Wie ist es eigentlich, als Mann bei einem Frauenmagazin?
- Text: Frank Heer
Reporter und Redaktor Frank Heer erzählt, wie es als Mann ist, beim Frauenmagazin annabelle zu arbeiten.
Fantastisch. Meine Anstellung bei der Zeitschrift, die Sie gerade in den Händen halten, hat aus mir einen besseren Menschen gemacht. Ich bin heute klüger, entspannter, bedachter, freier, taktvoller und zufriedener, als ich es jemals war. Und ich kleide mich besser (auch das ist eine menschliche Qualität!).
Früher war ich Kulturredaktor bei einem Schweizer Nachrichtenmagazin, das von Männern gesteuert und kommandiert wurde, die sich in ihren Rollen gefielen. Natürlich gab es auch ein paar Frauen, doch die müssen sich wie auf einer Ölplattform in der Nordsee gefühlt haben. Als die Bohrinsel wegen fehlender Visionen sank, rettete ich mich mit einem Sprung ins Wasser und bewarb mich als Reporter bei annabelle. Eine Zeitschrift, die ich noch nie im Leben aufgeschlagen hatte. Trotzdem bekam ich die Stelle. Erst viel später habe ich den ausschlaggebenden Grund dafür erfahren: weil man mich netter fand als meinen Mitbewerber. Hm. Da hatte ich mir etwas auf mein Handwerk eingebildet, nur um festzustellen, dass Nettigkeit ein Kriterium ist. Hatte ich auf der Bohrinsel ganz vergessen.
In der Tat fühlten sich die ersten Monate bei annabelle sehr flauschig an. Ich sass an meinem Pult, strich mir übers Kinn und dachte: Wie schön. Alle so hübsch angezogen. Alle so freundlich und wohlriechend. Kein zynisches Arschloch und keine anderen natürlichen Feinde weit und breit. Klar, man gewöhnt sich an alles, selbst ans Paradies. Das hat auch Vorteile. Mit der Zeit verschluckte ich mich zum Beispiel nicht mehr jedes Mal, wenn meine neuen Freundinnen beim Mittagessen Frauenquote, Waffeninitiative oder Kinderbetreuung im selben Atemzug diskutierten wie Menopause oder Intimrasur. Irgendwann war ich einfach eine von ihnen.
Doch selbst ein Wolf im Schafpelz muss wissen, dass er unter ständiger Beobachtung steht. Im Unterschied zur Quotenfrau auf der Ölplattform merkt ein Mann auf einer Frauenredaktion nämlich nicht, dass er gemustert wird. Vielleicht liegt es daran, dass Frauen ihr Augenmerk auf so seltsame Dinge wie Unterarme, Fingernägel oder Knopflöcher richten. Dinge also, die Männern als unwichtig erscheinen. Und sie legen Wert auf Ritterlichkeit: Tür aufhalten, Vortritt zum Lift gestatten, Komplimente machen. So wurde aus mir nicht nur ein besserer Mensch, sondern auch ein besserer Mann. Nicht weil ich anfing, mich besser anzuziehen (das kann jeder), sondern weil ich lernte, ein Gentleman zu sein.
Als mir die Reportagechefin offenbarte, «du schreibst jetzt viel besser als früher», war ich mir erst nicht sicher, ob ich mich gekränkt oder gebauchpinselt fühlen musste. Ich verglich meine alten Texte mit neueren Arbeiten – und tatsächlich, da war etwas passiert. Ich schrieb nun nicht mehr wie ein kleiner Matrose, der in Worte fasst, was in der Führungskabine der Ölplattform beschlossen wird, sondern wie ein denkender Mensch. So wurde aus mir nicht nur ein besserer Mann, sondern auch ein besserer Journalist. Warum? Weil der Arbeitsplatz meinen Horizont erweiterte. Und weil ich das Privileg geniesse, mit den besten, leidenschaftlichsten, befugtesten und visionärsten Profis – Frauen wie Männer! – alle zwei Wochen ein Magazin von Weltklasse auf die Beine zu stellen. Unsere GrafikerInnen, ProduzentInnen, KolumnistInnen, VerlagsmitarbeiterInnen, RezensentInnen, RedaktorInnen, JournalistInnen, FotografInnen, ReporterInnen, SekretärInnen und KorrektorInnen bilden das Team, von dem Verleger träumen. Hätte diese Crew die Ölplattform gekapert, gäbe es sie womöglich heute noch. Frauen machen nun mal den Unterschied.