Leben
Wie ist es eigentlich, ein Altersheim für Papageien zu führen?
- Aufgezeichnet von Tina Huber; Foto: SXC
Marcel Jung (50), Tierheimleiter aus Dicken, St.Gallen, erzählt, wie es ist ein Altersheim für Papageien zu führen.
In meinem Dorf sagen sie, der hat einen Vogel, der passt auf seinen Papageienhof. Sie haben natürlich recht. Dabei hätte ich nie gedacht, dass ich einmal ein Altersheim für Papageien führen würde. Früher, als ich noch Plättlileger war, mochte ich zwar Tiere, aber mehr so Katzen und Hunde, wie jeder normale Mensch halt. Und dann kam Pepita. Ein Gelbbrustara, gross und farbig; ich sah sie zum ersten Mal vor zwölf Jahren in einer Zürcher Wohnung, während der Arbeit. Vom ersten Moment an war sie sehr zutraulich, obwohl ihre Besitzerin meinte, dass Pepita Männer eigentlich nicht möge. Zwei Wochen später rief die Frau an, ich könne den Papagei haben, sie wolle ihn nicht mehr.
Ich fuhr sofort hin und holte Pepita ab. Zuhause brachte ich sie erst mal in die Waschküche, weil ich nicht wusste, wohin mit ihr. Ich hatte keine Ahnung von Papageien. Damals war ich noch verheiratet, und ich hatte meiner Frau nichts von Pepita erzählt. Bis nach draussen hörte ich den Schrei meiner Frau, als sie Wäsche machen wollte und den Papagei erblickte. Kurz darauf liessen wir uns scheiden. Nicht nur, aber sicher auch wegen Pepita. Denn für mich gab es von da an nichts mehr ausser Papageien.
Ich kaufte Pepita einen Partner, dann kam noch ein Papagei dazu – so fing alles an. Als ich wenig später wegen einer Zwerchfelllähmung für arbeitsunfähig erklärt wurde, beschloss ich 2004, eine Auffangstation für Papageien zu eröffnen.
Heute leben hier über 150 Papageien. Sie bleiben bei mir, bis sie sterben, denn ich gebe keinen von ihnen weg. Dafür sind sie mir zu kostbar. Und viele Papageien finden bei mir einen neuen Partner. Die wären todunglücklich, würden sie wieder auseinandergerissen. Papageien bleiben ihrem Partner ein Leben lang treu. Aber sie sind sehr wählerisch. Ich spüre in der ersten Sekunde, ob es zwischen zwei Vögeln harmoniert. Bei der Partnersuche spielt bei ihnen übrigens weder Geschlecht noch Rasse eine Rolle. Einmal verliebte sich bei mir ein Ara in einen Wellensittich. Die hörten nicht mehr auf miteinander zu schätzele.
Pepita ist momentan solo, weil ihr Partner gestorben ist. Ich habe ihr einen Papagei vorgestellt, doch den wollte sie nicht. Nicht mit dem Hintern angeschaut hat sie ihn. Nun habe ich einen anderen Papagei für sie im Auge. Pepita ist eine ziemliche Zicke und er ein Kämpfer, das könnte passen.
Mein ältester Papagei heisst Gurki und ist 86 Jahre alt. Sein ganzes Leben lang hat er bei einer Dame gelebt. Als sie ins Altersheim musste, kam er zu mir. So erging es den meisten Papageien hier. Allzu lange hat Gurki wohl nicht mehr zu leben. Seit sein Partner gestorben ist – der war auch schon Ende siebzig –, ist Gurki nicht mehr derselbe. Er hat stark abgebaut. Da geht es den Papageien nicht anders als uns. Ich glaube, Papageien können auch senil werden. Ich habe jedenfalls einen, der manchmal sinnlos vor sich hin schreit.
Einen Lieblingspapagei habe ich nicht, das ist irgendwie schwierig. Klar, wenn mich Chico sieht, dann sagt er jedes Mal «Hoi Bappe». Und ich sage «Ist schon gut, der Bappe ist hier». Zu Pepita habe ich natürlich auch ein besonderes Verhältnis. Aber für mich sind alle Papageien gleich viel wert. Und ich möchte sie nicht vermenschlichen. Es sind trotz allem Wildtiere.
Manche denken vielleicht, so einer wie ich habe kein Sozialleben. Das stimmt aber überhaupt nicht, ich bin ein offener Mensch, habe viele Freunde und Bekannte und gehe gern aus. Gut, ich bin schon ein Exot hier in der Gegend. Ich wohne auf dem Land in einem Dorf mit 350 Einwohnern, da ticken die Leute ein bisschen anders. Als ich nach der Scheidung auch noch eine Beziehung mit einem Mann einging, wurde schon viel getuschelt. Aber das hat mich nie gestört. Und heute ist das alles kein Thema mehr.
Ich glaube, jeder hat eine Aufgabe im Leben, und meine Aufgabe ist es, mich für die Papageien einzusetzen. Das macht mich glücklich. Ich möchte so lange weitermachen, bis es nicht mehr geht. Hier muss man mich raustragen, sage ich immer.