Zeitgeist
Wie ist es eigentlich, ein Tiktok-Star zu sein?
- Text: Jana Schibli
- Bild: Instagram/diana_mengyan
Diana Mengyan (30) aus Biel erzählt, wie es ist, auf Social Media erfolgreich zu sein – und was der Nachteil an Tiktok ist.
«Ich dachte immer, Tiktok sei eine Plattform ausschliesslich für Teenager und bloss voller Tanzvideos. 2020 – ich war in Kurzarbeit und gelangweilt – versuchte ich mich dann auch an einem solchen Tanzfilmchen. Es wurde nur einige hundert Male angeschaut, was wenig ist für ein Portal mit einer Milliarde Nutzer:innen weltweit.
Mein erstes virales Video war eines, in dem ich mich beim Kochen filmte. Über Nacht hatten 300 000 Menschen zugeschaut, wie ich Sushi machte. Und bald schon waren es über eine Million.
Ich bin überzeugt, dass es nur so beliebt war, weil ich das Sushi falsch zubereitete – mit schweizerischer statt japanischer Mayonnaise. Die Kommentierenden waren so wütend auf mich! Aber ich merkte, dass da etwas dran ist am Kochen auf Tiktok. Und machte weiter.
Meine Videos sind ganz einfach: Ich komme am Abend nach der Arbeit zur Tür rein, nicke leicht zur Seite, bleibe kurz stehen, um mein Outfit zu zeigen, schliesse die Tür und koche Abendessen. Meist ist es chinesisch oder davon inspiriert, etwa Tofu, Dumplings oder Vermicelli-Nudeln mit Knoblauchshrimps. Zu Beginn der Pandemie konnte ich ja nicht meiner Arbeit als Verkäuferin in einer Omega-Boutique nachgehen, also zog ich mich da extra für das Filmen an. Ich glaube aber, dass es genau diese Routine war, die mir und meinen mittlerweile 1.4 Millionen Followern durch eine ungewisse Zeit half.
«Tiktok kann wie Gift sein. Es macht süchtig und raubt Zeit. Trotzdem ist es mein Ziel, Vollzeit als Content Creator zu arbeiten»
Zwei Jahre zuvor, mit 26, war ich der Liebe wegen in die Schweiz gezogen, nach Biel. Ich hatte meinen heutigen Ehemann während seines Austauschsemesters in meiner Heimatstadt Hangzhou kennengelernt. In Biel war alles neu und ungewohnt; ich sprach kein Französisch und hatte keine Freund:innen. Ich war deprimiert. Chinesisches Essen war meine Erinnerung an Zuhause, doch wirklich authentisches findet man in der Schweiz nicht. Also begann ich, selbst zu kochen. Das spendete mir Trost. Die Rezepte meines Vaters sind die Basis vieler meiner Tiktok-Videos.
Seit ich über 100 000 Follower habe, muss ich keine Kleider oder Make-up mehr kaufen, so viel wird mir von Marken wie Revolve oder YSL zugeschickt. Mittlerweile könnte ich von meinen Einkünften leben, die vorwiegend von Sponsoring-Deals kommen, etwa mit der Migros. Trotzdem arbeite ich noch Vollzeit bei Omega.
Ich werde oft erkannt – in Zürich und in Biel, auf der Strasse und im Supermarkt. Sogar mit Maske. Einige sind zu schüchtern, um mich anzusprechen. Andere fragen nach Selfies. Es ist kein komisches Gefühl, sondern bereitet mir jedes Mal Freude. Jungen Menschen, die mich fragen, wie sie auf Social Media erfolgreich sein können, sage ich immer dasselbe: Sei du selbst. Finde deine Nische und du wirst durchstarten.
Tiktok kann wie Gift sein. Es macht süchtig und raubt Zeit. Trotzdem ist es mein Ziel, Vollzeit als Content Creator zu arbeiten. Ich liebe es, wenn meine Follower meine Gerichte nachkochen und es in ihren Instagram-Stories oder in den Kommentaren mit mir teilen.
Es ist toll, dass ich ihnen etwas beibringen kann. Ich kann ganz ich selbst sein, kann Kochen und Mode kreativ kombinieren. Langweilig wird mir nie. Und das, obwohl ich den Ablauf in meinen Videos immer genau gleich lasse: Tür auf, nicken, Tür zu, Abendessen kochen. Meine Follower und der Algorithmus mögen es so.» – Diana Mengyan (30), Biel