Wie ist es eigentlich, gefeuert zu werden, weil man nicht fliegen will?
- Text: Marc Zollinger
- Bild: Stocksy
Gianluca Grimalda ist Klimaforscher und Mitglied von Scientist Rebellion. Für seinen Aktivismus riskiert der 52-Jährige weit mehr als seinen Job.
«Mein Chef stellte mir ein Ultimatum: Für eine wichtige Sitzung müsse ich in fünf Tagen in der deutschen Stadt Kiel sein, sonst werde man mir kündigen. Ich befand mich da gerade auf der Insel Bougainville in Papua-Neuguinea, auf der anderen Seite der Welt. Das wäre nur zu schaffen gewesen, wenn ich so schnell wie möglich einen Flug gebucht hätte. Reine Flugzeit nach Deutschland: 35 Stunden. Darauf konnte ich nicht eingehen. Ich bin Klimaforscher, fliege seit 13 Jahren nicht mehr; aus Prinzip.
Zwei Nächte lag ich schlaflos im Bett, viele Ängste kamen hoch: Ich bin schon über fünfzig, finde ich jemals wieder eine Stelle, wenn sie mir tatsächlich kündigen? Wie bezahle ich dann das Pflegeheim für meine demente Mutter in Italien? Ich würde meine Wohnung aufgeben müssen.
«Meine Partnerin hatte mich gerade verlassen: Weil ich nicht fliege, sei ich wegen meiner Arbeit immer irgendwo unterwegs»
Sowieso befand ich mich damals gerade in einer schwierigen Lebenslage: Auf Bougainville war ich zwei Mal von Rebellen gekidnappt worden, als ich für die Forschungsarbeit unterwegs war. Zudem hatte mich gerade meine Partnerin verlassen: Weil ich nicht fliege, sei ich wegen meiner Arbeit immer irgendwo unterwegs und nie zuhause. Mir ging es schlecht, ich hatte Kreislaufprobleme, war kurz vorher im Spital wieder aufgepäppelt worden.
Zuvor hatte mein Arbeitgeber, ein wirtschaftswissenschaftliches Forschungszentrum im deutschen Kiel, immer akzeptiert, dass ich nicht fliege. Aber ich glaube, es stiess ihnen schon länger sauer auf, dass ich an aktivistischen Aktionen gegen die Klimakrise teilnehme.
«Hätten wildfremde Leute nicht Geld für mich gesammelt, wäre ich wohl noch heute in Turkmenistan am Kellnern»
Ich bin Teil von Scientist Rebellion, einem Netzwerk von etwa tausend Wissenschafter:innen in rund dreissig Ländern. Es fordert sofortige Massnahmen zur Begrenzung der Klimakrise und führt dazu Protestaktionen durch. Ich hatte mich unter grossem Medienecho in einem Porsche-Showroom zwischen Luxusautos festgeklebt und mich am Mailänder Flughafen an Privatjets gekettet.
Als ich dann tatsächlich die Kündigung erhielt, machte ich die Sache auf Social Media publik – und löste damit eine enorme Welle aus. Internationalen Medien nahmen die Geschichte auf. Ich befand mich da gerade auf dem Rückweg. Siebzig Tage dauerte die Reise mit Schiff, Zug und Bus. Ich brauchte unterwegs mein ganzes Erspartes auf. Hätten wildfremde Leute nicht Geld für mich gesammelt, wäre ich wohl noch heute in Turkmenistan am Kellnern. Die Solidarität hat mich sehr beeindruckt und beglückt. Bald schon erreichten mich aus heiterem Himmel Stellenangebote.
«Mein Vater warf mir vor, ich hätte den Namen der Familie entehrt»
Als ich nach der langen Rückreise wieder zuhause in Deutschland war, entpuppte sich das Wiedersehen mit meinem Vater als schwierig. Ich hätte den Namen der Familie entehrt, warf er mir vor.
Mein Vater war früher Fabrikarbeiter bei einem Autohersteller, heute schaut er den ganzen Tag Berlusconi-Fernsehen, das Klimaaktivist:innen als Kriminelle betitelt. Doch ich liebe meinen Vater, seine Meinung ist mir wichtig. Dieser Zwist beschäftigt mich noch mehr, als es die Ängste taten, die nach der Kündigungsandrohung aufkamen.
Und trotzdem: Ziehe ich Bilanz, muss ich meinem Chef schon fast dankbar sein. Das Echo war enorm und hilft der Sache, die mir so wichtig ist.»