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Wie ist es eigentlich, als Bergführerin Höhenangst zu haben?

Leben

Wie ist es eigentlich, als Bergführerin Höhenangst zu haben?

Ihr Leben lang litt Michaela Egarter (48) unter starker Höhenangst. Bis sie der Ehrgeiz packte und sie beschloss, sich ihrer Angst zu stellen.

Als Kind gab es für mich nichts Schlimmeres als die Höhe. Ich bin in Südtirol mitten in den Bergen aufgewachsen und war ständig draussen unterwegs. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, auch nur auf einen Baum zu klettern. Ich schaute höchstens den anderen dabei zu. Einmal haben wir mit der Schule den Kirchturm im Dorf besichtigt. Während meine Mitschüler:innen die Aussicht bestaunten, sassen ich drinnen auf der Treppe. Nichts lag mir ferner, als jemals einen Berg zu besteigen.

Dennoch kam ich durch meinen ersten Freund mit dem Klettern in Berührung. Er nahm mich ein paar Mal mit, ich litt Todesängste – und gab meine Kletterversuche sehr schnell wieder auf. Ich wurde Krankenpflegerin und kam Jahre später, wiederum durch einen Partner, zurück zum Klettern. Doch diesmal packte mich der Ehrgeiz. Diesmal wollte ich es unbedingt schaffen. Diesen Willen braucht es auch, wenn man sich einer Phobie stellt.

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«Je mehr Routine ich bekam, desto kleiner wurde die Angst»

Indem ich mich meiner Angst immer und immer wieder ausgesetzt habe, bekam ich sie schliesslich in den Griff. Aber es war hart. Das erste Mal in einen sogenannten Kamin zu steigen, bei dem man zwischen zwei Steilwänden hochklettert und unter sich den Abgrund sieht, brauchte wahnsinnig viel Überwindung. Aber ich blieb dran, und je mehr Routine ich bekam, desto kleiner wurde die Angst. Was mir dabei immer wieder half, waren Atemtechniken, die mir bis heute nützlich sind.

Nachdem ich das erste Kletterjahr «überlebt» hatte, war ich zwar nicht mehr mit meinem Freund zusammen, aber meine Höhenangst war weg. Von da an war Klettern für mich ein wichtiger Ausgleich zum Alltag. Als wir in der Familie dann völlig überraschend einen Krankheitsfall hatten, liess ich mich bei der Arbeit freistellen, um gemeinsam mit meiner Mutter die Pflege zu übernehmen. Nach zwei Jahren hätte ich wieder ins Spital zurückkehren müssen, doch ich konnte mir das nicht mehr vorstellen.

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«Im Gegensatz zu Männern wissen Frauen oft nicht, was in ihnen steckt. Dabei sind Frauen viel zäher»

Ein Freund wollte die Ausbildung zum Bergführer beginnen und schlug mir vor, mich ihm anzuschliessen. Ich meldete mich kurzentschlossen zur Aufnahmeprüfung an – und bestand. Nach drei Jahren war ich die erste Frau, die in Südtirol Bergführerin wurde. In meiner Ausbildungszeit hatte ich nie das Gefühl, dass ich anders behandelt worden wäre als die Männer. Ich hatte genau die gleichen Anforderungen zu erfüllen und das ist auch gut so. Die Verantwortung, die man trägt, ist schliesslich auch die gleiche. Zu Beginn gab es aber durchaus Kollegen, die einer Frau als Bergführerin sehr skeptisch gegenüberstanden. Deren Respekt musste ich mir erst erarbeiten.

Heute ist das kein Thema mehr. Seit fast zehn Jahren führe ich Gäst:innnen am Berg, biete Skitouren und Kurse nur für Frauen an. Viele Anfängerinnen würden sich in gemischten Gruppen nie an eine Klettertour getrauen. Im Gegensatz zu Männern wissen Frauen oft nicht, was in ihnen steckt.

Dabei sind Frauen viel zäher und teilen ihre Kräfte meist besser ein. Gerade wenn Gäst:innen dem Klettern ängstlich gegenüberstehen, ist meine frühere Höhenangst ein Vorteil. Ich kann mich gut in sie einfühlen und ihnen besser aus der Angst heraushelfen, zum Beispiel mit meinen Atemtechniken. So gesehen hatte meine eigene Höhenangst tatsächlich auch etwas Gutes. – Michaela Egarter ist Bergführerin in Niederdorf, Italien.

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