lektion fragte Frau Kumari nach den Motiven, Hindi zu lernen. Ich erzählte von unseren alljährlichen Ferien im südindischen Alt-Hippieparadies Goa. Dass wir dort viele einheimische Freunde haben und später mal in Goa überwintern möchten. Da lachte Frau Kumari, und wir natürlich auch, denn dafür braucht man nun wirklich kein Hindi: Hindi ist zwar wie überall in Indien Schulfach, doch die Goaner benutzen die überregionale Amtssprache nur im Umgang mit Indern aus anderen Bundesstaaten. Und Weisse werden aus Prinzip nur englisch angesprochen. Weil Weisse, davon gehen Goaner aus, ausschliesslich so reden, wie sie aussehen. Aber Konkani, die Sprache Goas und landesweit nur eine von über 120 Sprachen, stand nun mal nicht auf dem Klubschule-Programm. Deshalb: Hindi. Und zwar einfach so, absichtslos, zum Spass!
Doch zurück zum «Ich verstehen nicht könnend bin». Nicht dass wir bisher nichts gelernt hätten. So habe ich zum Beispiel eine interessante Nuancierung im Bereich von Sein und Haben entdeckt: Auf Hindi sagt man nicht «Ich besitze Geld», sondern «Bei mir ist Geld». Ich habe mir das Geld also nicht gekrallt, sondern es ist zu mir gekommen. Auch das Prinzip der Postposition habe ich kapiert: Es heisst nicht «im Haus» oder «seit gestern», sondern «Haus im» und «gestern seit». Zudem hielten wir, Hausaufgaben sei Dank, schon ganze Vorträglein, ich zum Beispiel über meinen Job («Ich Mode von Magazin bei Arbeit machend bin»), oder über meine Ferien («Goa in jeden Abend am sehr schön Sonnenuntergang Meer hinter ist»). Auf Hindi tönen solche Sätze natürlich noch viel schräger als in der wörtlichen Übersetzung. Und doch: Hindi zu sprechen und es zu verstehen, das bleiben zwei Paar Schuhe.
Noch exotischer als beim Sprechen wirds beim Schreiben. Da kann man unser praktisches, simples Abc glatt vergessen. Hindi wird in der Devanagari-Schrift geschrieben, das Schriftbild gleicht einer Wäscheleine, an der verschiedenförmige Kringel und Strichlein hängen, von denen manche einen einzelnen Buchstaben, andere wiederum eine Silbe oder gleich ein ganzes Wort bedeuten. Ursprung ist die altindische Brahmi-Schrift, wie sie schon in vorchristlicher Zeit geschrieben wurde, als unsereins sozusagen noch Piktogramme in die Höhlenwände ritzte. Aber bevor ich mich da sprachhistorisch verheddere, halte ich mich lieber an Lehrerin Kumari, die sagt: Die Devanagari-Schrift wurde von den Göttern erfunden.
Apropos Götter: In den Sommerferien besuchten wir im Zürcher Museum Rietberg zusammen mit Frau Kumari die Ausstellung «Göttliche Verführung. Krishna in der indischen Malerei». Frau Kumari referierte: Krishna, der an seiner «Hautfarbe wie eine Gewitterwolke» auf allen Bildern leicht zu erkennen sei, habe 108 Namen, er trage immer eine Pfauenfeder und habe 16 108 Ehefrauen gehabt. Dazu eine Geliebte. Eine! «Ich verstehen nicht könnend bin», brachte ich nur noch heraus. Das soll Krishna mal ein westlicher Überirdischer nachmachen. Nicht einmal der alte Womanizer Zeus kriegte das hin. Eines jedoch ist mir jetzt klar: Hindi kann ich vielleicht tatsächlich lernen, wenn ich bis zur Bahre dranbleibe. Aber Indien verstehen? Unmöglich!
Mein Fazit nach dem ersten Hindi-Jahr: Weiterlernen. Sollte ich nämlich dereinst reinkarniert werden, was ja in Indien nie ganz auszuschliessen ist, so will ich immerhin «Hallo, hier ich Welt auf wieder bin» sagen können. Aber warten wir erst mal ab, wie es ist, wenn wir Ende November barfuss zu Munga ins «Café del Mar» schlendern oder bei Ganesh im «Seashore» die besten Nudeln Alfredo südlich des Himalaja bestellen: «Hallo, hier wir Goa in wieder sind.»
Brigitte Zaugg (56), annabelle Redaktorin, studierte einst Ethnologie und hat Kurse in Swahili, Indonesisch, Türkisch und Melanesisch-Pidgin belegt. Alles easy im Vergleich zu Hindi, findet sie.