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Wie ist es eigentlich, ein Fotoengel zu sein?

Wie ist es eigentlich, ein Fotoengel zu sein?

  • Aufgezeichnet von: Jessica Prinz; Bild: Sheila Lang

Der Verein Herzensbilder schickt Fotografinnen und Fotografen zu Familien mit schwerkranken Kindern oder Sternenbabies. Sheila Lang ist einer dieser Fotoengel und erzählt, wie es ist, sehr kranke oder tote Kinder zu fotografieren.

Wenn ich ins Spitalzimmer komme, begrüsse ich als Erstes das Baby. Ich sage dem kleinen Schatz Hallo, gehe zu ihm hin, streichle ihm über die Wange oder die Händchen. Ich glaube, es ist wichtig, den Eltern zu zeigen, dass ich das Baby nicht einfach als Objekt sehe sondern als Menschen respektiere. Ich drücke den Eltern mein Mitgefühl aus, sage ihnen, wie leid es mir tut, dass sie diesen unglaublichen Schmerz erleben und durchstehen müssen. Manchmal umarmen wir uns, auch wenn wir uns noch keine fünf Minuten kennen. Ich weine oft mit ihnen, bevor wir anfangen, Fotos zu machen.

Eigentlich entstand das durch Zufall, dass ich für Herzensbilder.ch fotografiere. Ein Paar, dessen Hochzeit ich fotografierte, bekam das dritte Kind. Ich begleitete die Familie schon während der Schwangerschaft monatlich mit Bildern, machte auch die Bilder für die Geburtsanzeigen. Nach der Geburt wurde klar, dass das Kind leider nicht gesund ist. Man wusste nicht, ob es überleben wird. Im Spital wurde die Familie auf Herzensbilder.ch aufmerksam gemacht. Ihnen gefiel die Idee, und sie wollten Fotos von ihrem schwer kranken Kind, die ich machen sollte. So wurde ich zum Fotoengel. Mittlerweile habe ich 17 Einsätze für Herzensbilder.ch gemacht, an jeden einzelnen kann ich mich erinnern – Sternenbabies, schwerkranke Kinder, Urnenbeisetzungen.

Die Einsätze bei Sternenbabies, also bei Kindern, die vor, während oder nach der Geburt sterben, sind immer sehr schwierig. Ich weiss nie, was mich erwartet und bin dementsprechend nervös. Es gibt zwar gewisse Vorgaben, die erfüllt sein müssen, damit wir kommen. Zum Beispiel muss das Baby angezogen sein und das Bettchen sauber. Solche Dinge werden abgeklärt, bevor ich als Fotografin aufgeboten werde. Trotzdem spreche ich vorher noch mit der Hebamme, frage, wie das Baby aussieht und ob die Eltern auf den Tod ihres Kindes vorbereitet waren. Die Nervosität verfliegt dann schnell, denn anders als bei Hochzeiten stehe ich hier überhaupt nicht unter Druck, alles perfekt zu machen. Es geht für diese Familien nicht um Perfektion, sondern darum, festzuhalten, dass sie Eltern von Sternenbabys sind.

Obwohl es oft die ersten und letzten Bilder eines Babys sind, die ich mache, kommt es nicht darauf an, ob die Bilder optimal ausgeleuchtet sind. Man macht das Beste aus der Situation, und das wissen die Eltern. Ich schraube an der Kamera, damit es irgendwie ohne Blitz geht, fotografiere Details – das Näschen, die Hände, damit man die Maschinen im Hintergrund nicht sieht. Mit Tüchern und Fellen probiere ich, die Spitalstimmung ein wenig zu verbergen. Erst kürzlich durfte ich eine Kollegin coachen, die vor ihrem ersten Einsatz stand. Sie stellte mir tausend Fragen, und ich sagte ihr nur: Herz einschalten, Kopf ausschalten und einfach machen. Es gibt kein Richtig oder Falsch in so einer Situation. Man darf weinen, muss nicht die Starke spielen. Das macht einen auch greifbar und authentisch und schafft das Vertrauen, das bei diesen Bildern unbedingt nötig ist.

Nach einem Einsatz gehe ich immer in eine Kapelle, zünde ein paar Kerzen an und sitze einfach ein wenig da, um zur Ruhe zu kommen. Ich bin nicht gläubig, aber das tut mir gut. Ich denke an die Familie und das Baby und auch an meine eigenen drei gesunden Kinder. So ein Erlebnis relativiert alles wieder extrem, und ich bin dankbar für alles, was ich habe. Wenn ich zuhause bin, muss ich den Einsatz grad abschliessen, damit ich mich ein wenig abgrenzen kann. Ich muss mir oft sagen: Es ist nicht mein Kind, es ist nicht meine Geschichte. Das klingt vielleicht kalt, aber schützt mich ein wenig. Ich schreibe sofort meinen Einsatzbericht und bearbeite die Fotos – was sehr aufwendig ist, da sich teilweise die Haut schon ablöst oder die Lippen dunkel verfärben. Die Bilder sollen jedoch möglichst würdevoll und respektvoll sein. 

Wir sind keine Trauerbegleitung, auch wenn die Eltern uns manchmal so sehen. Denn oft ist es so, dass niemand ausser dem Pflegepersonal und den Eltern selbst das Kind sieht. Es gibt Eltern, die klammern sich dann an diese Personen. Ich finde es deshalb wichtig, dass ich mich nach einiger Zeit wieder bei den Eltern melde. Jedes Jahr schicke ich ihnen eine Karte, eine Kerze oder sonst eine kleine Aufmerksamkeit, einfach, damit sie wissen, dass ich an sie denke. Dass da jemand ist, der sie versteht, an ihr Sternenbaby denkt und es nicht einfach vergessen hat.

Manche Eltern können die Bilder, die ich ihnen gebe, ganz ganz lang nicht ansehen. Sie wissen, wir haben Erinnerungsbilder, sie sind aber noch nicht bereit, sie zu sehen. Wenn ich diese Babies anschaue, habe ich immer das Gefühl, das sind alte Seelen. Die hatten schon einen Grund, warum sie hier waren und wieder gehen mussten. Es herrscht eine Ruhe um sie herum. Irgendwie sind das dann ganz besondere Momente, die auch etwas Schönes haben.

 

Sheila Lang arbeitet seit vier Jahren für den Verein Herzensbilder.ch. Gegründet wurde er von Kerstin Birkeland. Ihr Sohn Till starb vor acht Jahren an einem Hirntumor, gegen den die Familie vier Jahre lang gekämpft hatte. Nach Tills Tod merkte die Familie, dass ihr von den vier Jahren der Krankheit wichtige Fotos fehlten – Familienfotos. Durch die Gründung von Herzensbilder.ch will Birkeland anderen Familien ebensolche Bilder schenken. Alle Fotografinnen und Fotografen sowie Stylistinnen arbeiten ehrenamtlich, der Verein ist auf Spenden aller Art angewiesen. Infos: herzensbilder.ch.