Ich bin eigentlich nie gern ins Büro gegangen. Fünfzehn Jahre lang habe ich für eine Aktienfondsgesellschaft gearbeitet. Einer von 2000 Mitarbeitern, top Altersvorsorge, gut bezahlt. Interessiert hat mich der Job inhaltlich nie besonders – Buchhaltung, Meldewesen, Fonds-Preisberechnungen. Mein Vater hat damals zu mir nur gesagt: «Sohn, mein Job hat mir auch nicht gefallen, aber ich habe mir meinen Ausgleich in der Familie gesucht.» Dass sein Weg nicht meiner war – schade eigentlich. Nachdem ich für den nächsten Karriereschritt auserkoren worden war, setzten mich die neuen Anforderungen so unter Druck, dass ich anfing, meine Überforderung mit Kokain und Alkohol zu kompensieren.
Dann krachte das ganze Kartenhaus zusammen: Ich checkte in eine Entzugsklinik ein und unterschrieb nicht viel später den angebotenen Auflösungsvertrag. Meine Freundin und ich trennten uns, ich tauschte die grosse Altbauwohnung gegen ein Einzimmer- Apartment – und schmiss die ganzen teuren Anzüge und Krawatten in die Altkleidersammlung. Heute gehe ich mit Jeans und T-Shirt zur Arbeit. Dass ich seit nunmehr vier Jahren als Kleinkindererzieher in einer Kindertagesstätte arbeite, habe ich vor allem meinen Freunden zu verdanken. Die meinten: Mach doch was mit Kindern. Ich hatte schon im Zivildienst im Kindergarten gearbeitet und wusste, dass mir das Spass macht.
Sören (46) aus Hamburg«Manchmal habe ich noch Probleme damit zu sagen: Ich bin Erzieher»
Momentan muss ich im Rahmen der Ausbildung wieder zur Schule gehen. Davor hatte ich Respekt. Früher war ich in der Schule nicht sonderlich gut und ich hatte Angst, wieder etwas lernen zu müssen, was mich nicht wirklich interessiert. Jetzt aber sauge ich alles auf, meine Motivation ist eine ganz andere. Manchmal habe ich noch Probleme damit zu sagen: Ich bin Erzieher. Klingt einfach nicht so gut wie: Ich bin im Finanzsektor. Dabei weiss ich, dass das allen in meinem Umfeld egal ist, aber das sind halt die Werte, mit denen ich aufgewachsen bin. Dabei bedaure ich bei genauerem Nachdenken den Statusverlust gar nicht und komme auch gut klar damit, dass ich so viel weniger Geld verdiene als früher.
Ich bin dankbar, dass mir dieser zweite Weg offengestanden hat. Klar habe auch ich nicht plötzlich jeden Tag Lust, zur Arbeit zu gehen. Auf die Kinder aber freue ich mich immer. Auch wenn es manchmal anstrengt, dass man schon beim Betreten der Kita zwei Kids an den Beinen hat, sind die Kleinen einfach der Hammer. Und wenn mich wieder mal eines «Papa» nennt oder Eltern mir erzählen, wie problematisch es ist, die Kleinen abzugeben, wenn ich frei habe, ist das für mich die schönste Bestätigung. Da freut sich jemand von ganzem Herzen, dass ich da bin. Nicht weil man in mir den Leistungsträger sieht. Es geht einfach um mich als Menschen.