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Wie ist es eigentlich, auf der Autobahn einer Kuh zu begegnen?

Wie ist es eigentlich, auf der Autobahn einer Kuh zu begegnen?

  • Bild: Getty ImagesAufgezeichnet von Anina Frischknecht

Dunja Widmer, Hausfrau aus Oberrüti (AG) erzählt, wie es ist, plötzlich auf der Autobahn einer Kuh zu begegnen. 

Meldungen von Tieren auf der Autobahn habe ich meistens überlesen. Seit ich aber Teil einer dieser Kurzmeldungen war, stechen sie mir ins Auge. In einem Klarsichtmäppchen habe ich die Zeitungsschnipsel meiner Kurzmeldung gesammelt. «Am Sonntagmorgen ist eine Kuh auf der Autobahn A 2 in der Nähe der Raststätte Neuenkirch LU spaziert. Ihr Ausflug fand bald ein Ende: Zwei Automobilisten banden sie mit Seilen an den Leitplanken fest.» Wenn ich jetzt diese Meldung lese, erscheint es mir seltsam, wie kurz und knapp sie ausgefallen ist. Meine Familie und mich hat die Geschichte zwischen den Zeilen einen ganzen Sonntag gekostet.

Wir fuhren auf der Autobahn in Richtung Nottwil, wo meine Schwägerin ihren Geburtstag feierte. Wir waren etwa seit einer halben Stunde unterwegs, mein Mann fuhr, die Kinder sassen auf dem Rücksitz. Ich bin eine aufmerksame Beifahrerin, zurücklehnen und einschlafen würde ich nie. Ich vertraue meinem Mann, zumindest was das Fahren anbelangt, aber vier Augen sehen mehr als zwei.

Die Kuh sahen mein Mann und ich gleichzeitig. Sie trottete in Fahrtrichtung auf dem Pannenstreifen. Mein Mann und ich handelten, ohne uns abgesprochen zu haben. Er überholte die Kuh und parkierte das Auto in sicherer Entfernung auf dem Pannenstreifen. Es war Sonntagmorgen, 8 Uhr 30, und die Autobahn zum Glück leer.

Während mein Mann das Auto absicherte, sprang ich aus dem Auto und näherte mich der Kuh, die inzwischen auf das steile Stück Wiese hinter der Leitplanke gelaufen war. Dass sie verstört war, habe ich an ihren Augen erkannt. Die zuckten nervös. Ich habe leise auf sie eingeredet und versucht, sie so zu beruhigen. Was ich machen würde, wenn sie sich beruhigt hatte, wusste ich nicht. Ich hatte keinen Plan. Den hab ich dann auch nicht mehr gebraucht, denn plötzlich ist alles ganz schnell gegangen. Aus den Augenwinkeln habe ich noch gesehen, wie mein Mann mit einem Seil in der Hand über die Leitplanke stieg. Im nächsten Moment macht die Kuh einen Satz und stürmt auf ihn los. Ich konnte nur dastehen und zusehen. Mein Mann wich zurück, und dann ist die Kuh auf dem steilen Wiesenbord ausgerutscht und umgefallen. Mit dem Rücken an der Leitplanke blieb sie schockstarr liegen. Ihre Augen waren entsetzt geweitet, ihre Atmung ging schnell. Wir nutzten den Moment, und ich wickelte das Seil einmal um ihr Halsband und einmal um die Leitplanke, sodass mein Mann zusammen mit einem weiteren Autofahrer, der inzwischen dazugekommen war, die Kuh festhalten konnte. Dann schien die Situation unter Kontrolle, und ich setzte mich kurz zu meinen Kindern ins Auto.

Sie sassen mit dem Rücken zum Geschehen und haben deshalb nicht viel mitbekommen. Nur meine vierjährige Tochter hat sich anscheinend genau in dem Moment umgedreht, als die Kuh auf meinen Mann losgegangen war, und war besorgt um ihren Papa. Ich erklärte unseren Kindern, dass sich das Tier verirrt hätte und jetzt grosse Angst hätte. Und dass Mama und Papa ihr helfen wollten, wieder nachhause zu kommen. Um meine Kinder hatte ich draussen bei der Kuh keine Sekunde lang Angst. Ich weiss, wie gefährlich der Pannenstreifen ist. aber die Kinder wissen auch, dass sie sich erst abschnallen dürfen, wenn wir am Ziel angekommen sind. In dieser Hinsicht ist mein Mann, ein Polizist, streng. Die Kindersicherung ist immer fixiert, und die Autobahn war so früh am Morgen fast leer.

Auch habe ich nicht daran gedacht, dass mir und meinem Mann etwas passieren könnte. Wir sind beide Mitglied der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft. Und während der Zeit bei der SLRG habe ich die Handlung bei einer Rettung automatisiert. Ich weiss, dass beim Nachdenken wertvolle Zeit vergeudet wird. Ob ich nun eine Kuh oder einen Menschen rette, ist nicht relevant. Die Kuh bekam später von einem Tierarzt eine Beruhigungsspritze und wurde sicher nachhause transportiert. Der Veterinär sagte uns, sie sei trächtig. Mit einiger Verspätung fuhren wir an die Geburtstagsparty meiner Schwägerin – und lieferten dort das Thema des Tages. Ein paar Wochen später, als das Kalb «unserer» Kuh auf der Welt war, besuchten wir sie. Ihr Name ist Fabienne.