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Wie Frauen bauen: So prägen Architektinnen die Städte

Wie Frauen bauen: So prägen Architektinnen die Städte

Ein neues Buch zeigt, wie anders Architektinnen die Städte sehen und prägen als männliche Planer: Die Autor:innen Katja Schechtner und Wojciech Czaja im Interview.

annabelle: Städteplanung – das klingt so abstrakt, nach Strassennetzen und Gewerbezonen.
Katja Schechtner: Betrachten Sie etwa ein in der Stadt angelegtes Blumenbeet. Eigentlich ein Wunder: Tausende Menschen gehen da täglich dran vorbei, ohne Tulpen oder Rosen auszureissen. Nicht aus Angst, dabei erwischt zu werden. Vielmehr entsteht automatisch ein Verständnis dafür, dass nach mir noch jemand kommt und sich am Anblick erfreuen soll. Solche Details sind es, die die besondere Qualität von Städten ausmachen.

Ihr neues Buch «Frauen Bauen Stadt» geht davon aus, dass sich die männliche und die weibliche Herangehensweise an den Städtebau unterscheiden. Worin bestehen die Unterschiede?
Wojciech Czaja: Wenn man einen Unterschied festmachen will, dann können wir aus Beobachtung sagen: Der weibliche Blick nimmt die Stadt bis heute nicht als Transit, sondern als öffentlichen Raum mit gewissen Verweilqualitäten wahr.

Schechtner: Das hängt mit der Ausdifferenzierung von Lebenswelten des 20. Jahrhunderts zusammen. Damals trennte man Wohnen und Arbeit. Es war städtebaulich vernünftig, nicht mehr beide Lebensmittelpunkte in dreckigen, ungesunden Stadtteilen zu bündeln. Dadurch geriet der Arbeitsweg in den Fokus, und damit bald das Auto als favorisiertes Beförderungsmittel. Da damals grossmehrheitlich Männer berufstätig waren, ist es ihnen zu verdanken, dass die Städte auf das Auto ausgerichtet wurden.

Und wie haben Städteplanerinnen dieses Bild beeinflusst?
Schechtner: Sie brachten Balance. Verkehrsteilnehmer:innen, die im Laufe des Tages differenziertere Wege haben, als vom Zuhause zur Arbeit zu kommen – etwa Arztbesuche erledigen, Kinder spazieren fahren und einkaufen gehen –, wollen Verkehrswege, die auch Aufenthaltsorte sind. Wo man sich ausruhen kann, im Gespräch bleibt und sitzen darf ohne Konsumationszwang.

Können Sie Beispiele nennen?
Schechtner: Der Zina-Dizengoff-Platz in Tel Aviv, gebaut von Genia Averbuch. Sie war erst 25 Jahre alt, als sie 1934 am Wettbewerb zur Gestaltung des Platzes mitmachte und den Auftrag bekam. Sie entschloss sich, den runden Platz mit den Gebäuden ringsherum zusammen zu denken. Mit Parterrezonen, in denen sich Cafés und Geschäfte befanden, mit Balkonvorsprüngen darüber, die Schatten warfen und den Platz wunderschön fassten.

Ohne Autos?
Schechtner: Doch, mit einem Kreisverkehr. Der aber stand nicht im Mittelpunkt. Der Platz hat super funktioniert und wurde zu einem zentralen Treffpunkt Tel Avivs. Dann aber starb Averbuch, es waren die 1970er-Jahre, und was geschah? Alles wurde umgebaut, die Autos auf der Grundebene priorisiert und die Menschen ins obere Stockwerk hinaufgeschickt, in eine Art Betonschale, die im Sommer wahnsinnig heiss wurde. Es war ein Platz, der sich als nicht nachhaltig und sozial nicht wirklich funktional herausstellte.

Was passierte damit?
Schechtner: Vor Jahren kam es zur grossen Überraschung. Die Menschen erinnerten sich an den Platz, es formierte sich eine Initiative, und 2018 wurde der Dizengoff-Platz wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt.

Czaja: In Teheran gibt es ein weiteres tolles Beispiel: Die 270 Meter lange Tabiat-Brücke, die zwei Parks miteinander verbindet. Eigentlich sind ja gerade Brücken und Tunnel der Inbegriff von Transit – da will man einfach nur durch. Leila Araghian aber ist es gelungen, eine Fussgängerbrücke anzulegen, die architektonisch vielleicht nicht die eleganteste ist, dafür aber im Sinne städtischen Freiraums sensationell. Mit Terrassen, Sitzbänken, Verschattungen, Cafés und Ausblick. Da finden regelrechte Völkerwanderungen statt, einfach super.

Sie zeigen im Buch auch Beispiele von Vergessenen: Wie die Architektin Marlene Moeschke-Poelzig, die 1930 aus einem Richtfestfoto im deutschen Krefeld rausgeschnitten wurde. Ist die Lage besser geworden?
Czaja: Besser schon, aber es gibt immer noch viel zu tun. Nehmen wir die chinesische Architektin Lu Wenyu. Sie und ihr Mann gründeten in Shanghai gemeinsam ein Architekturbüro und setzen all ihre Projekte gemeinsam um. Doch wem wird 2012 der renommierte Pritzker-Preis, eine Art Nobelpreis der Branche, verliehen? Lediglich ihrem Mann. Für mich ist das sinnbildlich dafür, wie oft weibliche Architektur- und Stadtplanungsarbeit in der Branche unterschlagen wird.

Wie steht es in der Schweiz?
Czaja: Da fallen mir mehrere erwähnenswerte Projekte ein. Nehmen wir das 1952 gebaute Bad von Elsa Burckhardt-Blum am Oberen Letten in Zürich. Es wurde vor einigen Jahren sehr behutsam saniert und in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt.

Die Europaallee in Zürich wurde ebenfalls von einer Frau geplant …
Czaja: Von Ute Schneider. Auch sie hat sich darauf fokussiert, einen Stadtraum zu schaffen, der möglichst von allen Bewohner:innen genutzt wird. So ist die Idee, eine Schule oder Hochschule anzusiedeln, immer ein Garant, um einen Stadtteil möglichst über alle Tageszeiten zu beleben.

Wie wird sich der Städtebau entwickeln?
Schechtner: Er wird noch vielfältiger werden. Guter Städtebau wurde schon immer von Menschen gemacht, die einen breiten internationalen Überblick mit sorgfältiger, lokaler Planung verbinden. Das ist heute einfacher geworden.

Czaja: In vielen Städten gibt es heute eine Sensibilität dafür, dass grosse Planungsfragen nicht mehr nur einem Geschlecht, nicht mehr nur einem Blickwinkel, nicht mehr nur einer einzigen Erfahrungswelt überlassen werden dürfen. Frauen, die ungefähr die Hälfte der globalen Bevölkerung ausmachen, geben sicherlich eine wertvolle Perspektive. Das wird sich auch in den Städten der Zukunft niederschlagen. Ich weiss nicht, ob sie dadurch schöner oder besser werden. Aber sie werden eindeutig mehr Menschen und Bevölkerungsgruppen einschliessen, als sie es heute tun.

Wojciech Czaja, Katja Schechtner: Frauen Bauen Stadt. Birkhäuser Verlag 2022, 208 Seiten, ca. 54 Fr.

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